"Die Pandemie hat die MEM-Industrie in einer Phase der Schwäche getroffen"

Die Covid-19-Pandemie macht besonders den Unternehmen der MEM-Branche zu schaffen, auch weil der Sektor schon vor der Krise niedrigere Exportzahlen verzeichnet hatte.

Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall (MEM)-Industrie, in der über 300'000 Menschen tätig sind, ist von der Covid-19-Pandemie im gesamtwirtschaftlichen Vergleich überdurchschnittlich stark betroffen. Die Aufträge, die Umsätze und die Margen der in diesem Sektor tätigen KMU sind in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres signifikant eingebrochen. Vor allem die Abhängigkeit von den Exportmärkten und die Komplexität der Lieferketten erweisen sich für die Branche als Nachteile. Allerdings hat die Krise auch strukturelle Probleme offengelegt: So wurden in den letzten Jahren wichtige Investitionen in Zukunftstechnologien verpasst. Roland Goethe, Präsident des Branchenverbands Swissmechanic, erläutert im Interview die Probleme des Sektors und wagt eine vorsichtige Prognose für die nächsten Monate.

Woran liegt es, dass die Schweizer MEM-Industrie von der Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen ist?

Roland Goethe: Die Branche bietet der Pandemie über verschiedene Kanäle eine Angriffsfläche. Angebotsseitig wird die Produktionstätigkeit behindert durch Unterbrüche in den Lieferketten und dem Ausfall von Mitarbeitern wegen Krankheit, Quarantäne und Betreuung. Das primäre Problem ist aber der Auftragsmangel. Bei den Endkunden der MEM-Branche sind wegen des globalen Nachfrageeinbruchs genügend freie Kapazitäten vorhanden, weshalb weniger Bedarf nach Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen besteht. Die sehr hohe Unsicherheit über den künftigen Pandemie- und Wirtschaftsverlauf sowie der hohe Liquiditätsbedarf bremsen die die Investitionstätigkeit zusätzlich. Die Aufwertung des Schweizer Franken als «Fluchtwährung in Krisenzeiten» stellt für die Schweizer Produzenten weiteren Gegenwind dar.

Welche Unterschiede konnten Sie zwischen der ersten Welle im Frühjahr und der aktuellen feststellen?

Goethe: Die MEM-Branche weist komplexe Wertschöpfungsketten auf und ist stark vernetzt. So berichteten während der ersten Welle 42% der Unternehmen von Unterbrüchen in den Lieferketten. In der zweiten Welle waren es nur noch 17%. Dies zeigt, dass die Branche zu einem gewissen Grad gelernt hat, mit der Pandemie zu leben. Zum Beispiel haben die anfänglichen Transportengpässe in den Häfen abgenommen und sich das Zusammenspiel zwischen Lieferanten und Abnehmern den neuen Umständen angepasst. Der Auftragsmangel hat hingegen zugenommen: Im April 2020 waren 63% der Unternehmen davon betroffen, im Oktober waren es 86%. Das liegt daran, dass die Aufträge, welche zu Beginn der Pandemie noch in den Büchern waren, grösstenteils abgearbeitet wurden und nur wenig neue Aufträge hereingekommen sind.

Schon im 2019 gab es einen Rückgang der Aufträge für die MEM-Industrie. Inwiefern hat die Corona-Epidemie diese Situation noch verschärft?

Goethe: Das ist richtig. Die MEM-Branche befand sich bereits 2019 in einer Rezession. Die Ursache dafür waren primär geopolitische Unsicherheiten – wie der Handelskonflikt zwischen den USA und China – welche die Investitionen global bremsten. Zu Beginn des Jahres 2020 sah es noch so aus, als würde sich die Situation aufgrund einer Entspannung des Handelskonflikts verbessern. Mit der Corona-Pandemie hat sich dieser Silberstreifen am Horizont aber aufgelöst. Die Pandemie traf die MEM-Branche also in einer Phase der Schwäche. Dies zeigt sich zum Beispiel bei den Exporten: Im Jahr 2019 schrumpften die Exporte aller MEM-Branchen zusammengenommen um rund 2% gegenüber dem Vorjahr. In den ersten drei Quartalen 2020 waren es knapp 14% weniger (gegenüber den entsprechenden drei Vorjahresquartalen im Jahr 2019).

