"Für einen Unternehmer ist der amerikanische Markt wie die Champions League"

In den USA findet Swiss made unter Konsumenten und Unternehmen immer mehr Anhänger. Der CEO der Handelskammer Schweiz-USA gibt Schweizer KMU, die sich diesen Markt erschliessen wollen, hilfreiche Einblicke.

Als zweitgrösster Exportmarkt für die Schweiz (nach Deutschland) und mit einem Umsatz von CHF 68,8 Milliarden im Jahr 2020 sind die USA für Schweizer Produkte ein vielversprechendes Zielland. Der Trend ist stark und wird anhalten, erklärt Martin Naville, Leiter der Handelskammer Schweiz-USA.

Wie erklären Sie den Erfolg Schweizer Produkte in Nordamerika und besonders in den USA?

Martin Naville: Als ich 2004 meine Arbeit hier aufgenommen habe, entfielen auf Deutschland 26% unserer Exporte und auf die USA 9%, genau wie auf Frankreich und Italien. In den ersten drei Quartalen 2021 lagen die USA vor Deutschland und heute ist dieser Markt grösser als der französische, der italienische, der britische und der österreichische zusammen. Der Erfolg geht auf mehrere Faktoren zurück. Zum einen ist es den Schweizer Unternehmen gelungen, schon vor zwanzig Jahren vorausschauend zu erkennen, dass die Europäische Union nicht auf ewig ein Eldorado bleiben würde: Auch heute geht die Hälfte unserer Exporte noch in die EU und sie bleibt ein wichtiger Markt, aber der relative Anteil ist rückläufig. Daher war es wichtig, unsere Präsenz in anderen Gegenden wie Asien oder den USA zu verstärken. Zum anderen können wir uns auf eine lange Geschichte stützen. Ob Roche, Nestlé, Lindt oder Swiss Re (die die Hälfte der Schäden durch das Erdbeben in San Francisco 1906 gedeckt hat): die grossen Schweizer Firmen haben sich schon sehr früh in Nordamerika niedergelassen und dort viel investiert, noch vor den Deutschen, Franzosen oder Engländern. Dieser historische Trend hat ich in den letzten zwanzig Jahren noch intensiviert, sodass die Schweiz dort der sechstgrösste Direktinvestor ist, gleichauf mit Deutschland. Dank dieser langen Präsenz auf amerikanischem Boden konnten wir äusserst wertvolle Erfahrungen sammeln auf einem Markt, der zwar offen und wachstumsstark, aber auch komplex ist.

Hat die Pandemie diesen Langzeittrend beeinträchtigt?

Naville: Der Rückgang war konjunkturbedingt und begrenzt. 2020 sind unsere Exporte in die EU um 6% geschrumpft, die in die USA nur um 2,5%. Und der Wiederaufschwung in den ersten drei Quartalen 2021 war auf dem amerikanischen Markt deutlich kräftiger als auf dem europäischen oder dem chinesischen Markt.

Was sind nach Meinung der Amerikaner die grössten Vorzüge der Schweiz?

Naville: Das hängt von der Branche ab, aber der mit Swiss made verbundene Ruf, seriös und glaubwürdig zu sein, ist eine gute Visitenkarte, wenn man ein erstes Treffen vereinbaren will. Man darf diesen Effekt allerdings nicht überschätzen. Das gute Image ist keine Erfolgsgarantie, zumal es auf Traditionen beruht und viele Amerikaner die Schweiz immer noch auf Schokolade, Uhren und Almen reduzieren. Es reicht also nicht, sich mit der Schweizerflagge zu schmücken. Der amerikanische Markt ist wie die Champions League: Um dort erfolgreich zu sein, braucht man Zeit, Geld und den vollen persönlichen Einsatz des CEO. Es handelt sich um den grössten Markt der Welt, aber auch um den, wo alle hinwollen, und die Kunden dort haben nicht auf uns gewartet, damit wir Antworten auf ihre Bedürfnisse finden.

Was bringt eine Schweizer Firma, die sich auf dem amerikanischen Markt weiterentwickeln will, am ehesten ins Wanken?

