"Wir müssen so intelligent sein wie die Natur"

Der Gründer der Blue Economy, Gunter Pauli, fördert die Entwicklung wirklich nachhaltiger Geschäftsmodelle. Interessante Innovationen für KMU.

Blau wie der Himmel, das Meer und der Planet Erde. Weil er den Planeten schützen wollte, erfand der belgische Ökonom und Unternehmer Gunter Pauli die Blue Economy. Heute wecken seine Ideen Interesse. So wurden mehr als vier Milliarden Dollar investiert, um Projekte umzusetzen, die zugleich innovativ, umweltfreundlich und rentabel sind. Eine Begegnung mit der weltweit gefragten Koryphäe auf dem Gebiet des nachhaltigen Wirtschaftens.

Wie lässt sich Blue Economy definieren?

Gunter Pauli: Blue Economy ist von der Natur inspiriert, die weder Abfälle noch Arbeitslosigkeit kennt. Über Biomimetik kopieren unsere Wirtschaftsmodelle die Funktionsweise der Ökosysteme. Das Ziel ist, genauso intelligent wie die Natur zu sein, um anders zu produzieren, besser und mit weniger Aufwand.

Die Blue Economy stützt sich auf drei Säulen, um dieses Ergebnis zu erzielen. Zum einen nutzt sie das, was regional verfügbar ist, und fügt sich in das lokale Wirtschaftsgeflecht ein, um dem Bedarf einer bestimmten Gegend zu entsprechen. Des Weiteren ist sie als Kreislauf angelegt und erzeugt insofern nur Mehrwerte, da sogar die Abfälle einen Wert haben. Und schliesslich berücksichtigt sie die Bedürfnisse der gesamten Umwelt, egal ob Mensch oder Natur.

Sie haben sich dieses innovative Konzept nach einer Enttäuschung ausgedacht...

Pauli: Anfang der 1990er Jahre habe ich die Leitung des Biowaschmittelherstellers Ecover übernommen. Ich war so naiv zu glauben, dass ich über eine solche Produktionsweise zum Umweltschutz beitragen würde. Falsch gedacht, denn unsere Produkte enthielten Palmöl, das damals noch kaum nachhaltig produziert wurde. Diese Realität, die gänzlich im Widerspruch zu meinen Absichten stand, brachte mich dazu, mich von der traditionellen Wirtschaft, selbst der grünen, zu lösen und mich mit neuen Geschäftsmodellen zu beschäftigen.

Ist die Blue Economy aus einem Gefühl von Frust gegenüber der Green Economy entstanden?

Pauli: Die Blue Economy geht weit über die Green Economy hinaus. Sie ist mehr als ein Mittelchen, das nur das Schlimmste verhindern soll, und sie ist nicht allein den Reichen vorbehalten. Eine Produktion, die Mensch und Natur respektiert, muss also auch zu günstigen Preisen möglich sein.

Blue Economy bedeutet einen Paradigmenwechsel, sie bringt die jetzigen Grundfesten ins Wanken. Damit sie funktionieren kann, setzt sie auf Regionalität und das Ergänzungspotenzial der Aktivitäten von Unternehmen in der Nähe. Das ist ein bisschen so wie die Bäume in einem Wald, die kooperieren, um ihre wechselseitigen Bedürfnisse und die ihrer Umgebung zu erfüllen.

In Ihrer "industriellen Ökologie" ergänzt also jede Aktivität eine andere?

Pauli: Es geht nicht darum, Bioprodukte zu konsumieren, die völlig überteuert sind und am anderen Ende der Welt hergestellt wurden, oder Bio-Treibstoffe zu nutzen, die verheerende ökologische Auswirkungen auf die Wälder im Amazonas haben. Rohstoffe, Nahrungsmittel und Energie müssen in einem Kreislauf eingesetzt werden. So kommt jedes Produkt, das bei einem Prozess nicht verbraucht wurde, in einem anderen Prozess wieder zum Einsatz. Es wird wirklich Zeit, dass wir unsere Geschäftsmodelle ändern: Die Unternehmen können nicht länger immer dasselbe in immer grösseren Mengen und zu immer niedrigeren Preisen produzieren. Sie müssen an das Gemeinwohl denken.

Welche Vorteile könnten ein Unternehmen dazu bringen, Ihre Konzepte anzuwenden?

Pauli: Ein Unternehmen, das auf Blue Economy setzt, wird als Ganzes zu einem umweltfreundlichen Unternehmen. Es bleibt auch wettbewerbsfähig, denn es erschliesst sich immer mehr mögliche Quellen zur Schaffung von Mehrwert, indem es neue Marktchancen nutzt, von denen es vorher gar nichts wusste.

Können Sie uns konkrete Anwendungen der Blue Economy nennen?

Pauli: Unsere Ideen kommen an und wir konnten damit mehr als vier Milliarden Dollar Kapital einwerben. Das Geld wurde in Upcycling-Firmen investiert, welche die Rohstoffe über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg erhalten oder sogar aufwerten. Zum Beispiel haben wir aus mineralischen Abfallstoffen Steinpapier entwickelt, das weder Wasser noch Zellulose braucht. Wir bieten auch an, Glas zu Schaumglas aufzuwerten, einem sehr robusten und wasserdichten Baustoff. Ein weiteres Beispiel: Der Cafébetreiber und der Landwirt arbeiten dahingehend zusammen, dass der Kaffeesatz als Substrat für die Zucht von Speisepilzen verwendet wird.

Wie kann ein KMU diese Prinzipien umsetzen?

Pauli: Ein kleines Unternehmen darf nicht versuchen, mit den grossen Firmen zu konkurrieren, die billig produzieren, indem sie auslagern. Das ist unmöglich! Stattdessen muss ein KMU auf allen Ebenen Mehrwert schaffen und seine Technologie weiterentwickeln, um das, was es produziert, recyceln und wieder verarbeiten zu können. Es muss sich auch in mehreren wirtschaftlichen Nischen und komplementären Märkten einbringen und mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten, ohne mit ihnen in Konkurrenz treten zu wollen.

Aus meiner Sicht ist die Schweiz bereit für diesen Übergang zu einer neuen Wirtschaftsweise. KMU passen sich leichter an Veränderungen an und sind flexibler als grosse Firmen. Sie können also einer der Vektoren dieser Transformation sein.


Informationen

Zur Person/Firma

Gunter Pauli, Gründer der Blue Economy

Gunter Pauli ist ein belgischer Ökonom und Unternehmer, der an der privaten Wirtschaftshochschule INSEAD in Fontainebleau einen MBA absolvierte. Er ist Mitglied des Club of Rome, dessen Ziel es ist, Lösungen für die globalen Umweltprobleme zu finden. 1994 gründete er die Stiftung Zero Emissions Research and Initiatives (ZERI). Gunter Pauli setzt sich auch für die Verbreitung nachhaltiger Wirtschaftslösungen ein, sei es durch seine unternehmerischen Tätigkeiten, seine Bücher oder seine Konferenzen.

Um die Konzepte der Blue Economy umzusetzen, hat er mehrere Unternehmen ins Leben gerufen, die im Bereich Recycling aktiv sind. Seine Ideen tragen zudem zur Energieautarkie der kanarischen Insel El Hierro bei.

Literatur

1.    Gunter Pauli, "Soyons aussi intelligents que la nature", éditions de l’Observatoire, 2018.

2.    Gunter Pauli "The Blue Economy: 10 Jahre, 100 Innovationen, 100 Millionen Jobs".

Letzte Änderung 20.03.2019

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