Gibt es Branchen innerhalb der MEM-Industrie, die vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sind?

Goethe: Die Hauptaggregate der MEM-Industrie (Metall, Elektro, Maschinen, Fahrzeugbau) waren 2020 alle im roten Bereich. Die MEM-Branche produziert aber ein breites Spektrum an Investitionsgütern, weshalb es nicht überrascht, dass einzelne Segmente weniger unter der Krise leiden oder vereinzelt sogar davon profitieren, weil sie einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Als Beispiel können Unternehmen genannt werden, die Filter und Reinigungsmaschinen herstellen. Hier sind die Exporte im Zeitraum März bis Oktober gegenüber Vorjahreszeitraum um 13% gestiegen. Auch im Bereich Zweiradfahrzeuge hat das Volumen der Ausfuhren zugenommen.

Welche Hilfen seitens des Bundes haben sich als besonders effektiv erwiesen? Welche nicht?

Goethe: Zwischen April und Oktober 2020 haben rund zwei Drittel der Swissmechanic-Mitgliedsunternehmen Kurzarbeit beantragt. Trotzdem berichten die Unternehmen zunehmend von Entlassungen (im Oktober war es jedes dritte Unternehmen). Die Kurzarbeit hat aber sicherlich dazu beigetragen, dass es bis jetzt nicht zu mehr Entlassungen gekommen ist. Weniger effektiv war das Kreditprogramm des Bundes: Der Anteil der Unternehmen mit Liquiditätsproblemen hat seit April, wo der Anteil bei 35% lag im Vergleich zum Oktober (24%) nur verhalten abgenommen.

Welche strukturellen Probleme der Branche sind durch die Epidemie besonders zum Vorschein getreten?

Goethe: Die Mittel für Zukunftsinvestitionen waren bereits im 2019 knapp. Das Problem hat sich 2020 akzentuiert: Mittlerweile gibt jedes dritte Unternehmen an, dass die notwendigen finanziellen Mittel für Zukunftsinvestitionen fehlen würden. Die Restriktion geht dabei stärker vom Eigen- als vom Fremdkapital aus. Verantwortlich dafür sind die Zunahme der Verschuldung, die Abnahme der Margen und der Anstieg des Liquiditätsbedarfs durch die Corona-Krise. Je länger die Investitionen in zukünftige Technologien und Businessmodelle aufgeschoben werden, desto stärker wird die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial der MEM-Branche mittel- bis langfristig leiden.

Wie sehen Sie die Chancen für 2021 und was kann auf Unternehmensseite kurzfristig verbessert werden?

Goethe: Über den Winter dürften sich die Exporte kaum substanziell erholen, weil das Wirtschaftsleben mit Ausnahme von vielleicht China in praktisch allen Absatzmärkten unter der Pandemie leidet. Hoffnungsvoll stimmt, dass die Wirtschaftsentwicklung bei einer schnellen Impfung der Bevölkerung bereits im Laufe des ersten Halbjahres 2021 Fahrt aufnehmen dürfte, wovon auch die MEM profitieren wird. Die Krise sollte von den Unternehmen genutzt werden, um das Risikomanagement und die Resilienz der Wertschöpfungsketten zu verbessern. Mehr denn je sollte dabei auch die Digitalisierung vorangetrieben werden.


Informationen

Zur Person/Firma

Roland Goethe, Präsident von Swissmechanic

Roland Goethe ist seit 2014 Präsident des Branchenverbands Swissmechanic, der die Interessen von rund 1'400 Unternehmen – wovon etwa 90% KMU sind – mit über 70'000 Mitarbeitenden vertritt. Der gelernte Werkzeugmacher ist zudem Geschäftsführer des auf Blechbearbeitung spezialisierten Unternehmens Goethe AG in Glarus.

Letzte Änderung 20.01.2021

Zum Seitenanfang

News und nützliche Informationen für Gründer und Unternehmer
https://www.kmu.admin.ch/content/kmu/de/home/aktuell/interviews/2021/die-pandemie-hat%20die-mem-industrie-in-einer-phase-der-schwaeche-getroffen.html