"Regeneratives Wirtschaften geht über die Verringerung des ökologischen Fussabdrucks hinaus"

Die regenerative Wirtschaft, die als noch besser gilt als die Green Economy, findet in der Schweiz immer mehr Anhänger. Ein Gespräch mit Bertrand Klaiber, Leiter eines Start-up-Inkubators für diesen Bereich, der 2023 im EPFL Innovation Park gegründet wurde.

Immer mehr Unternehmen in der Schweiz orientieren sich am Prinzip der regenerativen Wirtschaft. Sie begnügen sich nicht mehr nur damit, nachhaltig zu sein, indem sie ihre Umweltauswirkungen begrenzen, sondern streben auch die Wiederherstellung von natürlichen Ressourcen und geschädigten Ökosystemen an. Das Lausanner Programm Tech4Regen im EPFL Innovation Park fördert Unternehmen, die mit Technologie einen positiven Einfluss auf Ökosysteme ausüben wollen. Bertrand Klaiber, ehemaliger CEO und Leiter dieses Programms, spricht über die Vorteile des Modells.

Inwiefern unterscheidet sich die regenerative Wirtschaft von anderen Modellen, die sich zum Beispiel auf ökologische Themen oder die Energiewende konzentrieren?

Bertrand Klaiber: Grüne Technologien zielen in der Regel darauf ab, die Umweltauswirkungen der Industrie zu reduzieren, beispielsweise in den Bereichen Energie, Materialverbrauch, Verschmutzung oder Abfall. Sie verbessern das traditionelle lineare Wirtschaftsmodell, das auf dem Abbau von Ressourcen beruht, ohne es grundsätzlich in Frage zu stellen. Dabei wissen wir, dass die natürlichen Ressourcen begrenzt sind.

Seit 2023 haben wir sechs der neun weltweiten Grenzen überschritten, die notwendig wären, um die Lebensfähigkeit der Erde zu erhalten. Während die Folgen in der Schweiz noch nicht so besorgniserregend sind, sehen wir doch in der globalisierten Welt bereits die Auswirkungen dieser Überschreitungen. Das Hochwasser der Rhône in Siders im letzten Sommer hat beispielsweise die Aluminiumunternehmen Constellium und Novelis mehr als CHF 100 Millionen gekostet, wovon auch grosse Automobilkonzerne mit Verlusten zwischen CHF 1 und 2 Milliarden betroffen waren, da sämtliche Baureihen Karosserieteile aus Aluminium enthalten, die von Novelis gefertigt werden. Vor diesem Hintergrund setzen sich Akteure dafür ein, Lösungen für die Regeneration der Ressourcen, der Umwelt und des Klimas zu finden. Regeneratives Wirtschaften geht über die Verringerung des ökologischen Fussabdrucks hinaus; es zielt auf eine strukturelle Veränderung ab, um wieder eine stabile Zone zu schaffen, damit die Wirtschaft im weiteren Sinne florieren kann.

Im EPFL Innovation Park wollen sie die Situation mit Hilfe des Start-up-Inkubators Tech4Regen verbessern?

Klaiber: Die Start-ups sind ein hervorragendes Labor, um regenerative Lösungen zu entwickeln und zu testen und aufzuzeigen, dass es Alternativen gibt. Die Unternehmerinnen und Unternehmer, die am Programm Tech4Regen teilnehmen, glauben an eine bessere Welt. Sie sind agil und dynamisch und können gegen die Trägheit der grösseren Industriefirmen ankämpfen, indem sie sich anschliessend in deren Dienst begeben. Um an dem Programm teilzunehmen, reicht es nicht, Prozesse zu optimieren, sondern man muss einen echten Paradigmenwechsel herbeiführen wollen. Wichtig ist, dass wir diesen Firmen nicht bei der Entwicklung von Technologien helfen; diese wurden bereits im Labor und idealerweise auch in der Praxis erprobt. Wir bringen ihnen vielmehr die Hilfsmittel, um die nächste Phase ("Scale-up") zu erreichen. Wir unterstützen sie bei der Entwicklung ihres Geschäftsmodells, der industriellen Umsetzung, der Suche nach Finanzierungen, Kunden, Märkten usw.

