Der E-Commerce setzt nach dem enormen Boom im Jahr 2020 seinen Aufschwung weiter fort. Ein Überblick über die grossen Trends der Branche, vom Multichannel-Modell bis zur Online-Bestellung von Lebensmitteln.
Das Volumen der Onlinekäufe hat sich in den letzten sechs Jahren verdoppelt. Allein im Jahr 2021 kauften die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten für CHF 14,4 Milliarden Waren im Internet, was eine Zunahme um 9,9% bedeutet, wie aus einer Studie von Handelsverband.swiss in Zusammenarbeit mit dem Institut GfK und der Schweizerischen Post hervorgeht. Im Vorjahr (2020), also zu Beginn der Covid-19-Pandemie, war bereits ein Rekordanstieg von 27% erreicht worden.
"Die Pandemie wirkte als Beschleuniger", berichtet Nicolas Inglard. "Sie hat keine neuen Verhaltensweisen erzeugt, sondern diejenigen verstärkt, die schon im Kommen waren." Der Geschäftsführer von Imadeo, einer Genfer Firma für Analysen und Beratung im E-Commerce-Bereich, nennt als Beispiele Take-away, die immer schnellere Lieferung von Lebensmitteln nach Hause (fertiges Essen und Einkäufe), die verbreitete Nutzung von Online-Tools und das "Omnichannel"-Modell.
Verschiedene Kanäle
Das "Omnichannel"-Geschäftsmodell beinhaltet, dass man sowohl mit einem physischen Laden wie auch online und auf allen Kanälen, die einen Kundenkontakt ermöglichen, präsent ist, beispielsweise auch in den sozialen Netzwerken. "Je mehr Auswahlmöglichkeiten Sie dem Kunden über verschiedene Verkaufskanäle anbieten, desto mehr wird er bei Ihnen kaufen und Ihnen die Treue halten", erklärt Dominique Locher, ehemaliger Geschäftsführer von LeShop.ch, dem 1997 gegründeten Schweizer Pionier im E-Commerce.
Der Händler kann den Konsumentinnen und Konsumenten anbieten, direkt online einzukaufen, einen Artikel online zu reservieren und im Laden zu kaufen, etwas in der Filiale zu bestellen und sich nach Hause liefern zu lassen, die Lagerbestände im Internet zu prüfen oder sich die Produkte im Laden per Video anzusehen. "Wer als stationärer Händler jetzt nicht digital mitzieht, an dem zieht die vernetzte Angebotswelt vorbei", meint Ralf Wölfle, Autor der Studie "Commerce Report Schweiz 2021" der Fachhochschule Nordwestschweiz. "Die Konsumentinnen und Konsumenten schätzen heute die Freiheit, situativ entscheiden zu können, ob sie ihre Einkäufe selbst machen oder sich Produkte liefern lassen wollen."
Laut Nicolas Inglard betreffen diese Entwicklungen nicht nur die Leader im Detailhandel, sondern auch die KMU. "Es gibt eine grosse Vielfalt an leicht zu bedienenden technischen Lösungen", beobachtet er. Während des Teil-Lockdowns haben kleine Händler einfach WhatsApp-Videos genutzt, um ihren Kunden ihre Produkte zu zeigen.
Wachstumsbranchen
Elektronik, Bücher, Musik, Mode: Diese Produkte haben sich auf dem Online-Markt bereits durchgesetzt. Dominique Locher beobachtet, dass sich die aktuellen Investitionen auf Bereiche konzentrieren, die den digitalen Markt noch nicht erobert haben. "Gerade wird im E-Commerce viel Geld in die Lebensmittelbranche gesteckt, da es dort noch viel Potenzial gibt." So kaufen laut dem Detailhandelsverband Swiss Retail Federation (s. Kasten) nur 16% der Konsumentinnen und Konsumenten regelmässig Lebensmittel online ein, während der Anteil bei Elektronik 75% beträgt.
"Die Pandemie hat die Trends für alle Arten von Online-Lebensmittelkäufen beschleunigt: zum komplett selbst kochen, gewaschen und geschnitten, oder fertig zubereitet." Dominique Locher investiert selbst in "Quick Commerce", also die Lieferung von Lebensmitteln innert wenigen Minuten, ohne Reservierung eines Lieferfensters.
Der zweite grosse Bereich, in den derzeit viele Investitionen fliessen, ist laut dem ehemaligen CEO von LeShop die Kreislaufwirtschaft. "Auf dem Markt für Neuwaren sind die Karten grösstenteils schon verteilt, deshalb investieren kleinere Unternehmen und Start-ups in Second Hand und Vermietung."
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Wie die Kundschaft reagiert
Ende 2021 kaufte nur noch eine knappe Mehrheit (54%) weiterhin "hauptsächlich im Laden" ein, während es 2019 noch 61% waren. Mehr als ein Drittel (36%) kauft "sowohl online als auch im Laden" und nur 10% erledigen ihre Einkäufe "hauptsächlich online" (+3 Prozentpunkte gegenüber 2019). Die fehlende Möglichkeit, Produkte auszuwählen oder zu probieren, sowie die zusätzlichen Lieferkosten sind die Hauptargumente gegen den Online-Kauf.
Elektronik und Produkte der Kultursparte (Bücher, Musik) sind die Bereiche, in denen der E-Commerce den grössten Marktanteil eingenommen hat – von diesen wird nur ein Viertel "hauptsächlich im Laden" gekauft. Auf der anderen Seite generieren Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs nur 2% der Umsätze "hauptsächlich online" und 14% "sowohl im Laden wie auch online". Allerdings verzeichnet diese Sparte ein kräftiges Wachstum. Im Vergleich zu 2019 nahm der Online-Kauf in den Online-Supermärkten (LeShop.ch, Coop@home, Farmy) um 5 Prozentpunkte zu, bei Essensbestellungen (Eat.ch) waren es 2 Punkte und im Quick Commerce (Stash, Heymigrolino) 3 Punkte.
Und schliesslich sagten 39% der Befragten, der Umweltaspekt spiele bei ihrer Produkt- und Markenauswahl "eine wichtige Rolle", während 13% angaben, dass Nachhaltigkeit für ihre Entscheidungen keine Rolle spielt.
Quelle: Studie vom Dezember 2021 "Die neue Kundschaft des Schweizer Detailhandels", die von der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman für die Swiss Retail Federation durchgeführt wurde und auf Antworten von mehr als 2'000 Befragten in der Schweiz beruht.
Letzte Änderung 04.05.2022