Naville: Die Geschwindigkeit, mit der man Kontakte knüpfen kann, ist angenehm, weil es nicht wochenlang dauert, bis man ein Treffen vereinbart, aber das kann auch überraschen, weil das Treffen dann nur zehn Minuten dauert, was heisst, dass man direkt auf den Punkt kommen sollte. Ein weiterer krasser Unterschied ist die Bedeutung der juristischen Dimension. Wo man sich in der Schweiz mit einer zweiseitigen Vereinbarung zufriedengibt, wird dort jeder Vertrag von darauf spezialisierten Juristen akribisch geprüft. Das Ausmass, das ein Rechtsstreit annehmen kann, ist auch eine echte amerikanische Besonderheit: Egal was Sie verkaufen und wie gut die Qualität Ihrer Arbeit ist - es ist Teil des Spiels, dass Konkurrenten Klage erheben, und sei es nur, um Sie auszubremsen. Aber die grösste Gefahr wäre, von dem Grundsatz auszugehen, dass der amerikanische Markt leicht zu verstehen ist, denn die kulturellen Unterschiede sind gross. Das metrische System gilt dort nicht, die Konsumenten haben andere Erwartungen... Für Geschäfte in den USA reicht es bei weitem nicht, dass man Englisch sprechen kann. Was für den Erfolg der Schweizer Firmen in den letzten zwanzig Jahren entscheidend war, ist gerade ihre Fähigkeit, diese kulturellen Unterschiede zu berücksichtigen.

In welchen Bereichen sind die Schweizer Unternehmen besonders erfolgreich?

Naville: Die Pharmaindustrie macht immer noch mehr als 50% des Exportvolumens aus und die Schweiz exportiert weiterhin hauptsächlich Chemikalien, Präzisionsinstrumente, Uhren, Maschinen und Elektronik, aber in allen Branchen gibt es Schweizer Unternehmen, nur dass einem der Erfolg einiger KMU gar nicht bewusst ist. In allen Starbucks werden Kaffeemaschinen von Thermoplan verwendet, der Mars-Rover der NASA läuft mit Motoren von Maxon Motors, die Nutzlastverkleidungen der Raketen werden von Ruag gefertigt ... Die Schweiz ist überall, im B2B wie im B2C-Bereich.

Es gibt kein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA. Ist das für die Schweizer Unternehmen ein Hindernis und ist ein solches Abkommen vorstellbar?

Naville: Auf kurze Sicht sind die Perspektiven nicht gut: Die demokratische Regierung von Joe Biden steht dem Thema free-trade im Gegensatz zur Vorgängerregierung nicht positiv gegenüber. Während der Amtszeit von Donald Trump, der solche Abkommen eher begrüsste, wie die Neuverhandlung des NAFTA zwischen den USA, Mexiko und Kanada zeigte, waren auch schon Gespräche aufgenommen worden. Aber die Schweiz hatte keine Priorität, was nicht unbedingt ein Problem ist: Unsere Wirtschaftsbeziehungen mit den USA beruhen eher auf den umfangreichen Direktinvestitionen der Schweizer Firmen und die Verdoppelung unseres Exportvolumens im Laufe der letzten 20 Jahre vollzog sich mal unter einer republikanischen, mal unter einer demokratischen Regierung. Solange die EU ihrerseits auch keinen derartigen Vertrag schliesst, ist die Frage nach einem Freihandelsabkommen eher zweitrangig.


Informationen

Zur Person/Firma

Martin Naville, Handelskammer Schweiz-USA

Nach seinem Abschluss in Rechtswissenschaften an der Universität Zürich hatte Martin Naville verschiedene Posten bei JP Morgan (Zürich, New York) und dann bei der Boston Consulting Group (München, Zürich, New York) inne, davon zehn Jahre als Partner. Seit 2004 leitet er die Schweizerisch-Amerikanische Handelskammer, die 1800 Mitglieder zählt. Ausserdem sitzt er im Verwaltungsrat der Swissquote Group und der Swissquote Bank und ist VR-Präsident des Zoo Zürich.

Letzte Änderung 05.01.2022

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