Die Krise als Motor für neue Geschäftsmodelle

Die COVID-19-Pandemie hat viele Unternehmerinnen und Unternehmer dazu gebracht, das Wirtschaftsmodell ihrer Firma neu auszurichten oder zu ergänzen. Erfahrungsberichte.

Eine Person formt einen Turm aus Holzstäbchen und versucht, eines davon zu entfernen.

Die Investitionskapazitäten der Schweizer Unternehmen im Bereich Innovation haben stark unter der Pandemie gelitten, wie eine Studie der Berner Fachhochschule (BFH) von 2021 belegt. Knapp 92% der 254 befragten Firmen gaben an, dass sie von der Krise betroffen waren, und ihre Innovationstätigkeit nahm um bis zu 90% ab. In dieser schwierigen Situation fanden die Schweizer KMU jedoch Mittel und Wege, um sich neu zu erfinden. In jeder fünften Firma wurden der BFH zufolge Änderungen am Geschäftsmodell vorgenommen. Grund für diese Anpassungen waren hauptsächlich die neuen Bedürfnisse der Kunden.

Ein Beispiel dafür ist Engineered, ursprünglich ein Subunternehmer im Bereich Elektronik aus Yverdon-les-Bains (VD). "Der Ausbruch der Krise führte zu einer Stornierung vieler Aufträge zwischen Februar und April 2020, die etwa 20% unseres Jahresumsatzes ausmachten", berichtet Geschäftsführer Alexandre Lavanchy. "Wir haben uns daraufhin gesagt, dass die Situation die ideale Gelegenheit ist, unsere ganze Energie in die Vermarktung eines neuen Produktsegments im B2C-Bereich zu stecken, was wir schon seit einigen Jahren im Kopf hatten."

So nutzte das KMU mit seinen acht Beschäftigten die Verfügbarkeit seines Teams, um seine ersten Boxen für High Definition Audio Streaming zu entwickeln, die im Sommer 2020 unter der Marke Wattson Audio in den Vertrieb gingen. "Wir hatten sofort einen guten Start, obwohl es Lieferschwierigkeiten bei den Chips gab. Heute machen die Umsätze mit unserer Marke rund einen Viertel unseres Gesamtumsatzes aus und in den kommenden drei Jahren wollen wir ihren Anteil verdoppeln."

Zweiter Geschäftsbereich

Auch der Zürcher Unternehmer Roman Stämpfli stand im Frühjahr 2020 vor einem brutalen Einbruch seiner Geschäfte. Er war damals Geschäftsführer einer Event-Agentur. "Ich erkannte schnell, dass diese Situation länger andauern würde, und sagte mir, dass ich mir ein zweites Standbein aufbauen muss", erinnert er sich. "Ich war damals auf der Suche nach einem Geschäftsmodell, das auf Online-Handel basiert, keinen saisonalen oder konjunkturellen Schwankungen unterliegt und ein Grundbedürfnis der Konsumenten abdeckt."

Ab März dachte er über die Gründung eines Unternehmens nach, das Waschstreifen verkauft, eine bis dahin in der Schweiz nicht vorhandene Art von Waschmittel. "Ich habe das Produkt in den USA entdeckt und sah darin ein grosses Potenzial, das sowohl auf den ökologischen Eigenschaften als auch auf dem emotionalen Aspekt beruht."

Das Projekt nimmt im November 2020 Gestalt an, als Stämpfli mit Hilfe eines Partners eine neue Firma gründet. Das Unternehmen namens Bluu erzielt schon im ersten Jahr einen Umsatz von CHF 2 Millionen und hat heute sieben Beschäftigte und mehrere hundert Verkaufsstellen. Es arbeitet auch an einer Partnerschaft mit einer der grossen Schweizer Handelsketten und will eine eigene Produktion in Europa aufbauen.

"Ich glaube, dass wir zum richtigen Zeitpunkt mit dem richtigen Produkt auf den Markt gekommen sind", sagt Roman Stämpfli. "Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten bevorzugen lokale Marken und umweltfreundliche Alternativen. Ausserdem ist unser Produkt online erhältlich und wir erzielen derzeit rund 60% unseres Umsatzes über diesen Vertriebsweg."

Raus aus der Komfortzone

Für Vincent Widmer wurde es durch die Gesundheitskrise notwendig, die Ziele seines Unternehmens Beekee zu überdenken. Dabei hatte er seine auf E-Learning-Technologien spezialisierte Firma gerade erst gegründet. Gemeinsam mit einem Partner entwickelte der Genfer Unternehmer eine Box, die ein lokales WLAN-Netz erzeugt, über das man sich mit einer digitalen Unterrichtsplattform verbinden kann, ohne dass man dafür einen Internetzugang benötigt.

Das Angebot richtete sich in erster Linie an humanitäre Organisationen. "Unsere Kunden haben uns sofort vorgewarnt, dass sie aufgrund der Beschränkungen nicht mehr in der Lage sein würden zu reisen." Also entwickelt Beekee ein neues Produkt, das durch eine online-basierte Management-Plattform ergänzt wird. "Die zweite von uns entwickelte Box funktioniert wie ein "Hub" und ersetzt den Lehrer. Sie wird mit Lehrinhalten bestückt, bevor sie an den Empfänger geschickt wird." Dank einer zusätzlichen 3G-Verbindung kann der Lehrer oder die Lehrerin dann aus der Ferne darauf zugreifen, um Prüfungen zu korrigieren oder neue Kursinhalte hinzuzufügen.

"Die Gesundheitskrise hat uns gezwungen, unsere Komfortzone zu verlassen", stellt der Unternehmer fest. "Anfangs hatten wir als Zielgruppe nur die in der Schweiz ansässigen NGOs im Blick. Mit dem Aufschwung von Telearbeit und Videokonferenzen haben wir dann Kontakt zu Kunden in der ganzen Welt aufgenommen." So wird die von dem Schweizer Start-up entwickelte Technologie heute in Ländern wie Kenia, Jemen oder Kambodscha eingesetzt.


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Letzte Änderung 02.03.2022

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