"Der Rekrutierungsprozess ist zu einer beidseitigen Bewertung geworden"

Bewertungsplattformen wie Glassdoor, Indeed oder Kununu bieten Bewerberinnen und Bewerbern die Möglichkeit, sich über die Arbeitsweise und die Werte eines Unternehmens zu informieren. Christoph Jordi, Gründer der Beratungsfirma DoDifferent, erklärt, wie diese Plattformen die Arbeit der Personalabteilungen verändert haben.

Hotels und Restaurants sind nicht mehr die einzigen, denen Noten vergeben werden und die mit Kommentaren der Internetuser umgehen müssen. Auch Unternehmen sind seit einigen Jahren damit konfrontiert. Bewertungsplattformen ermöglichen es aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden, ihre Erfahrungen zu teilen und geben Bewerbenden wertvolle Einblicke in die Unternehmenskultur, Arbeitsweise und Führungsstile von potenziellen Arbeitgebern. Laut einer Studie der Personalagentur Robert Half glauben 67% der Personalverantwortlichen, dass diese Plattformen einen grösseren Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen haben, als es vor drei Jahren der Fall war. Christoph Jordi, Gründer der Beratungsfirma DoDifferent, ist der Ansicht, dass die KMU diese Kommentare nicht mehr ignorieren können.

Was haben Bewertungswebsites in den Rekrutierungsprozessen der Unternehmen verändert?

Christoph Jordi: Sie haben vor allem für Transparenz gesorgt. Ein Bewerber kann sich nun noch vor der Bewerbung ein detailliertes Bild von dem Unternehmen machen, das über das hinausgeht, was die Organisation in ihrer offiziellen Präsentation vermittelt. Auch wenn man sich auf Seiten wie LinkedIn ebenfalls eine Meinung bilden kann, enthalten die Bewertungsplattformen gezieltere Ansichten, insbesondere zu der Arbeitsweise oder den Werten einer Firma.  Der Rekrutierungsprozess ist zu einer beidseitigen Bewertung geworden. Wer sich bewirbt, hat heute Instrumente zur Verfügung, die ihm bei der Entscheidung helfen, genau wie der Arbeitgeber, der somit nicht mehr als einziger in der Machtposition ist.

Welche Themen werden am häufigsten auf diesen Plattformen behandelt?

Jordi: Der Managementstil, die Work-Life-Balance und Social Benefits sind verbreitete Themen. Auch der Lohn wird bewertet, genau wie die Entwicklungsmöglichkeiten, die Unternehmenskultur, die Arbeitsatmosphäre in den Teams und die Transparenz in den Entscheidungsprozessen.

Wie lassen sich authentische Bewertungen von denjenigen unterscheiden, die zum Beispiel auf dem Bedürfnis beruhen, mit einem Unternehmen abzurechnen?

Jordi: Das ist die grösste Schwäche dieser Websites. Sie werden oft von wütenden, enttäuschten oder frustrierten Beschäftigten genutzt, die einen Raum suchen, in dem sie ihrem Ärger mit einer schlechten Bewertung Luft machen können. Einzelne extreme Meinungen lassen sich meist leicht erkennen, während sich wiederkehrende Kritikpunkte oft als Hinweise auf strukturelle Schwächen im Unternehmen interpretieren lassen. Das Bewerbungsgespräch ist für die Bewerber eine Gelegenheit, diese Aspekte zu thematisieren, indem sie den Arbeitgeber bitten, zu diesen wiederkehrenden Bemerkungen Stellung zu beziehen.

Ausserdem kann ein Arbeitgeber seine Beschäftigten dazu anregen, positive Kommentare über das Unternehmen zu schreiben. Man muss aber aufpassen, dieses Mittel nicht übermässig in Anspruch zu nehmen, da man sonst an Glaubwürdigkeit verliert - vor allem, wenn diese Kommentare alle vom HR-Team stammen. Es geht darum, glaubwürdig zu bleiben.

Wie kann ein Unternehmen bzw. besonders die Personalabteilung diese Bewertungen steuern?

Jordi: Man muss proaktiv bleiben, um keine Überraschungen zu erleben, und vorausschauend damit umgehen, was die Beschäftigten möglicherweise schreiben könnten. Dazu gehört insbesondere eine klare und respektvolle Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Bei einer Kündigung beispielsweise sollte sich der Arbeitgeber immer bewusst sein, wie er den Arbeitnehmer behandelt und wie er mit ihm spricht. Wenn sich ein Angestellter allein und unverstanden fühlt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Unzufriedenheit auf solchen Plattformen zum Ausdruck bringt.

Ich rate hingegen davon ab, in demselben Ton zu antworten wie ein verärgerter Mitarbeiter bzw. ehemaliger Mitarbeiter. Es ist wichtig, immer etwas Abstand zu nehmen, bevor man eine Antwort formuliert.

Welche Auswirkungen können diese Bewertungen auf die Reputation und das Image eines Unternehmens haben?

Jordi: Im Moment sind die Auswirkungen bei Unternehmen im Vergleich noch nicht so stark wie bei Hotels oder Restaurants. Viele Unternehmen beschäftigen sich nicht sonderlich mit diesen Kommentaren. Es ist jedoch sehr wichtig, im Blick zu haben, was auf diesen Seiten geschrieben wird. Negative Bewertungen können reale Konsequenzen für den Ruf des Unternehmens haben. Eine intakte Firma, die gut mit ihren Beschäftigten kommuniziert, hat aber an sich nichts zu befürchten.

Wie kann man diese Bewertungsplattformen zu einer Stärke machen und sie nutzen, um seine Arbeitgebermarke zu verbessern?

Jordi: Man muss aktiv mit diesen Plattformen arbeiten, auf Kommentare antworten und zufriedene Mitarbeitende dazu bringen, sich in ihren eigenen Worten zu äussern, indem man sie ermutigt, wirklich zu sagen, was sie denken.

Entscheidend ist es auch, transparent zu sein und zum Beispiel über Massnahmen zu berichten, die ergriffen wurden, um bestimmte Prozesse zu verbessern. Das Wichtigste ist, authentisch zu bleiben und zuzuhören. Mit anderen Worten, an seiner Arbeitgebermarke zu arbeiten. Die junge Generation sucht nach Authentizität und will sich mit einer Marke identifizieren können. Sie will für ein Unternehmen arbeiten, das ihre Werte teilt und in dem sie sich weiterentwickeln und entfalten kann. Eine Firma, die zeigen kann, dass sie sich für diese Fragen interessiert, stellt damit ihre Reife und Glaubwürdigkeit unter Beweis.


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Der Rekrutierungsprozess ist zu einer beidseitigen Bewertung geworden

Christoph Jordi ist Gründer und Inhaber des Beratungsunternehmens DoDifferent, das auf Strategie, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung spezialisiert ist. Er hat zudem einen Lehrauftrag für "New Work" an der Fachhochschule Graubünden (FHGR), sitzt im Verwaltungsrat der Familie Wiesner Gastronomie AG und ist Präsident der Stiftung IdéeSport.

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Letzte Änderung 07.01.2025

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