"Die technologische Unterstützung in der Landwirtschaft wird zunehmen"

An der Spitze von atypischen KMU sind Landwirte heute dazu gezwungen, ihre Geschäftsmodelle anzupassen, um den wirtschaftlichen Herausforderungen und ökologischen Anforderungen gerecht zu werden. Hansruedi Häfliger, Leiter des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg im Kanton Aargau, spricht über die Herausforderungen und Chancen für die Landwirtschaft von Morgen.

Alle Akteure im Landwirtschaftssektor, ob in der Vieh- oder Pflanzenzucht oder im Weinbau, müssen neue Lösungen erproben, um nachhaltig zu wirtschaften und ihre Zukunft zu sichern. Einige dieser Lösungen werden im Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg, dem Aargauer Kompetenzzentrum für Landwirtschaft, Hauswirtschaft und Ernährung, erarbeitet. Die Einrichtung bietet sowohl Grund- als auch Weiterbildungen an – im letzten Jahr zählte sie über alle Bildungsgänge hinweg 430 Lernende – und ist an verschiedenen innovativen Projekten beteiligt. Der Leiter des Zentrums Hansruedi Häfliger erläutert die aktuellen und künftigen Herausforderungen in diesem Sektor.

Was sind die grössten Herausforderungen, vor denen die Schweizer Landwirte heute stehen?

Hansruedi Häfliger: Da sind vor allem die administrative Belastung, die unfaire Margenverteilung sowie die ideologischen und wohlstandsgeprägten Diskussionen zu nennen. In diesen Diskussionen rund um den Ernährungs- und Umweltbereich und den ländlichen Raum wird die Systemrelevanz der Landwirtschaft häufig nicht berücksichtigt. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, hinterherhinkende Gesetzgebungen in relevanten Bereichen wie Raumplanung oder Digitalisierung einschliesslich künstlicher Intelligenz und produktionstechnische Einschränkungen (z.B. fehlende Wirkstoffe und mangelnde Alternativen).

Welche Möglichkeiten gibt es, darauf zu reagieren?

Häfliger: Es geht darum, eine Gewichtung der bestehenden Zielkonflikte vorzunehmen und einen grösseren und faireren unternehmerischen Handlungsspielraum zu schaffen. Sonst wird die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft mit einem weiter sinkenden Selbstversorgungsgrad an Bedeutung verlieren. Langfristig führt kein Weg an der Nachhaltigkeit vorbei und diese definiert sich über die drei Indikatoren Ökonomie, Ökologie und Soziales. Viele Betriebe nehmen die aktuellen Diskussionen als einseitig ökologisch geprägt war, was keine echte Nachhaltigkeit darstellt.

Können Sie einige der Nachhaltigkeitsprojekte des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg vorstellen?

Häfliger: Im Bereich der Ökologie sind wir beispielsweise zusammen mit den Kantonen Thurgau, Zürich und dem Bund Partner beim Projekt "Pflanzenschutzoptimierung mit Precision Farming" (PFLOPF). Dessen Ziel ist es, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln durch Precision-Farming-Technologien zu optimieren. Im Ökonomie-Bereich arbeiten wir zusammen mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) an möglichen Vorteilen von Agri-Photovoltaik, also von der Kombination aus Stromerzeugung und landwirtschaftlicher Produktion auf Freiflächen. Die sozial orientierten Projektansätze zielen vor allem auf Arbeitserleichterungen und Hilfestellungen auf Stufe Unternehmensführung. Als Beispiele können die Entwicklung einer Bewässerungs-App oder die Erprobung von SmartCow-Ohrenmarken genannt werden.

Welche neuen Technologien sind für Landwirte heute am nützlichsten? Und morgen?

Häfliger: Da gibt es beispielsweise den bildgestützten Einsatz von Hackrobotern und Drohnen, die satellitengesteuerte Lenkung von Traktoren oder das robotergestützte Melken von Kühen. Diese Precision-Farming-Technologien beschränken sich aber mehrheitlich auf ein Technik-System.

Zukünftige Technologien werden in der Lage sein, Systeme zu vernetzen, Services zu integrieren und die Arbeit zu dokumentieren. Heutige Entscheidungen des Betriebsleiters werden zukünftig auf der Grundlage von gesammelten Daten und künstlicher Intelligenz vermehrt von digitalen Systemen getroffen. Insgesamt dürfte sich die Landwirtschaft in den drei Nachhaltigkeitsbereichen positiv entwickeln, sofern die Technologien im Sinne der Bauernfamilien angewandt und nicht für Kontrollzwecke missbraucht werden.

Können Sie das Konzept des Farm Designings erklären und wie Landwirte davon profitieren können?

Häfliger: Dabei handelt es sich um einen Prozess in der Landwirtschaft, der dazu beiträgt, die Produktivität und Effizienz eines Bauernhofs zu maximieren. Im Grunde genommen geht es darum, den physischen Layout und die Betriebsabläufe zu planen und zu gestalten. Dies kann die Positionierung von Feldern, Gebäuden, Zäunen, Wasserquellen, Wegen und anderen wichtigen Aspekten umfassen. Farm Designing berücksichtigt auch, wie Ressourcen wie Wasser, Boden und Energie am effizientesten genutzt werden können. Durch eine sorgfältige Planung und Gestaltung des Bauernhofs können Landwirte eine Reihe von Vorteilen erzielen. Dazu gehören eine verbesserte Produktivität, eine effizientere Nutzung von Ressourcen, eine Reduzierung von Abfällen und Kosten, Verbesserungen bei Tiergesundheit und Tierwohl sowie eine geringere Umweltbelastung.

Ist die Zukunft der Landwirtschaft rein technologisch?

Häfliger: Nein, es wird ein Mix aus technologischen Innovationen und traditionellem Know-how sein. Sicher ist, dass weniger Menschen die Arbeiten auf den Betrieben verrichten werden. Die technologische Unterstützung in der Landwirtschaft wird zunehmen. Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird weiter Fuss fassen. Anbautechniken werden sich den Rahmenbedingungen anpassen. Bedingt durch die Wetterveränderungen werden der Witterungsschutz sowie neue Formen wie Agri-PV noch wichtiger. Und auch die Ressourceneffizienz und die noch konsequentere Nutzung der Kreisläufe wird an Bedeutung gewinnen.


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Zur Person/Firma

Hansruedi Häfliger, Leiter des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg

Hansruedi Häfliger hat Agronomie und Unternehmenskommunikation studiert und leitet seit 2014 das Landwirtschaftliche Zentrum Liebegg. Das Zentrum mit Sitz in Gränichen (AG) beschäftigt rund 80 Mitarbeitende mit 45 Vollzeitstellen. Das Aargauer Institut ist zudem Veranstalter der Open Farming Hackdays, die als Innovationsplattform für die Gestaltung der Landwirtschaft von Morgen dienen und im Frühjahr 2024 zum nächsten Mal stattfinden werden.

Letzte Änderung 26.07.2023

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