Kompetenzerwerb durch Working Out Loud

Mit der Methode Working Out Loud können sich Mitarbeitende ein individuelles Ziel setzen und mit Hilfe von anderen Arbeitnehmern an ihrer Motivation arbeiten. In der Schweiz entstehen derzeit viele firmenübergreifende Netzwerke.

Ein Team von Mitarbeitern.

Zahlreiche Experten meinen, dass die Fähigkeit, sich rasch an neue Bedingungen anzupassen, einer der Schlüsselfaktoren für das Vorankommen in der Arbeitswelt von morgen ist. Auf der Suche nach neuen Arbeitsmethoden wenden immer mehr Mitarbeitende eine Methode mit dem Namen "Working Out Loud" (WOL) an. Dabei steht die persönliche Motivation für das Erreichen eines individuellen Ziels oder den Erwerb neuer Kompetenzen im Zentrum. "Hierfür sucht sich ein Mitarbeiter einen Circle, also eine Art Team aus vier bis fünf Kollegen und Mitarbeitern anderer Abteilungen oder einer anderen Firma", erklärt Joerg Dietz, Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (HEC) der Universität Lausanne. "Diese treffen sich über einen bestimmten Zeitraum und machen Übungen, bei denen das eigene Arbeiten für die anderen sichtbar gemacht wird, damit jeder sein persönliches Ziel erreichen kann. Der Arbeitgeber ist zu keinem Zeitpunkt an der Übung beteiligt."

An der Motivation arbeiten

Diese Methode hat sich 2015 weiträumig verbreitet. Damals erschien das Buch "Working Out Loud: For a better career and life" von John Stepper (s. Kasten). In der Schweiz findet der Ansatz bei grossen Firmen wie Swisscom, den SBB oder dem Pharmakonzern La Roche immer mehr Anklang. Der Telekommunikationsriese nahm die WOL-Techniken 2016 auf Initiative von Martin Geisenhainer auf, der als Learning Architect bei Swisscom arbeitet. "Ich wollte die WOL-Methode intern testen, indem ich sie mit Kollegen selbst durchführte. Wir haben uns zwölf Wochen lang eine Stunde pro Woche getroffen, um zusammen zu "arbeiten". Die Ergebnisse waren faszinierend. Ich habe ganz neue Fähigkeiten erlangt und auch neue Lernkompetenzen."

Von diesem Erfolg beflügelt, präsentierte Martin Geisenhainer die Methode seinen Vorgesetzten, die sich schnell überzeugen liessen. "Das Konzept ist für Unternehmen interessant, weil sich damit Verbindungen knüpfen lassen und Beziehungen zwischen den Abteilungen entstehen. Ohne WOL würden ein Personalmanager und ein Verkaufsvertreter nicht einfach in Kontakt kommen und gemeinsam daran arbeiten, ihre individuellen Kompetenzen zu verbessern." Um die Kontakte zu fördern, organisiert Martin Geisenhainer Veranstaltungen für knapp hundert Personen, die auf diese Weise ihren Circle aufbauen können.

Laut Joerg Dietz von der UNIL beruht der Ansatz in erster Linie auf dem intrinsischen Bedürfnis der Mitarbeiter nach Weiterentwicklung. Wenn sie ihre Übungen gemeinsam mit anderen Kollegen machen, müssen sie ihre Motivation zum Ausdruck bringen, was die Lust zu arbeiten und sich zu verbessern steigert. "Die Firma bekommt dadurch Mitarbeiter, die motiviert sind und die Kompetenzen von Mitarbeitern anderer Abteilungen fördern. So ziehen alle am selben Strang."

Neben Swisscom haben auch die SBB die WOL-Methode eingesetzt. Als dieser Ansatz 2016 in der IT-Abteilung verfolgt wurde, führte dies zu einer Neuorganisation der Personalabteilung und des Contact Center, dem Kundenservice der SBB, berichtet Reto Schmid, Mitglied einer Arbeitsgruppe in der IT-Abteilung. "Bei den SBB ist Working Out Loud mit einer Art der Selbstorganisation vergleichbar. Die 400 Mitarbeiter in unserem Contact Center haben sich ihre Circles aufgebaut. Jetzt organisieren sie sich untereinander, um die Arbeit zu machen." Der Hauptvorteil besteht in der Fähigkeit der Beschäftigten, den Menschen in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu stellen. "Diese neue Arbeitsmethode ist nachhaltiger und macht es möglich, jeden Mitarbeiter besser zu berücksichtigen."

Verbindung zu anderen Firmen

Dank der WOL-Methode können auch Beziehungen zwischen verschiedenen Firmen aufgebaut werden. In Deutschland finden sich zum Beispiel viele Mitarbeiter grosser Unternehmen, in solchen Teams zusammen. Darunter sind auch Beschäftigte konkurrierender Konzerne wie Mercedes und Audi. Bei dieser Annäherung stellt sich also auch die Frage nach Konkurrenz und dem Austausch vertraulicher Informationen. Joerg Dietz schiebt diesen Gedanken vom Tisch und konzentriert sich lieber auf die Motivation des Mitarbeiters. "Eine der Chancen, aber auch ein Risiko dieser Methode, beruht auf der Analyse der Motivation eines Angestellten. Indem er sich hinterfragt, erweitert er seinen Horizont, was zu der Erkenntnis führen kann, dass er in seiner aktuellen Position nicht glücklich ist und eine neue Herausforderung sucht. Dieses Risiko ist aber begrenzt."

Eine weitere Herausforderung ist der Zeitfaktor. "Die Methode erfordert viel Geduld, denn es kann bis zu einem Jahr dauern, sie in einem Unternehmen einzuführen", merkt Reto Schmid von den SBB an. "Und wenn die Veränderung nicht gut gelingt, wird der Mitarbeiter geneigt sein, zu seinen alten Gewohnheiten zurückzukehren." Aus seiner Sicht besteht der Schlüssel zum Erfolg darin, das Unternehmensprofil gut analysiert zu haben und die Methode Schritt für Schritt zu etablieren.


Informationen

Zum Thema

Der Mensch im Mittelpunkt

Der Ansatz "Working Out Loud" (wörtlich "lautes Arbeiten") kam 2010 in den USA auf. Als der Unternehmer John Stepper in seinem Buch "Working Out Loud: For a better career and life" die Theorie dazu veröffentlichte, begann die weltweite Verbreitung der Methode. Sie umfasst 5 wesentliche Elemente: Beziehungen, Grosszügigkeit, Sichtbarkeit, Zielgerichtetheit und Offenheit. Der Erfolg dieses Konzepts beruht auf dem Wunsch einer Person, sich ein individuelles Ziel zu setzen, das nicht von der Geschäftsführung eines Unternehmens vorgegeben wurde.

Wenn ein Mitarbeiter neue Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben und auf sein Ziel hinarbeiten will, baut er sich einen Circle auf, das heisst ein Netzwerk aus fünf Personen. Dieser Arbeitskreis trifft sich jede Woche für eine Stunde über einen Zeitraum von insgesamt zwölf Wochen. Dabei werden die Übungen aus dem Buch von John Stepper befolgt, jeder arbeitet "laut", kommuniziert mit den anderen und teilt sein Know-how. Die Treffen stärken das Selbstvertrauen, erhöhen die Arbeitsmotivation und verschaffen der Person neue Lernerfahrungen.

Letzte Änderung 06.05.2020

Zum Seitenanfang

News und nützliche Informationen für Gründer und Unternehmer
https://www.kmu.admin.ch/content/kmu/de/home/aktuell/monatsthema/2020/kompetenzerwerb-durch-working-out-loud.html