Haben Sie einige Beispiele für vielversprechende Geschäftsmodelle?

Klaiber: Eines der Start-ups aus unserem Programm, Alien Limited, hat eine Lösung gefunden, um die Quagga-Muscheln auszurotten, eine invasive Art, die für die Biodiversität der Schweizer Seen ein Problem ist. Alien Limited hat ein System entwickelt, um sie herauszusammeln, aus ihren Schalen den Kalk zu extrahieren, der dann an Zementfirmen verkauft wird (die ihn sonst im Bergbau gewinnen würden), und dabei noch Energie zu produzieren. Es handelt sich um ein komplettes Modell mit dreifach positiver Wirkung. Ein weiteres Beispiel sind die Firmen Gaia Tech und Proseed, die Abfälle aus der Lebensmittelindustrie wiederverwerten, um daraus Antioxidantien für Kosmetika oder ballaststoff- und proteinreiche Zutaten herzustellen, die dann wieder in die Lebensmittelindustrie einfliessen. Und das Unternehmen CompPair hat einen reparablen Verbundstoff entwickelt, für Fälle wie Kratzer, Stösse oder wenn das Material an Widerstandsfähigkeit verliert. Diese Technologie lässt sich in bestehende Produktionslinien integrieren und kann Firmen unterstützen, die Reparaturdienste anbieten, die Wirtschaft also eher auf Dienstleistungen als auf Massenproduktion ausrichten wollen. Dank der Technologie kann der Lebenszyklus von Verbundwerkstoffen verlängert werden, bevor diese irgendwann zu Abfall werden.

Gerade fand in Genf der Anlass "Entreprendre pour régénérer" statt. Auf welchem Stand ist dieses Ökosystem in der Schweiz Ihrer Meinung nach?

Klaiber: In Genf gab es mehr als 300 Teilnehmende aus dem Kreis der Verwaltungen, Banken und auch Privatinvestoren, die alle von der Bedeutung dieses Themas überzeugt sind. Jetzt muss man es schaffen, die grossen Institutionen und Industriefirmen in Bewegung zu bringen, genau wie die Pensionskassen, für die die Vorsorge im weiteren Sinne das wichtigste Thema sein dürfte.

Was würden Sie jungen Unternehmerinnen und Unternehmern oder einem KMU raten, wenn es um die Umsetzung eines "regenerativen" Geschäftsmodells geht?

Klaiber: Mein erster Tipp wäre, dass sie sich eher auf die Auswirkungen ihres Produkts konzentrieren als auf die ihrer Betriebsabläufe. Stark vereinfacht kann man sagen, wenn man es schafft, eine regenerative Lösung an ein grosses Unternehmen zu verkaufen, das diese in zehntausende Produkte einbaut, wird das stärker zur kollektiven Anstrengung für die Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen beitragen, als wenn die eigenen Mitarbeiter mit dem Fahrrad kommen. Mein zweiter Tipp ist, von dem Grundsatz auszugehen, dass man nie zu klein ist: Ein im kleinen Massstab entwickeltes Projekt kann neue Perspektiven eröffnen und andere Akteure innerhalb der Produktionskette überzeugen.


Zur Person/Firma

Bertrand Klaiber, Leiter des Programms Tech4Regen

Bertrand Klaiber hat sein Diplom als Elektroingenieur an der EPFL erworben und verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in den Cleantech- und Medtech-Industrien. Von 2015 bis 2022 war er als Gründer und CEO des Start-ups Pristem tätig (teleradiologische Dienste und batteriebetriebene medizinische Röntgensysteme). 2023 lancierte er das Programm Tech4Regen im EPFL Innovation Park.

Letzte Änderung 21.05.2025

Zum Seitenanfang

News und nützliche Informationen für Gründer und Unternehmer
https://www.kmu.admin.ch/content/kmu/de/home/aktuell/interviews/2025/regeneratives-wirtschaften-ueber-fussabdruck-hinaus.html