"Die digitale Transformation ist eine grosse Chance für die ländlichen Gemeinden"

Neben der Privatwirtschaft und den grossen Einrichtungen der öffentlichen Hand arbeiten auch die Gemeinden an ihrem digitalen Wandel. Der Verein "Myni Gmeind" hat vor Kurzem ein Kursprogramm für Abgeordnete und Mitarbeitende der Gemeinden lanciert. Auch für KMU ist das Thema von Belang, wie Vereinspräsident Alexander Sollberger erklärt.

Fast alle (97%) Vertreterinnen und Vertreter der 760 befragten Schweizer Gemeinden betrachten die Digitalisierung als echte Chance. Jedoch erklären 60% von ihnen, sie seien auf diesem Gebiet "Nachzügler", und nur 2% sehen ihre Gemeinde als Vorreiter. Das sind die Erkenntnisse aus der vom Schweizerischen Gemeindeverband in Zusammenarbeit mit dem Verein "Myni Gmeind" durchgeführten Studie. Der Verein wurde 2018 mit dem Ziel gegründet, die Gemeinden bei der Verbesserung der Lebensqualität und der Erhöhung der wirtschaftlichen Attraktivität zu unterstützen, wozu er unter anderem im letzten Jahr den zweitägigen Kurs "Digital-Pionier" lanciert hat, mit dessen Hilfe den kommunalen Verwaltungen dieser Wandel besser gelingen soll. Das SECO, insbesondere das Ressort Regional- und Raumordnungspolitik, trägt als Mitglied der Programmkommission zu dieser Ausbildung bei, indem es Referenten stellt und über die Aktivitäten rund um den "Digitalen Pionier" und den Verein "Myni Gmeind" berichtet. Das Thema ist auch für KMU von Belang, da die Gemeinden sich bessere digitale Tools und Kenntnisse aneignen wollen, um ihre wirtschaftliche Attraktivität zu steigern. Der Kurs, der bisher nur in deutscher Sprache abgehalten wird, soll ab Oktober 2023 auch auf die Westschweiz ausgedehnt werden.

Inwiefern kann eine bessere Nutzung digitaler Technologien durch die Gemeinden ihre Attraktivität bei den Unternehmen erhöhen?

Alexander Sollberger: Die Hauptaufgabe besteht darin, die Verwaltungsabläufe zu vereinfachen. Zum Beispiel die Erteilung von Bewilligungen. Bei einem Grundkurs "Digital-Pionier" brachte eine Teilnehmerin ein konkretes Fallbeispiel: Um ein Restaurant zu eröffnen, musste der Betreiber neun verschiedene Behörden aufsuchen, viele davon physisch vor Ort. Mit der Einrichtung von gemeinsamen Online-Portalen für Gemeinden und Kantone können die Unternehmen alle erforderlichen Bewilligungen mit wenigen Klicks beantragen, ähnlich wie bei den von EasyGov angebotenen Dienstleistungen.

Kann diese digitale Attraktivität die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in anderen Bereichen ausgleichen, beispielsweise die schlechte Verkehrserschliessung?

Sollberger: Ja, die digitale Transformation ist eine grosse Chance für die ländlichen Gemeinden und Bergregionen. Zum Beispiel wird durch Online-Meetings die Arbeit im Homeoffice begünstigt, wodurch weniger Arbeitskräfte in die städtischen Zentren abwandern. Darüber hinaus tragen Projekte wie die "Digitale Dorfstrasse Adelboden" (Anm. d. Red.: ein gemeinsamer Online-Shop der Händler des Dorfes. Dieses Projekt wurde gemeinsam vom Bund und dem Kanton Bern im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) unterstützt, weitere Infos auf regiosuisse.ch) dazu bei, die Attraktivität des lokalen Handwerks zu steigern, sodass die Wertschöpfung im Dorf erhalten bleibt. In einigen Walliser Weilern entstehen auch hybride Lebensmittelläden. Dank einer einfachen technologischen Lösung können die Kunden dort zum Beispiel autonom ausserhalb der Öffnungszeiten einkaufen, die sich oft auf den Vormittag konzentrieren.

