"Digitale Instrumente beeinflussen alle Aspekte in Unternehmen"

Die Online-Plattform MoreThanDigital bietet leicht zugängliche Informationen zum Thema Digitalisierung. Laut dem Gründer des Projekts haben Schweizer KMU noch zu viele Wissenslücken auf diesem Gebiet.

Hinter den oft zitierten Begriffen "Digitalisierung" und "digitale Transformation" verstecken sich konkrete Anwendungen und Prozesse, mit denen KMU oft nicht vertraut sind. Diese Erkenntnis veranlasste Benjamin Talin, der selbst bereits mehrere Unternehmen gegründet hatte, dazu, vor drei Jahren die Plattform MoreThanDigital zu lancieren. Die Idee ist, grundlegende Informationen zu digitalen Themen zu bündeln und anhand von Artikeln leicht verständlich zu vermitteln. Anfangs als Blog konzipiert, werden die Texte mittlerweile von einem Netzwerk aus 280 Expertinnen und Experten sowie über 50 Unternehmen verfasst. Die Plattform, die etwa 80'000 User im Monat hat, ist als Non-Governmental-Organisation (NGO) registriert. Im Interview spricht Benjamin Talin über Wissenslücken der Schweizer KMU und über künftige Herausforderungen, die durch digitale Prozesse beschleunigt werden.

Wie kommen die Inhalte auf der Internetplattform MoreThanDigital zustande?

Benjamin Talin: Bei uns geben über 280 Experten ihr Wissen leicht verständlich weiter. Zudem haben Unternehmen und Organisationen die Möglichkeit, eine Mitgliedschaft auf der Plattform abzuschliessen, die es ihnen ermöglicht, über digitale Themen wie Digitalisierung und Innovation zu schreiben. Als Startpunkt soll dabei immer die Frage stehen, wie der grösstmöglichen Anzahl an Interessierten geholfen werden kann. Wir arbeiten mit über 50 Firmen zusammen – von grossen Unternehmen wie Google bis hin zu Start-ups ist alles dabei –, die zusätzlich unseren Expertenpool erweitern. Die Ideen zu den Artikeln kommen von unseren Experten und Partnern. Pro Woche veröffentlichen wir bis zu sieben Artikel. Wir achten dabei darauf, dass die Texte keine versteckte Werbung für die Produkte oder Services enthalten.

Welche Inhalte werden am meisten angeklickt?

Talin: Die Plattform ist entstanden, weil ich während meiner Tätigkeit in der Consultingbranche gemerkt habe, wie wenig viele Unternehmen in der Schweiz mit digitalen Instrumenten umgehen können bzw. diese verstehen. Im Zuge der sogenannten Digitalisierung fallen oft Begriffe wie "Blockchain", dabei wissen viele Unternehmenden nicht einmal, wie sie digitale Instrumente wie Google Analytics für sich nutzen können. Die am meisten gelesenen Artikel sind einerseits solche, die grundlegende und leicht verständliche Informationen zu Begriffen wie "digitale Transformation" oder eben "Blockchain" bieten und andererseits solche, die konkrete Hilfestellungen bieten. Als Beispiel kann ich einen Artikel nennen, der zeigt, was zu beachten ist, wenn man kostenlos Fotos auf der Firmenwebsite verwenden möchte, wo diese zu finden sind und was man nicht tun sollte.

Wo sehen Sie allgemein Nachholbedarf im Bereich Digitalisierung?

Talin: Es fehlt oft ein Grundverständnis dafür, wie digitale Instrumente konkret Prozesse im Unternehmen beeinflussen. Zum Beispiel: Was bedeutet es konkret, wenn bestimmte Prozesse von Robotern übernommen werden können? Wie muss in einem solchen Kontext die Organisation im Unternehmen angepasst werden? Solche Veränderungen betreffen nicht nur den Einsatz von Technologien sondern auch einen Kulturwandel, die Anpassung von Prozessen, die Weiterbildung der Mitarbeitenden sowie gegebenenfalls auch die Anpassung der ganzen Strategie. Sich die nötigen Informationen zu beschaffen und sich an die neuen Geschäftswelten anzupassen, das macht heute den Unterschied. Es genügt nicht mehr, eine App oder eine bestimmte Software zu entwickeln. Der Zugang zur Technologie ist heute allen Unternehmen gegeben – zum Beispiel durch Open-Source-Instrumente oder günstige Online-Services –, es geht vielmehr darum, zu verstehen, wie diese in die Firmenstrategie und in bestehende Prozesse effizient eingebaut werden können.

Wo sehen Sie die nächsten Herausforderungen?

Talin: Die Konkurrenz für Schweizer KMU durch Firmen aus Asien und Amerika wird weiter zunehmen. Grosse Akteure wie Alibaba oder Amazon stehen erst am Anfang ihrer Möglichkeiten in Europa. Um dem entgegenzutreten, wird es wichtig sein, dass sich die europäischen Unternehmen von ihrer Fixierung auf reines Service- und Produktdenken entfernen. Die Gewinner der Zukunft denken über diese Kategorien hinaus und schaffen zu jedem Produkt oder Service ein Ökosystem, bestehend aus einer Geschichte und einer Community.

Die Coronakrise hat auch gezeigt, dass Unternehmen, die als digitale Plattformen fungieren, die Phase gut überstanden haben. Ein Beispiel: Die Automobilkonzerne sollten sich nicht nur als Konstrukteure von Fahrzeugen begreifen, sondern als Anbieter für verschiedene und flexible Arten von Mobilität. Leider sehen wir im Moment, dass viele Akteure in der Wirtschaft erst einmal nur auf sich schauen und sich an Altbewährtem festhalten, um aus der Krise herauszukommen, ohne dabei in die Zukunft und die Weiterentwicklung zu investieren.

Wie kann MoreThanDigital diese Herausforderungen begleiten?

Talin: Wir wollen uns noch stärker an den konkreten Bedürfnissen der KMU ausrichten, welche 60% unserer Leserinnen und Leser ausmachen. Zum Beispiel erstellen wir gerade eine Software, mit der sich Kennzahlen und die Maturität von Unternehmen vergleichen lassen. Dies geschieht in zwölf verschiedenen Unternehmensbereichen – von legalen Aspekten bis hin zu Marketing, Strategie oder gar zur Produktion. Wir werden auch verstärkt im Ausland tätig sein, um noch mehr Unternehmenden den Zugang zu Wissen und den nötigen Instrumenten zu ermöglichen. Denn auch dort gibt es das Problem, dass es für KMU kaum Möglichkeiten gibt, um an objektive und allgemeinverständliche Informationen zum Thema Digitalisierung zu kommen. Dementsprechende Anfragen haben wir beispielsweise von öffentlichen Einrichtungen aus Baden-Württemberg und Bayern, aber auch aus Ländern wie Frankreich, den Niederlanden bis hin zu Indien erhalten.


Informationen

Zur Person/Firma

Benjamin Talin, Gründer von MoreThanDigital

Benjamin Talin gründete mit 13 Jahren sein erstes Unternehmen. Seine Erfahrung reicht vom Online-Marketing über Produktentwicklung bis hin zur Strategieentwicklung. Er gründete unter anderem die helm 361 Gruppe und seit 2017 ist Benjamin Talin Gründer der Plattform morethandigital.info, welche mittlerweile zur grössten Digital-Initiative im DACH-Raum aufgestiegen ist. Der erfahrene Keynote-Speaker spricht international über Themen wie Innovation, Leadership, Entrepreneurship, Start-up und neue Technologien und fungiert als Gastdozent an Hochschulen.

Letzte Änderung 19.08.2020

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