"Die Mitarbeitenden müssen aktiv in die Umstrukturierung der Arbeit einbezogen werden"

Das Wachstum eines Unternehmens erfordert zwangsläufig Anpassungen in den Betriebsabläufen, die bei den Beschäftigten mitunter Sorgen und Vorbehalte schüren können. Die HR-Expertin Céline Desmarais erklärt, wie man damit bestmöglich umgeht.

Das Wachstum verändert nicht nur die Grösse und die Einnahmen eines Unternehmens, sondern auch die Kultur, das Management und die Struktur. Diese Veränderungen werden von den Mitarbeitenden oft gefürchtet, teilweise sogar auch von den Managern selbst. Damit die Expansion geregelt abläuft und das Unternehmen seine Leistungsfähigkeit erhält, ist es entscheidend, alle Teams von der Sinnhaftigkeit dieser Entwicklung zu überzeugen und sie zu ermutigen, selbst daran teilzuhaben. Ohne eine aktive Beteiligung des Personals kann der Prozess ernsthaft gefährdet werden. Céline Desmarais, HR-Expertin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Yverdon (HEIG-VD), erläutert, wie diese Umgestaltung gelingt.

Was sind die grössten Herausforderungen bei der Expansion eines KMU?

Céline Desmarais: Man beobachtet häufig eine Zunahme der Arbeitslast, die nicht ausreichend durch eine Erhöhung der Ressourcen und der Zeit kompensiert wird, welche den Beschäftigten zur Verfügung stehen. Dann gibt es das Gefühl von Kontrollverlust und einer Zersplitterung der Macht: Für die Mitarbeitenden geht die Expansion manchmal mit einer Verringerung ihres Einflusses im Entscheidungsprozess, einem Mehr an Bürokratie oder der Rechenschaftspflicht für neue Aufgaben einher, was ein Problem darstellen kann.

Mitunter beobachtet man auch eine implizite Verwässerung des Know-hows: Die informellen Prozesse, die zum ursprünglichen Erfolg des Unternehmens beigetragen haben, können Quellen von Spannungen oder Missverständnissen werden, wenn die Struktur komplexer wird. Nehmen wir das Beispiel eines Unternehmens, dessen Abläufe auf Autonomie und kollektiver Intelligenz basierten und das sich nach einer Fusion mit einer Vielzahl neuer junger Mitarbeiter konfrontiert sah. Die Neuen waren zwar fachlich sehr kompetent, verfügten aber nicht über die Codes und Kenntnisse ihrer älteren Kollegen in Bezug auf informelle Prozesse, was dazu führte, dass sich das KMU von seinem auf kollektiver Intelligenz beruhenden Modell verabschiedete und es durch eine stärker vertikal und hierarchisch aufgebaute Struktur ersetzte. Ein solches Szenario kann von einigen Beschäftigten als sehr negativ wahrgenommen werden und Folgen für die Personalfluktuation oder sogar für die Produktion haben.

Wie können Arbeitgeber vorausschauend handeln und diese Probleme vermeiden?

Desmarais: In einem Unternehmen unterscheiden sich die Themen und Prioritäten je nach Stelle. Es ist also wichtig, dass die geplanten Abläufe möglichst viele Standpunkte aufgreifen, damit sie von allen akzeptiert werden und allfällige Störungen bei der Umsetzung der Transformation minimiert werden. Die Mitarbeitenden müssen aktiv in die Umstrukturierung der Arbeit einbezogen werden, beispielsweise über Workshops oder Diskussionsgruppen, um die Realitäten vor Ort zu erfassen. Dabei geht es zum Beispiel darum, die konkreten Modalitäten für die Umsetzung der von der Geschäftsleitung getroffenen strategischen Entscheidungen, die unvorhergesehenen Auswirkungen oder die Erfolgsbedingungen zu definieren. Mit diesem Ansatz können auch die Arbeitgeber eine umfassendere Sicht auf betriebsinterne Hürden gewinnen.

Ausserdem braucht es eine motivierende Ansprache rund um die Expansion. Die Führungskräfte müssen die Gründe für die Umstrukturierung, ihre Ziele und den konkreten Nutzen, den sie dem Unternehmen und den Beschäftigten bringen soll, klar erläutern. Die Geschäftsführung sollte vermeiden, ihre Erklärungen zum Beispiel auf die Vorteile der Rendite für die Aktionäre zu beschränken. Man muss auch auf das Wesen des Unternehmens eingehen, auf die Wertschätzung der Kompetenzen in grossem Massstab und auf mögliche Verbesserungen in Bezug auf den Arbeitskomfort.

Kann das Unternehmen seinen Beschäftigten Garantien geben, um einen Verlust an Entscheidungsbefugnissen oder eine Zunahme der Bürokratie zu verhindern?

Desmarais: Wenn es um eine Internationalisierung oder die Übernahme der Firma durch einen Grosskonzern geht, ist es in der Regel schwierig, einen solchen Verlust und eine Formalisierung der Prozesse abzuwenden. Aber man sieht es auch bei Start-ups: Ab einem gewissen Stadium verlangen die Investoren von dem Unternehmen, dass es seine Abläufe klar regelt und strukturiert. Dieser Schritt kann jedoch intern bewältigt werden, um die Ordnung der Dinge nicht durcheinanderzubringen oder den Beschäftigten einen zu strengen Rahmen aufzuerlegen. Hier fällt mir das Beispiel eines Genfer KMU ein, das an der Polyvalenz seiner Mitarbeitenden festhalten und eine zu strikte Abgrenzung der einzelnen Funktionen vermeiden wollte. Es hat die Beschäftigten daher für bestimmte Aufgaben wie zum Beispiel Buchhaltung weitergebildet, die sonst formalisiert und einer eigenen Abteilung oder Stelle übertragen worden wären.

Wie kann man mit den Vorbehalten des Personals gegenüber den Expansionsstrategien umgehen?

Desmarais: Ich höre Manager oder CEOs oft sagen, dass die Beschäftigten grundsätzlich und häufig auf irrationale Weise gegen Veränderungen seien. Man muss sich allerdings in Erinnerung rufen, dass die Sorgen der Mitarbeitenden oft berechtigt sind, da die Expansion eines Unternehmens substanzielle Veränderungen in der Arbeitsweise mit sich bringt. Damit die Transformation gelingt, braucht es natürlich eine transparente Kommunikation seitens der Geschäftsführung, die dazu beitragen kann, Gerüchte zu zerstreuen und das Personal wenigstens teilweise zu beruhigen. Aber man darf sich nicht darauf beschränken. Ich rate den Unternehmen, ihren Beschäftigten zuzuhören und ihre Sorgen zu berücksichtigen, egal ob es um ihre Arbeitsbelastung, die Entwicklung ihrer Aufgaben oder den Erhalt der Firmenkultur geht.


Zur Person/Firma

Céline Desmarais, Expertin für Human Resources an der HEIG-VD

Céline Desmarais ist ordentliche Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Yverdon (HEIG-VD) und Leiterin der Fachgruppe Human Resources und Organisationsentwicklung. Zudem leitet sie den MAS (Master of Advanced Studies) Développement Humain dans les Organisations, eine Weiterbildung für Führungskräfte, die ihre Kompetenzen im Bereich Management und Transformation von Organisationen vertiefen wollen.

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Letzte Änderung 03.12.2025

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