Angesichts der steigenden Zahl von Krankschreibungen aufgrund von Rückenschmerzen und Stress greifen die Unternehmen auf die Prinzipien der Ergonomie zurück. Ein Mittel, um die Lebensqualität bei der Arbeit zu verbessern.
Die Schweizer Beschäftigten haben immer mehr krankheitsbedingte Fehltage. Laut den Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) erhöhten sich diese Absenzen zwischen 2007 und 2017 von 176 auf 215 Millionen Stunden. Diese gehen mehrheitlich auf Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems wie Rückenschmerzen und auf arbeitsbedingte Erschöpfung zurück, die sich in einem Burnout niederschlagen kann. Allein die Absenzen wegen Erkrankungen des Bewegungsapparats, die durch ungünstige Arbeitsbedingungen hervorgerufen werden, kosten die Unternehmen pro Jahr rund eine Milliarde Franken.
Um diese Kosten zu senken, wird es für die Arbeitgebenden zu einer zentralen Aufgabe, den Beschäftigten optimale Arbeitsbedingungen zu bieten. Eine der Lösungen besteht darin, auf die Grundsätze der Ergonomie zurückzugreifen, also der Arbeitswissenschaft, welche das Arbeitsumfeld untersucht und an den Menschen anpasst und nicht umgekehrt. Mit diesem Vorgehen lässt sich die Gesundheit erhalten und die Leistungen des Personals können optimiert werden. "Der ganzheitliche Ansatz ist bei der Ergonomie sehr wichtig", erklärt Olivier Girard, Ergonom und Geschäftsführer der Gesellschaft Erg'OH Conseil mit Sitz in La Folliaz (FR). "Es reicht nicht, den Arbeitsraum umzugestalten, man muss auch die Arbeitsabläufe und den Managementstil berücksichtigen."
Das Architekturbüro Fröhlich Architektur ist diesen Weg in den letzten drei Jahren gegangen. Die in Pfäffikon (SZ) ansässige Firma hat mehrere Schritte unternommen, um die Arbeitsbedingungen ihrer zirka 30 Mitarbeitenden zu verbessern. So hat sie zum Beispiel an den meisten Arbeitsplätzen Stehpulte eingerichtet, um die Angestellten zu animieren, verschiedene Haltungen einzunehmen und zwischendurch im Stehen zu arbeiten. Ausserdem hat sie bestimmte Zeitfenster festgelegt, in denen die Beschäftigten weder Telefonanrufe noch E-Mails erhalten. "Wir haben festgestellt, dass sich die meisten unserer Mitarbeiter dadurch gestresst fühlten, dass sie ständig bei der Arbeit unterbrochen wurden. Mit diesen Zeitfenstern wollen wir eine Atmosphäre schaffen, in der man sich besser konzentrieren und kreativ sein kann", erläutert Nadine Martig, Leiterin des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) bei Fröhlich Architektur.
Auf individuelle Bedürfnisse eingehen
Das Konzept der Ergonomie ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. Olivier Girard erinnert daran: "Der amerikanische Autobauer Henry Ford war einer der Vorreiter auf diesem Gebiet. Er rationalisierte die Prozesse, um die Produktivität seiner Fabriken zu steigern." Allerdings bleibt der Begriff selbst heute noch relativ vage. "Ergonomen sind rechtlich nicht als Experten für Gesundheit und Sicherheit anerkannt. Dieser Mangel bremst die Entwicklung, dass man sich der Bedeutung dieses Fachgebiets im Bereich der Arbeitsgesundheit stärker bewusst wird", bedauert Sandrine Corbaz-Kurth, Präsidentin des Verbands SwissErgo.
Was sagt das Gesetz? Es verlangt eine ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsgeräte, um Personen auch bei langfristiger Ausübung ihrer Tätigkeit vor körperlichen Schäden zu schützen. Doch im Krankheitsfall ist es für einen Arbeitnehmer oft schwer zu beweisen, dass ein Zusammenhang zwischen seinen Gesundheitsproblemen und Versäumnissen des Arbeitgebers besteht. "Die meisten Krankheiten werden durch verschiedene Faktoren ausgelöst. Bei einem konkreten Verdacht ist es jedoch ratsam, die Arbeitsinspektion einzubeziehen", erklärt Sandrine Corbaz-Kurth.
Erfolgreiche Strategien
Um derartige Konflikte zu vermeiden, empfiehlt Olivier Girard eine regelmässige Analyse der Arbeitsbedingungen und -räume. Dafür kann sich der Arbeitgeber folgende Fragen stellen: Welche Aufgaben führen meine Angestellten aus? Welche Anforderungen und Verpflichtungen sind mit diesen Aufgaben verbunden? "Es ist wichtig, die Arbeitsplätze und Abläufe auf der Basis dieser Analyse anzupassen", erklärt der Experte. Für jeden Arbeitnehmer eine individuelle Lösung zu finden, ist jedoch fast unmöglich. Umso wichtiger ist es, bei den einzelnen Fällen flexibel zu sein. "Wenn eine Firma ihre Büros als Open Space eingerichtet hat, einige Aufgaben aber hohe Konzentration erfordern, kann sie zum Beispiel ein System für Telearbeit einführen."
Für das Unternehmen Fröhlich Architektur haben sich die BGM-Massnahmen bezahlt gemacht. So ist das Absenzenrisiko unter dem nationalen Durchschnitt, der aktuell bei 8,3 Tagen pro Jahr und Mitarbeiter liegt. "Seitdem wir das BGM systematisch integriert haben, werden unsere Beschäftigten viel stärker für Gesundheitsfragen sensibilisiert. Sie zögern nicht, uns Vorschläge zu machen, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern", bemerkt Nadine Martig.
Informationen
Zum Thema
Gesund bleiben im Büro
Zu langes Sitzen schadet der Gesundheit. Tipps, um die Folgen von Bewegungsmangel abzumildern.
Laut einer vom BFS durchgeführten Studie verbringen die 15- bis 74-Jährigen im Durchschnitt 4 bis 5 Stunden pro Tag im Sitzen. Ein Sechstel der Befragten verharrt sogar mehr als 8,5 Stunden täglich in dieser Position. Dieser Bewegungsmangel kann verheerende Folgen für die Gesundheit haben: So kann das Risiko eines frühzeitigen Todes um 15% ansteigen, wenn man 8 Stunden am Tag im Sitzen verbringt.
Der Ergonom Olivier Girard gibt einige Ratschläge, um im Büro gesund zu bleiben:
- Hohlkreuz, Rundrücken und schiefer Rücken – das sind die drei Typen, die krank machen. Wichtig ist also, eine Haltung einzunehmen, die man "flacher Rücken" nennt.
- Der Nacken soll dabei so entspannt wie möglich sein. Den Bildschirm des Computers um 10° zu neigen, hilft dabei, in dieser Position zu bleiben.
- Der Bürostuhl muss in der Höhe und an der Rückenlehne verstellbar sein, damit das Becken gut unterstützt wird.
- Wenn möglich, sollte man alle 30 Minuten aufstehen und sich bewegen.
- Justierbare Lampen sorgen für eine optimale Beleuchtung.
Letzte Änderung 01.05.2019