Die Bildung eines Verwaltungsrates kann anspruchsvoll sein. Seine Mitglieder bringen einem KMU häufig entscheidende Vorteile. Wie geht man vor, um eine gute Wahl zu treffen? Experten geben Tipps.
Jede Aktiengesellschaft ist gesetzlich dazu verpflichtet, einen Verwaltungsrat zu wählen. Als Aufsichtsorgan des Unternehmens hat dieser die Aufgabe, über die grossen strategischen Ausrichtungen der Firma zu entscheiden und für die Einhaltung der Statuten und der Gesetze zu sorgen. Die Verwaltungsratsmitglieder können aber auch eine wertvolle Ressource für die Geschäftsentwicklung sein. Ausserdem empfehlen Expertinnen und Experten, bei der Zusammensetzung auf unterschiedliche Profile und eine Mischung der Geschlechter zu achten, um insbesondere die Objektivität bei strategischen Entscheidungen zu erhöhen.
"In der Schweiz ist das Gesetz im Hinblick auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates relativ flexibel", sagt Michael Hilb, Präsident der Board Foundation, einer auf Unternehmensführung spezialisierten Non-Profit-Organisation, und des Swiss Institute of Directors. "So kann eine Firma bei ihren strategischen Entscheidungen von den Erfahrungen, Kompetenzen und Sichtweisen der VR-Mitglieder profitieren. Häufig kosten es weniger, einen kompetenten Verwaltungsrat für sich zu gewinnen, anstatt externe Berater in Anspruch zu nehmen." Wie sollte man bei der Wahl seines Verwaltungsrates vorgehen? Fünf Ratschläge.
1. Fähigkeiten passend zu den strategischen Herausforderungen wählen
Der erste Schritt besteht darin zu entscheiden, welche wesentlichen Eigenschaften für das Unternehmen mittelfristig von Nutzen sein werden. "Zum Beispiel könnte eine Firma bei einer Expansion Bedarf an spezifischen Kompetenzen haben, vor allem auf dem Gebiet der Kapitalisierung", sagt Michael Hilb. "Eine umfassende und präzise Sicht auf die Herausforderungen, die dem Unternehmen bevorstehen, hilft dabei zu entscheiden, welche Kompetenzen der gesuchte Verwaltungsrat haben sollte."
Die Firma VRMandat.com, eine Online-Plattform, die Kontakte zwischen Verwaltungsräten und Firmen vermittelt, zählt bei den Kandidatinnen und Kandidaten, die auf ihrer Website angemeldet sind, mehr als 70 Fachkompetenzen. Die Bereiche Strategie, Change Management, Erfahrung in der Unternehmensleitung und Digitalisierung sind dabei am stärksten vertreten. Einige spezifischere Kompetenzen in Themenfeldern wie Blockchain, IT-Sicherheit und Datenschutz werden von den Unternehmen jedoch ebenfalls geschätzt.
2. Persönliche Werte in den Fokus nehmen
"Anschliessend muss man sich fragen, wie der ideale Verwaltungsrat für das eigene Unternehmen aussehen würde", fasst Michael Hilb zusammen. Über die rein beruflichen Hard Skills hinaus sollte man insbesondere auf zusätzliche positive Eigenschaften setzen. "Verwaltungsräte können die Firma beispielsweise an ihrem Netzwerk und an neuen Geschäftsgelegenheiten auf dem Markt teilhaben lassen."
Auch Fähigkeiten auf Ebene des Verhaltens (sogenannte Soft Skills) sollten berücksichtigt werden. Laut Dominic Lüthi, Gründer von VRMandat.com, sind "Integrität, Zuverlässigkeit, Erfahrung und die Fähigkeit, künftige Herausforderungen der Firma zu bewältigen, die grundlegenden Eigenschaften eines guten VR-Mitglieds".
3. Unabhängigkeit anstreben
"In einem KMU ist es immer noch gängige Praxis, dass die Verwaltungsratsmitglieder aus der Familie oder dem Freundeskreis ausgesucht werden", stellt Dominic Lüthi fest. Dabei kann es für ein Unternehmen ein wertvoller Trumpf sein, von dem Abstand zu profitieren, den Verwaltungsratsmitglieder haben, die nicht mit der Leitung verbunden oder sogar vollkommen unabhängig sind. "Mit einer vielfältigen Zusammensetzung lassen sich deutlich bessere strategische Entscheidungen treffen, zudem werden die operativen Risiken reduziert sowie unabhängigere und objektivere Meinungsäusserungen gefördert."
4. Sich ausreichend Zeit nehmen
Da das Schweizer Recht auf diesem Gebiet relativ flexibel ist, wird empfohlen, sich für die Zusammenstellung seines VR-Teams Zeit zu nehmen. "In kleineren Unternehmen kann es sinnvoll sein, den Inhaber und den Geschäftsführer in Personalunion in den Verwaltungsrat aufzunehmen, zumindest in der ersten Zeit", erklärt Michael Hilb. "Anschliessendkönnen nach und nach weitere Mitglieder ausgewählt werden. Die Firma sollte sich Zeit lassen, diejenigen Profile auszuwählen, die am besten passen."
5. Über das eigene Netzwerk hinaus schauen
Nachdem die strategischen Herausforderungen erfasst und das ideale Profil für einen Verwaltungsrat definiert wurden, besteht die schwierigste Aufgabe häufig darin, die perfekte Person zu finden. "Es gibt verschiedene Möglichkeiten: über persönliche Netzwerke, Executive Search Firmen oder Online-Portale", sagt Michael Hilb.
Laut Domini Lüthi spielt die Internetsuche jedoch bisher nur eine untergeordnete Rolle. "Obwohl das Interesse bei den Unternehmen zunimmt, schätzen wir, dass derzeit weniger als 10% der Verwaltungsratsposten mit Hilfe von Vermittlungsdiensten besetzt werden."
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Mindestens 30% Frauen
2021 wurde in der Schweiz ein Gesetz verabschiedet, das für die Verwaltungsräte von börsenkotierten Unternehmen eine Frauenquote von mindestens 30% verlangt. Dieser "Comply oder explain"-Ansatz verpflichtet die Unternehmen dazu, diesen Anteil einzuhalten oder ihre Abweichung davon zu rechtfertigen. "Das ist sicherlich ein Schritt, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Es gibt viele qualifizierte Frauen und sie werden immer sichtbarer", meint Dominic Lüthi, Gründer und Geschäftsführer der Plattform VRMandat.com.
Diese Regelungen, die nur für weniger als 1% der Firmen in der Schweiz gelten, sollten jedoch nicht der einzige Antrieb für Veränderungen sein. "Auch andere Aspekte der Vielfalt wie Alter, geografische Herkunft oder Persönlichkeit sollten in den Verwaltungsräten gefördert werden. Verschiedene Profile bereichern zum Beispiel die strategische Entscheidungsfindung. Wir hoffen, dass diese Entwicklung von den Unternehmen selbst ausgeht und nicht nur von Vorschriften."
Letzte Änderung 04.09.2024