Gibt es bei der Digitalisierung eine Kluft zwischen Stadt und Land?

Sollberger: Die ländlichen Gemeinden stehen beim digitalen Wandel nicht zwangsläufig schlechter da als die städtischen Gemeinden. Gerade in den abgelegenen Regionen gibt es viele Vorreiter, die sich dafür einsetzen, das Thema voranzubringen. Einigen Gemeinden gelingt es, konkrete Vorteile für die Bevölkerung und die Unternehmen zu schaffen, zum Beispiel die Digitalisierung der Verwaltungsabläufe oder auch die Verbesserung von öffentlichen Dienstleistungen wie dem Abfallmanagement. Wir stellen jedoch fest, dass die Städte und die grossen Gemeinden in der Regel über mehr Mittel verfügen, um diesen Wandel umzusetzen, besonders beim Personal, sodass sie zum Beispiel einen "Chief Digital Officer" einstellen können.

Grundkenntnisse reichen nicht aus, um ein hohes Digitalisierungsniveau zu erreichen. Müsste man nicht weiter gehen, indem man beispielsweise eine fortlaufende Weiterbildung anbietet?

Sollberger: Der Grundkurs "Digital-Pionier" besteht aus fünf Modulen und reagiert auf den aktuell dringendsten Bedarf in vielen Gemeinden. Das Ziel ist, Grundlagen der digitalen Transformation zu vermitteln, ohne den Beschäftigten zu viele Termine aufzubürden. Besonders die Mitarbeiter in der Verwaltung arbeiten oft schon am Limit ihrer Kapazitäten, und die Digitalisierung ist eine enorme Zusatzaufgabe. Vor diesem Hintergrund hätte eine mehrmonatige Weiterbildung eher eine abschreckende Wirkung. Uns geht es darum, Hürden abzubauen, anstatt neue zu schaffen. Ausserdem bieten die Fachhochschulen mittlerweile auch CAS (Anm. d. Red.: Weiterbildungsstudiengänge) mit Schwerpunkt Digitalisierung an. Es ist nicht unser Ziel, ihnen Konkurrenz zu machen.

Der Kurs "Digital-Pionier" richtet sich in erster Linie an die Abgeordneten und Mitarbeitenden der Gemeinden. Sollte man nicht auch Wirtschaftsakteure einbinden?

Sollberger: Die Kurse sind offen für alle Personen aus dem Ökosystem der Gemeinde, also sind Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen ebenfalls willkommen! Doch als Verein, der sich den kommunalen Verwaltungen widmet, beschäftigen wir uns hauptsächlich mit den Herausforderungen, vor denen die Gemeinden stehen. Die digitale Transformation zielt im öffentlichen Sektor nicht auf die gleichen Themen ab wie in der Privatwirtschaft. Es geht hier nicht darum, Geschäftsprozesse zu digitalisieren, sondern darum, Instrumente für die Bevölkerung zu entwickeln und zu steuern, damit deren Interaktionen mit den Behörden vor Ort erleichtert und ausgebaut werden.


Informationen

Zur Person/Firma

Alexander Sollberger, Präsident des Vereins "Myni Gmeind"

Alexander Sollberger hat Management und Betriebswirtschaft studiert und ist heute CEO der Firma Swiss Smart Media, die auf Beratung zum Thema digitale Transformation sowie auf Softwareentwicklung spezialisiert ist. Ferner ist er an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) als Dozent für E-Marketing und digitale Transformation tätig. Seit 2018 ist er Präsident des Vereins "Myni Gmeind", der die Schweizer Gebietskörperschaften bei ihrem digitalen Wandel begleiten will.

Letzte Änderung 15.03.2023

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