"Die OECD-Leitsätze bieten strategische Vorteile für ein KMU"

Der "Verhaltenskodex" für verantwortungsvolle multinationale Unternehmen, der in über 50 Ländern einschliesslich der Schweiz anerkannt ist, wurde kürzlich überarbeitet. Welche Neuerungen gibt es und inwiefern sind diese für KMU relevant? Antworten von SECO-Expertin Nadja Meier.

Seit der letzten Anpassung der Leitsätze für multinationale Unternehmen (aus dem Jahr 2011) sind viele neue Herausforderungen hinzugekommen: Der Klimawandel hat sich beschleunigt, die künstliche Intelligenz hat sich erheblich weiterentwickelt und auch die Probleme im Bereich Cybersicherheit haben zugenommen, um nur einige Beispiele zu nennen. Um diese Entwicklungen zu berücksichtigen, haben 51 Staaten, darunter die Schweiz, im 2023 eine neue Version des Textes der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verabschiedet.

Diese Leitsätze sind für alle Schweizer KMU von Bedeutung, besonders aber für diejenigen, deren Tätigkeit sich auch über die Landesgrenzen hinaus auswirkt. Sie umfassen alle Bereiche der verantwortungsvollen Unternehmensführung: Menschen- und Arbeitsrechte, Umwelt, Korruption, Verbraucherschutz, Wettbewerb, Besteuerung usw. In der Schweiz ist der an das SECO angegliederte Nationale Kontaktpunkt für verantwortungsvolle Unternehmensführung dafür zuständig, für die Durchsetzung des Textes zu sorgen. Eine seiner Mitarbeiterinnen, Nadja Meier, erläutert die Herausforderungen für kleine und mittlere Unternehmen.

Welche neuen Hauptthemen wurden 2023 in den Text aufgenommen?

Nadja Meier: Die wichtigsten Änderungen betreffen die Empfehlungen an Unternehmen, sich an international vereinbarten Zielen zum Klimawandel und zur biologischen Vielfalt zu orientieren. Firmen sollten insbesondere sicherstellen, dass sie wissenschaftlich fundierte Massnahmen, Strategien und Übergangspläne zum Klimaschutz einführen und umsetzen.

Zudem fördern die Unterzeichnerstaaten nun eine Sorgfaltsprüfung bei der Entwicklung, dem Handel und der Nutzung von Technologien. Ein Arbeitgeber, der z.B. künstliche Intelligenz bei der Rekrutierung einsetzt, sollte prüfen, dass keine Diskriminierung stattfindet und persönliche Daten geschützt werden.

Schliesslich wurden die Empfehlungen zur Sorgfaltsprüfung auf alle Formen der Korruption ausgeweitet. Die Unternehmen sollen somit jede Art von Korruption vermeiden, sei es keine Bestechungsgelder anbieten oder verlangen wie auch keine Sponsorengelder und wohltätige Spenden missbrauchen.

Die Leitsätze richten sich an multinationale Unternehmen. Warum sind sie auch für Schweizer KMU relevant?

Meier: Viele Schweizer KMU handeln und investieren auch grenzüberschreitend. Ihre eigene Tätigkeit oder jene ihrer Geschäftspartner kann auch zu negativen Auswirkungen im Ausland führen. Das Ausmass der Sorgfaltsprüfung hängt von der Grösse des Unternehmens, der Art der Aktivität und der Region ihrer Tätigkeit ab. Die OECD hat spezifische Leitfäden zur Sorgfaltsprüfung für den Rohstoff-, den Landwirtschafts-, den Textil- und den Finanzsektor entwickelt. Die kontinuierliche Überprüfung der Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen ist vor allem für jene KMU wichtig, bei denen sich die Situation der Geschäftspartner und/oder der Länder und der Sektoren, in denen sie tätig sind, stets verändert.

Welche Vorteile hat verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln für ein KMU?

Meier: Es bietet strategische Vorteile. Mit einer Sorgfaltsprüfung können zunächst neue Risiken im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen frühzeitig erkannt werden. Damit können Lieferausfälle vermindert und die Produktivität gesteigert werden. Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung trägt auch zur Innovation bei, indem z.B. Produkte für einen Premiummarkt oder ressourcenschonende Verfahren entwickelt werden. Nicht zuletzt trägt sie zum guten Ruf des Unternehmens bei. Tatsächlich erwarten Investoren, Regierungen, Kunden und Verbrauchende vermehrt, dass Firmen ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt kennen und vorsorgliche Massnahmen treffen, um negative Auswirkungen möglichst zu vermeiden.

Der Text ist ein detaillierter, nicht verbindlicher Verhaltenskodex - Was passiert, wenn es zu einer Beschwerde kommt?

Meier: Der Schweizer Nationale Kontaktpunkt (NKP), der für die Durchsetzung des Textes sorgt, steht bei Eingaben zu angeblichen Verstössen gegen die OECD-Leitsätze als aussergerichtliche Schlichtungsstelle zur Verfügung. Er prüft die Eingabe in Bezug auf den Geltungsbereich dieser Leitsätze und veröffentlicht dann einen begründeten Entscheid, ob er den Parteien eine Mediation anbietet. Mit Blick auf die für eine erfolgreiche Mediation wichtige Vertrauensbildung zwischen den Parteien findet das Vermittlungsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Ziel ist, dass sich die Parteien im Dialog auf eine zukunftsorientierte Lösung einigen. Nach der Mediation publiziert der NKP einen Abschlussbericht über das Ergebnis und richtet Empfehlungen an die Parteien.

Welche Ansprechpartner oder Hilfsmittel können für einen Unternehmer, der an diesen Fragen interessiert ist, nützlich sein?

Meier: Der NKP steht für Fragen und Bemerkungen zu den OECD-Leitsätzen jederzeit zur Verfügung. Falls sich ein Unternehmen mit anderen Firmen austauschen will, kann es sich an das Global Compact Netzwerk Schweiz wenden, das vom Bund unterstützt wird. Es organisiert Anlässe und bietet eine Mitgliedschaft an. Das digitale Tool CSR Risk Check kann insbesondere Schweizer KMU helfen, die im Ausland tätig sind (z.B. Import, Export, Produktion), ihre Sozial-, Umwelt- und Governance-Risiken in der Wertschöpfungskette zu bewerten.


Informationen

Zur Person/Firma

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Nadja Meier hat einen Master im Fach Internationale Beziehungen am Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung in Genf absolviert und einen zweiten in Internationalem Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich. Seit 2015 arbeitet die wissenschaftliche Mitarbeiterin zu den OECD-Leitsätzen im Ressort Internationale Investitionen und multinationale Unternehmen des SECO.

Letzte Änderung 03.04.2024

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