"Workation passt nicht zu allen Mitarbeiterprofilen"

Workation – eine Kombination aus Arbeit und Urlaub – war lange ein Privileg der Freelancer, findet nun aber auch in bestimmten Branchen immer mehr Verbreitung. Das IT-Sicherheits-Unternehmen Redguard bietet seinen 80 Beschäftigten die Möglichkeit, einmal pro Jahr für vier bis sechs Wochen davon zu profitieren. Sven Vetsch, Partner und Head of Innovation and Development des Unternehmens, erläutert die Vorteile dieser neuen Praxis.

Arbeit (work) und Urlaub (vacation) kombinieren? Das ist Idee hinter dem im kalifornischen Silicon Valley entstandenen "Workation"-Modell, bei dem Mitarbeitende dank des Booms der neuen Technologien in einer traumhaften Umgebung remote arbeiten können. In Zeiten, in denen 35% der Millennials laut einer Umfrage von Ernst & Young in hybriden Arbeitsmodellen einen der Hauptgründe für die Annahme eines Jobs sehen, kann dieser neue Trend einen entscheidenden Vorteil darstellen, um auf einem immer stärker umkämpften Markt neue Talente für sich zu gewinnen. Sven Vetsch vom Berner Unternehmen für IT-Sicherheit Redguard spricht über diese Praxis, die in seiner Firma mittlerweile etabliert ist, ohne sie zu idealisieren.

Wann und warum haben Sie sich bei Redguard für das Thema Workation interessiert?

Vetsch: Wir haben diese Möglichkeit ab 2017 geprüft, als wir neue Trends beim Thema Flexibilität ausgelotet haben. Persönlich habe ich nach einem Weg gesucht, um meinen Wunsch zu reisen und die Tatsache, in einem wachstumsstarken Unternehmen zu arbeiten, miteinander zu verbinden. Workation war ein guter Mittelweg zwischen der Lust, etwas von der Welt zu sehen, und den Zwängen, die mein Beruf mit sich bringt. Es persönlich auszuprobieren, hat mir die Sicherheit gegeben, dass wir das auch unseren Beschäftigten anbieten können. Dann kam noch die Pandemie dazu, durch die auch bei unseren Kunden Online-Meetings zur Normalität wurden. Obwohl Flexibilität bei Redguard schon Realität war, bot Covid die Gelegenheit zu zeigen, dass sich ein Grossteil der Arbeit online erledigen lässt, auch in einem so sensiblen Sektor wie der IT-Sicherheit.

Ist es leicht für ein KMU, eine solche Praxis einzuführen?

Vetsch: Abgesehen von einigen Grundregeln, die formalisiert werden müssen, ist die Umsetzung in technischer Hinsicht relativ einfach. Die eigentliche Herausforderung liegt woanders. Wenn man Workation anbieten will, muss man sich über die Art und Weise Gedanken machen, wie sich das auf die Abläufe im Betrieb auswirkt, insbesondere aus technischen beziehungsweise praktischen Gründen. Bei Redguard arbeiten wir zum Beispiel mit Kunden aus dem Bankensektor oder mit Regierungsinstitutionen zusammen und müssen gewisse strenge gesetzliche oder vertragliche Vorgaben erfüllen. Selbst wenn unsere Angestellten einen Schweizer Pass haben, ist bei einigen Ländern und Projekten nicht immer möglich, das Arbeiten aus dem Ausland zu gestatten.

Wie wird Workation bei Redguard konkret umgesetzt? Wo sind die Grenzen?

Vetsch: Ein Workation-Aufenthalt ist für unserer Mitarbeitenden nur einmal pro Jahr möglich. Ausserdem darf ein Angestellter nicht ins Ausland ziehen und weiter für uns arbeiten. Das gewählte Reiseziel darf auch keine besonderen Probleme hinsichtlich der Sozialversicherung oder anderer Versicherungen mit sich bringen. Diese Bedingungen sind in einem Dokument zusammengefasst, das die Betroffenen unterschreiben müssen. Das Ziel ist, bestimmte Grundvoraussetzungen, die erfüllt werden müssen, zu formalisieren, beispielsweise dass man sich an die örtlichen Rechtsvorschriften hält, auch im Bereich des Arbeitsrechts. Die Beschäftigten müssen sich auch vergewissern, dass die Gesetzgebung in dem Land, von dem sie als temporären Arbeitsort träumen, mit der Ausführung ihrer Aufgaben kompatibel ist. Wir als Arbeitgeber können diese Abklärungsarbeit nicht in jedem Fall leisten, doch wir tun unser Bestes, um sie dabei zu begleiten. Wenn man dann vor Ort ist, ist das Entscheidende die Fähigkeit, sich seine Zeit gut einzuteilen. Flexibilität heisst nicht, dass Arbeit und Freizeit vermischt werden, und die für die berufliche Tätigkeit vorgesehene Zeit muss unbedingt gewährleistet sein. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und seinen Angestellten spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Für welche Beschäftigten kommt diese neue Form der Flexibilität in Frage?

Vetsch: Workation passt nicht zu allen Mitarbeiterprofilen. Angestellte mit Kindern oder einem Partner mit eigenen beruflichen Verpflichtungen haben automatisch einen geringeren Spielraum als eine alleinstehende Person. Das grösste Interesse besteht in der Regel bei jüngeren Mitarbeitenden und bei denen, die weniger persönliche oder familiäre Verpflichtungen haben. Es ist auch eine attraktive Gelegenheit für Menschen am Beginn ihrer Karriere, die die Welt entdecken möchten. Früher neigten diese Angestellten dazu, so lange zu arbeiten, bis sie das Geld für die Reisen zusammenhatten, und dann zu kündigen. Viele Bewerberinnen und Bewerber, die zu uns kommen, sagen, dass sie die von Redguard gebotene Flexibilität schätzen. Selbst wenn es natürlich nicht das einzige Argument ist, handelt es sich um einen unbestreitbaren Vorteil, der es uns ermöglicht, talentierte Mitarbeitende zu rekrutieren.

Was würden Sie einem Firmenchef raten, der seinen Angestellten diese Möglichkeit eröffnen will?

Vetsch: Eine der ersten Überlegungen sollte meiner Meinung nach darin bestehen zu evaluieren, ob Workation wirklich mit der Tätigkeit des Unternehmens kompatibel ist. Denn wenn das Modell erst einmal eingeführt wurde, ist es sehr schwer, wieder zurückzurudern. Der Austausch mit anderen Firmenleitungen, die ihren Beschäftigten eine solche Möglichkeit bieten, ist auch ein Weg, um sich zu vergewissern, die richtige Entscheidung zu treffen.


Informationen

Zur Person/Firma

Sven Vetsch, Head of Innovation and Development bei Redguard AG

Sven Vetsch, der sein Studium mit Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Berner Fachhochschule absolviert hat, gründete zusammen mit seinen Geschäftspartnern 2012 die Redguard AG. Als Head of Innovation and Development ist er dafür zuständig, die offensiven wie auch die defensiven Fähigkeiten des Unternehmens auf dem neusten Stand zu halten und neue Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und einzubringen. Ferner ist Sven Vetsch Gründungsmitglied des Vereins DEFCON Switzerland sowie Co-Leiter des Schweizer Chapters von OWASP, einer Non-Profit Organisation, die sich mit Hilfe der Erfahrungen und der Arbeit von ihren mehreren zehntausend Mitgliedern um die Verbesserung der Applikationssicherheit bemüht.

Letzte Änderung 07.06.2023

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