"Das Gewicht Frankreichs als Handelspartner wird zunehmen"

Deutschland und Frankreich gehören zu den wichtigsten Absatzmärkten für Schweizer Produkte und Dienstleistungen. Während Deutschland weiterhin auf traditionelle Sektoren setzt, entwickelt sich in Frankreich der High-Tech-Bereich.

Deutschland und Frankreich sind die beiden beliebtesten Exportmärkte für Schweizer KMU. Laut einer Befragung von Switzerland Global Enterprise (S-GE) im April 2019 gaben 81% der befragten Unternehmen an, in den nächsten sechs Monaten Waren oder Dienstleistungen nach Deutschland ausführen zu wollen. Für Frankreich lag der Wert bei 63%. Beim Gesamtvolumen hat jedoch Deutschland klar die Nase vorn: Das Volumen der in das Land ausgeführten Waren und Dienstleistungen betrug 2018 CHF 43 Milliarden, für Frankreich lediglich 15 Milliarden. Alberto Silini, Leiter Beratung bei S-GE, prognostiziert allerdings, dass der französische Markt in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Im Interview erläutert er die Chancen, die sich Schweizer KMU auf diesen beiden Märkten bieten.

Welche Faktoren machen Deutschland und Frankreich zu attraktiven Absatzmärkten für Schweizer Produkte und Dienstleistungen?

Alberto Silini: Seit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der EU 1973 haben sich diese beiden Länder als privilegierte Handelspartner für die Schweizer Unternehmen etabliert. Die Gründe dafür sind naheliegend: Beide Länder besitzen hoch entwickelte Märkte mit vielen Abnehmern – seien es Unternehmen oder Endkunden – für Schweizer Produkte und Dienstleistungen. Dazu kommt auch die geografische und kulturelle Nähe. Tendenziell ist es natürlich auch so, dass Firmen aus der Deutschschweiz ihren Blick eher nach Deutschland richten und Firmen aus der Romandie eher nach Frankreich.

Welche Branchen exportieren traditionell in diese beiden Länder?
Silini:
In beiden Ländern sind Schweizer Zulieferbetriebe in den Branchen Automobil und Maschinenbau stark vertreten. Auch Pharmaprodukte werden seit Jahren in die beiden Länder exportiert. Spezifisch nach Deutschland werden traditionell zudem Präzisionsinstrumente ausgeführt. Da Frankreich viele Weltmarktführer im Bereich Parfümerie und Kosmetik besitzt, gibt es gute Absatzmöglichkeiten im Bereich Chemie. Generell ist zu sagen, dass die industrielle Produktion in beiden Ländern verhältnismässig gross ist, was den vielen Schweizer Unternehmen und KMU, die im Bereich Industrie tätig sind, eine gute Position verschafft.

Wie haben sich die Märkte in den beiden Ländern in den letzten Jahren entwickelt?
Silini:
Deutschland hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem der leistungsfähigsten Märkte der Welt entwickelt. Das durchschnittliche Wachstum der Schweizer Exporte in diesem Zeitraum hat sich mit 2,6% als sehr solide erwiesen. Für Frankreich war die Tendenz in den letzten Jahren leicht rückläufig, was auch mit der etwas schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu tun hatte. Allerdings nimmt das Gewicht Frankreichs als Handelspartner wieder zu: So sind die Ausfuhren im letzten Jahr um 5% gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

Welche Städte und Regionen sind für Schweizer Unternehmen besonders interessant?
Silini:
In Deutschland ist das Bundesland Baden-Württemberg mit seinen vielen Firmen im Bereich Automobil und Maschinenbau erster Abnehmer für Schweizer Produkte und Dienstleistungen. In Frankreich ist der wichtigste Markt der Grossraum Paris, da sich dort das wirtschaftliche Zentrum des Landes befindet. Allerdings gibt es natürlich auch regionale Cluster abseits von Paris, wie zum Beispiel die Weinanbaugebiete im Süden Frankreichs.

Was müssen Schweizer Firmen bei einem Eintritt in den deutschen Markt beachten?
Silini:
Deutschland ist ein Referenzmarkt – d.h. viele ausländische Unternehmen, die expandieren möchten, versuchen zuerst, diesen Markt zu bearbeiten bevor sie sich auf andere Märkte konzentrieren. Für Schweizer Unternehmen bedeutet dies, dass die Konkurrenz durch andere ausländische Mitbewerber in Deutschland sehr gross ist. Dazu kommt, dass Deutschland in vielen Branchen, in denen Schweizer Firmen stark sind, selbst sehr gut aufgestellt ist. Da es in Deutschland ein hohes Preisbewusstsein gibt, sollten Schweizer Unternehmen auf Qualität und Alleinstellungsmerkmale setzen.

Mit anderen Ländern verglichen ist der Markteintritt in Deutschland relativ einfach. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind denen der Schweiz sehr ähnlich. Dennoch gilt es, die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz nicht zu unterschätzen, und sich gut über die Gepflogenheiten zu informieren.

Welche Besonderheiten gibt es zu beachten, wenn ein Schweizer Unternehmen nach Frankreich exportieren möchte?
Silini:
In Frankreich ist es im Vergleich zu anderen Ländern oft wichtiger, mehr Feingefühl für die Ansprechpartner vor Ort mitzubringen. Das ist wichtig, um Vertrauen vor allem zu den Geschäftspartnern aufzubauen. Im Falle von Deutschschweizer Unternehmen bedeutet dies zum Beispiel, Geschäftskontakte vordergründig auf Französisch zu pflegen.

Hinzu kommt, dass es in Frankreich in einigen Branchen eigene Rechtsvorschriften gibt, die teils von den EU-Regelungen abweichen können. Im Bereich Medizintechnik zum Beispiel gibt es für bestimmte Produktklassen eigene spezifische Vorschriften. Hier gilt es, sich vor dem Markteintritt ausführlich über die gesetzlichen Grundlagen zu informieren.

Welche Branchen haben mittelfristig in Deutschland und in Frankreich die besten Chancen?
Silini:
In Deutschland werden in den kommenden Jahren der Automobil- sowie der Pharmasektor weiter eine tragende Rolle spielen. Dazu kommt, dass das Land im Moment in grossem Masse in die Digitalisierung seines Gesundheitswesens investiert. Schweizer KMU im Bereich eHealth haben auf diesem Markt gute Chancen, ihre Innovationen einzubringen.

In Frankreich ist eine hohe Dynamik im Bereich Luft- und Raumfahrt zu beobachten, was Chancen für Unternehmen im Bereich Maschinenbau und Präzisionstechnik bietet. Dazu kommt, dass das Land ein Vorreiter im Bereich der neuen Technologien werden möchte, was unter anderem an der verstärkten Präsenz französischer Unternehmen auf den einschlägigen internationalen Messen zu sehen ist. Die Bereiche Energieeffizienz, Smart Cities und KI werden in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen – eine gute Möglichkeit, für Schweizer KMU und Start-ups, die High-Tech-Produkte im Angebot haben.


Informationen

Zur Person

Alberto Silini, Leiter Beratung bei S-GE

Alberto Silini studierte Business Administration und ist eidgenössisch diplomierter Verkaufsleiter. Nachdem er mehrere Jahre im internationalen Verkauf bei Georg Fischer arbeitete, wechselte er 2006 zu Switzerland Global Enterprise, wo der gebürtige Schaffhauser bereits in verschiedenen Funktionen tätig war. Seit 2013 ist Alberto Silini Head of Consultancy und unterstützt Schweizer und Liechtensteiner Unternehmen bei Internationalisierungsfragen.

Letzte Änderung 19.06.2019

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