Der Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum hat mit der Pandemie ein bedeutendes Wachstum erfahren. Das Zuger Unternehmen Crypto Finance gehört zu den Leadern in diesem Bereich.
Zu den Gewinnern der COVID-19-Pandemie gehören Unternehmen, die Finanzdienstleistungen im Bereich Kryptowährungen anbieten. So ist etwa der Wert der führenden Kryptowährung Bitcoin zwischen März 2020 und März dieses Jahres um den Faktor 15 angestiegen. Die 50 führenden Schweizer Anbieter solcher Services, wovon die meisten im sogenannten "Crypto Valley" in der Zugersee-Region ansässig sind, konnten in dieser Zeitspanne ihren Marktwert um 680% steigern – auf etwa CHF 230 Milliarden.
Zu einem der erfolgreichsten Unternehmen dieses Ökosystems gehört Crypto Finance: Es wurde 2017 gegründet, hat 2019 den "Swiss FinTech Award" gewonnen und wurde im Juni dieses Jahres zu zwei Dritteln von der Deutschen Börse übernommen. Crypto Finance, das derzeit 65 Mitarbeitende beschäftigt, ist ein Dienstleister für Asset Management, Brokerage und Tokenisation, was bedeutet, dass es institutionellen Investoren (das Geschäftsmodell ist auf B2B ausgerichtet) ermöglicht, in digitale Vermögenswerte (Assets) zu investieren und diese zu verwalten. Im Jahr 2018 hat das Unternehmen für ihre Tochtergesellschaft, die auf das Asset Management spezialisiert ist, als erstes in der Schweiz eine Bewilligung seitens der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA erhalten. Im Interview spricht CEO Jan Brzezek über die Chancen dieses neuen Marktes und darüber, warum die Schweiz in diesem Bereich eine Führungsrolle einnimmt.
Die Schweizer Krypto-Branche verzeichnet seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie ein enormes Wachstum. Welche Auswirkungen auf Ihr Unternehmen haben Sie beobachten können?
Jan Brzezek: Es stimmt, dass durch die Pandemie in der Finanzbranche die Aufmerksamkeit vermehrt auf digitale, dezentral organisierte Werte gelegt wurde. Diese beruhen auf der Blockchain-Technologie – eine Art digitaler Ordner, in dem Transaktionen dezentral aufgezeichnet und verwaltet werden. Der massive Rückgriff auf Home Office seit Beginn der Pandemie hat vielen die Augen geöffnet: Systeme müssen nicht unbedingt zentral und mit physischer Präsenz ablaufen, um zu funktionieren. Zudem kommt, dass die Zentralbanken vieler Länder der Krise mit der Ausgabe gewaltiger Geldmengen beizukommen versuchen, was mittelfristig das Risiko einer Inflation ansteigen lässt. Das führt bei vielen Anlegerinnen dazu, dass sie Assets suchen, die mengenmässig begrenzt sind. Das ist bei Kryptowährungen wie Bitcoin der Fall. So konnte unser Unternehmen bereits im ersten Quartal 2021 das Volumen an gehandelten Krypto-Assets aus dem letzten Jahr – etwa eine Milliarde Franken – übertreffen.
Wie verändern Krypto-Assets allgemein die Finanzbranche?
Brzezek: In Zukunft werden alle Vermögenswerte – neben Geld zum Beispiel auch Immobilien, Autos oder Uhren – digital abgebildet werden, dank sogenannter Tokens. Dies ermöglicht es Privatbanken und Investoren, jederzeit Zugriff auf ihr gesamtheitliches Portfolio zu haben. Diese Anlagen können mit relevanten Informationen oder vergleichbaren Transaktionswerten kombiniert werden und bieten so einen viel besseren Überblick über das gesamte Vermögen. Durch die grosse Anzahl an neuen Investitionsmöglichkeiten kann die Vermögensverwaltung viel präziser auf den Kunden zugeschnitten werden. Klassische Fondsprodukte werden verschwinden, dafür werden mittels sogenannter «Smart Contracts» individuelle Portfolios für Kunden zusammengestellt und automatisiert verwaltet. Für Transaktionen werden keine physischen Verträge und Unterschriften mehr nötig sein, Käufe und Verkäufe werden durch die Smart Contracts digital innerhalb von Sekunden sicher und dezentral auf einer Blockchain abgebildet.
Kryptowährungen sind allerdings grossen Wertschwankungen unterworfen. Wie können für Investoren sichere Anlageangebote gewährleistet werden?
Brzezek: Im Moment machen Krypto-Assets in den Portfolios institutioneller Anleger weniger als ein Prozent der Vermögenswerte aus. Auch bei Anlagestrategien, die mehr Risiko in Kauf nehmen, werden solche Assets in naher Zukunft nicht mehr als drei Prozent repräsentieren. Die Volatilitäten bei den Kryptowährungen werden in diversifizierten Portfolios nicht stark ins Gewicht fallen. Prinzipiell sind grosse Wertschwankungen in neuen, sich noch entwickelnden Märkten normal – und sie schlagen ja nicht nur nach unten aus, sondern auch nach oben.
Was ändert sich für Crypto Finance mit der Übernahme durch die Deutsche Börse?
Brzezek: Zum einen verleiht es unserem Unternehmen eine noch grössere Legitimität, zum anderen ermöglicht uns die Übernahme – die Deutsche Börse besitzt nun zwei Drittel der Unternehmensanteile –, noch grössere institutionelle Kunden anzusprechen. Im Moment betreuen wir über 100 institutionelle Kunden – Banken, Finanzdienstleister und Vermögensverwalter –, die vor allem in der Schweiz einen Sitz haben. In den nächsten Jahren wollen wir vor allem in andere europäische Länder expandieren. Es wird sicherlich auch aufgrund der aktuellen Situation bezüglich des Rahmenabkommens zwischen der Schweiz und der EU von Vorteil sein, vom deutschen Markt aus operieren zu können, womit wir im Ernstfall regulatorische Hürden umgehen könnten.
Wie schätzen Sie insgesamt die Position der Schweiz im Bereich Krypto-Assets ein?
Brzezek: Die Schweiz nimmt im internationalen Vergleich eine führende Rolle ein. Bereits Mitte des letzten Jahrzehnts hat sich hier, vor allem in der Zugersee-Region, mit Unterstützung seitens der politischen Akteure ein dynamisches Ökosystems herausgebildet. Dadurch konnte sehr früh eine Expertise aufgebaut werden, was die Ansiedlung von zahlreichen Unternehmen im Krypto-Bereich begünstigte. Dazu kommt, dass die FINMA bereits 2017 einen regulatorischen Rahmen für den Handel mit Tokens geschaffen hat – damit war die Institution europaweit Pionier. Im Moment kommt die Konkurrenz vor allem aus den USA, aber die Schweiz hat sich eine Reputation aufgebaut, vergleichbar mit der Situation, die das Silicon Valley in seinen Anfangsjahren gekannt hat. Die Herausforderung besteht nun darin, weitere regulatorische Hürden abzubauen und die traditionellen Finanzinstitute zu dem Thema auszubilden, mit dem Ziel, dass das Land international als zentrale Adresse für die Emission und Lagerung von Token angesehen wird. Die vor kurzem erfolgte Entscheidung der spanischen Grossbank BBVA, ihren Tokenhandel von der Schweiz aus zu organisieren, ist bereits ein erster Erfolg. Dies ist eine einmalige Chance, den Schweizer Finanzplatz für die nächsten Generationen relevant zu halten.