"Unternehmen müssen eine proaktive Einstellungsstrategie entwickeln"

Der Fachkräftemangel veranlasst die Unternehmen, ihre Anwerbestrategien zu diversifizieren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und die besten Profile anzuziehen, müssen sie ihre "Arbeitgebermarke" aufwerten. Erklärungen von Benedikt Hell, Professor für Personalpsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nimmt weiter zu, was unter anderem der Pandemie und der Bevölkerungsalterung geschuldet ist. Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die in einer gemeinsamen Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und des Beratungsunternehmens Great Place to Work befragt wurden, gaben an, dass sie zwischen 2020 und 2021 Schwierigkeiten hatten, neue Mitarbeitende einzustellen. Andererseits legen Bewerberinnen und Bewerber immer mehr Wert auf den Ruf eines Unternehmens, und die Hälfte von ihnen würde dieses Kriterium sogar einem höheren Gehalt vorziehen, so eine Umfrage des Personaldienstleisters Randstad. Investitionen in die Arbeitgebermarke sind eine Möglichkeit für Unternehmen, auf diese Herausforderungen zu reagieren und sich von der Konkurrenz abzuheben. Benedikt Hell ist Autor der Studie "Employer Branding in Schweizer Unternehmen" und erläutert die wachsende Bedeutung dieses neuen strategischen Konzepts.

Das Konzept des "Employer Branding" wurde bereits in den 1990er Jahren in den USA entwickelt. Warum ist es heute so wichtig?

Benedikt Hell: Die Pensionierung der Babyboomer bedeutet eine Austrocknung des Arbeitsmarktes in der Schweiz, aber auch in unseren Nachbarländern, insbesondere in Deutschland und Italien. Während es den Schweizer Unternehmen dank ihrer sehr guten Arbeitsbedingungen bisher möglich war, freie Stellen zu besetzen, wird dies nun immer schwieriger und dürfte in den nächsten Jahren noch komplizierter werden. Da auch die Arbeitsmärkte in den Nachbarländern vom demografischen Wandel betroffen sein werden, können die Unternehmen fehlende Arbeitskräfte künftig auch nicht mehr so leicht im Ausland rekrutieren. Für Arbeitgeber gilt es nun, neue Einstellungsstrategien zu entwickeln, um die besten Talente anzuziehen und zu halten.

Wie kann Employer Branding einem Unternehmen helfen, sich von der Konkurrenz abzuheben?

Hell: Der Arbeitsmarkt hat sich umgekehrt. Heute sind es die Arbeitnehmer, die ihren Arbeitgeber unter mehreren möglichen Optionen auswählen, und nicht umgekehrt. Neben der Bezahlung legen die jüngeren Generationen ausserdem immer mehr Wert auf die Werte eines Unternehmens – mit denen sie sich identifizieren möchten – sowie auf Arbeitsbedingungen wie flexible Arbeitszeiten oder -orte. Employer Branding bezeichnet eine Strategie, mit der Unternehmen auf diese neuen Anforderungen reagieren können, um sich langfristig als attraktive Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren.

Ihre Studie hat ergeben, dass ein Drittel der befragten Unternehmen eine gute Positionierung im Bereich Employer Branding hat. Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?

Hell: Ein professionelles Employer Branding ist in der Schweiz nach wie vor wenig verbreitet. Viele Unternehmen setzen noch auf traditionelle Methoden der Personalbeschaffung und veröffentlichen klassische Stellenanzeigen, in der Hoffnung, dass sich geeignete Personen bewerben. Das ist die Logik von "post & pray" (Anm. d. Red.: veröffentlichen und beten). Das reicht aber nicht mehr aus. Die Unternehmen sollten eine proaktive Einstellungsstrategie (active sourcing) verfolgen und den Kontakt zu potenziellen Bewerbern suchen. Ich rechne jedoch für unsere nächste Studie, die 2024 erscheinen wird, mit besseren Ergebnissen. In der Schweiz sind die Fachleute in HR-Abteilungen sehr gut ausgebildet und auch sehr offen für innovative Lösungen.

Welche Schritte sind notwendig, um eine starke Arbeitgebermarke aufzubauen?

Hell: Zunächst geht es darum, eine Analyse der Situation des Unternehmens durchzuführen. Das Ziel besteht darin, seine Stärken herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang können sich die Mitarbeiter als wertvolle Hilfe erweisen, um die verschiedenen Eigenheiten transparent zu bewerten. Eine Arbeitgebermarke muss die Realität eines Unternehmens widerspiegeln und ein authentisches Bild bieten. Es nützt nichts, die Situation zu idealisieren: Widersprüchliche Botschaften oder falsche Versprechungen werden schnell erkannt und können die Glaubwürdigkeit des Unternehmens beeinträchtigen.

In einer zweiten Phase werden die Stärken der Konkurrenten untersucht, um dann die Besonderheiten des eigenen Unternehmens zu ermitteln, mit denen man sich wirklich von der Konkurrenz abheben kann. Schliesslich geht es darum, die wichtigsten Werte in einer prägnanten Botschaft zu formulieren, um sie als Kommunikationsmittel einsetzen zu können. All diese Elemente tragen dazu bei, die "employee value proposition" (EVP) zu entwickeln. Darunter versteht man das Versprechen der Gegenleistung, welche Beschäftigte oder zukünftige Beschäftigte vom Unternehmen als Gegenleistung für ihre Arbeit erhalten.

Ist die Entwicklung einer Arbeitgebermarke ausschliesslich Sache der Personalabteilung oder sollte sie Teil einer umfassenderen Unternehmensstrategie sein?

Hell: Die Arbeitgebermarke muss zur Unternehmensstrategie sowie zur Markenbotschaft der Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens passen. Ein Unternehmen, das z.B. die Nachhaltigkeit seiner Produkte hervorhebt, sollte auch darauf achten, dieselben Werte intern umzusetzen, um gegenüber seinen Mitarbeitern und Kunden konsequent zu bleiben.

Ist eine solche Investition auch für kleine Unternehmen sinnvoll?

Hell: Es sind immer mehr Branchen vom Fachkräftemangel betroffen. In sozialen oder technischen Aufgabenbereichen wären manche Unternehmen ohne ein gutes Personalmarketing schlichtweg nicht mehr in der Lage, eine ausreichende Zahl an Mitarbeitern einzustellen. Insofern wird die Entwicklung eines Employer Brands immer mehr zum Standard. Zudem gibt es Studien, die eindeutig den Mehrwert eines gezielten Employer Brandings belegen. Die Investition lohnt sich also.


Informationen

Zur Person/Firma

Benedikt Hell, Professor für Personalpsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW

Prof. Dr. Benedikt Hell ist Professor für Personalpsychologie an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW und Leiter des postgradualen HR-Weiterbildungsprogramms CAS Talent Acquisition. Er ist Autor der Studie "Employer Branding in Schweizer Unternehmen" und hat zahlreiche weitere Fachartikel zu personalpsychologischen Themen veröffentlicht.

Letzte Änderung 19.04.2023

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