Arbeitnehmende müssen ihre Kompetenzen beständig an die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes anpassen. Sofie Gollob, Projektleiterin beim Schweizerischen Verband für Weiterbildung, erklärt, wie man den entsprechenden Bedarf am besten ermittelt und darauf reagiert.
Die Kompetenzen der Beschäftigten weiterzuentwickeln, ist eine der grössten Herausforderungen für KMU im Zuge der Anpassungen an den technologischen Fortschritt und als Reaktion auf den zunehmenden Mangel an Fachkräften. Knapp drei Viertel der Unternehmen berücksichtigen das Thema Weiterbildung in ihrer Strategie und zwei Drittel nehmen es in ihre Budgetplanung auf, wie aus einer Studie des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (SVEB) hervorgeht. Knapp die Hälfte der Beschäftigten haben jedoch nur selten die Gelegenheit, neue Kompetenzen zu erwerben, und 45% der befragten Unternehmen geben an, dass die Probleme haben, den Bedarf ihrer Belegschaft auf diesem Gebiet zu erfassen. Sofie Gollob, Projektleiterin beim SVEB und Co-Autorin der Studie, unterscheidet zwischen "non-formaler" Weiterbildung (in Form von Kursen) und "informeller", zu der unter anderem der Wissensaustausch unter Kollegen und die Begleitung von Mitarbeitenden durch Verantwortliche innerhalb des Unternehmens zählen.
Woran liegt es, dass knapp die Hälfte der Beschäftigten nur selten Zugang zu Weiterbildungen hat?
Sofie Gollob: Zum einen mangelt es vielen Betrieben an zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Zudem integrieren die Unternehmen die Weiterbildung oft nicht systematisch in ihre Strategie, auch wenn sie die Notwendigkeit anerkennen, die Fähigkeiten der Mitarbeitenden mit Hilfe einer Weiterbildung zu erweitern. Dies hat damit zu tun, dass viele nur selten und punktuell einen entsprechenden Bedarf wahrnehmen. Knapp der Hälfte fällt es schwer, den Kompetenzbedarf der Mitarbeitenden überhaupt zu ermitteln, was eine hemmende Wirkung haben kann. Und wenn KMU den konkreten Nutzen einer Weiterbildung nicht sehen, setzen sie diese auch nicht um.
Ausserdem wird tendenziell unterschätzt, wie viel informelle Weiterbildung die Betriebe machen. Entsprechende Massnahmen werden von den Betriebsleitenden selbst oft nicht als Weiterbildung angesehen, weil sie ein Teil des Arbeitsalltags ist und daher als Selbstläufer wahrgenommen wird.
Wie lässt sich der Kompetenzbedarf der Mitarbeitenden im Betrieb am besten ermitteln?
Gollob: Es braucht eine Kultur des Lernens und der Weiterbildung in den Betrieben. Regelmässige Treffen mit den Mitarbeitenden helfen dabei, fehlende Kompetenzen und einen möglichen Anpassungsbedarf gemeinsam zu erkennen. Die Firmen können sich auch von Weiterbildungsanbietern beraten lassen, um massgeschneiderte Angebote und Massnahmen zu entwickeln. Durch eine Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen, seinen Teams sowie externen Expertinnen und Experten lassen sich die zu entwickelnden Kompetenzen manchmal klarer erkennen, da man künftigen Entwicklungen vorausschauend begegnen kann, anstatt nur punktuelle Anpassungen vorzunehmen.
Wie können die Bildungseinrichtungen zu einer besseren Weiterbildung in der Schweiz beitragen?
Gollob: Im Bereich der non-formalen Bildung wäre es eine Möglichkeit, mehr mit den einzelnen Branchenverbänden zusammenzuarbeiten. Diese können eine Rolle als Vermittler zwischen ihren Mitgliedern und den Bildungseinrichtungen einnehmen und so ein Kursangebot schaffen, das noch besser auf die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Branchen zugeschnitten ist.
Es ist auch möglich, die informelle Weiterbildung im Betrieb zu stärken, indem beispielsweise die Mitarbeitenden regelmässig zu einem gezielten Wissens- und Erfahrungsaustausch zusammenkommen oder ein Mitarbeiter-Coaching durch Vorgesetzte oder erfahrenere Kollegen organisiert wird. Zusätzlich kann man auch auf selbstständiges Lernen mit Hilfe von Fachliteratur, Videos oder neuerdings auch KI-Tools setzen.
Die Ressourcen, die in die Weiterbildung investiert werden, konzentrieren sich häufig auf die am besten qualifizierten Mitarbeitenden. Wie lässt sich diese Dynamik erklären?
Gollob: Hochqualifizierte Angestellte fragen in der Regel proaktiver nach Weiterbildungsmöglichkeiten und haben bei ihrem Arbeitgeber häufig eine gute Verhandlungsposition. Zudem erwarten viele Betriebsleitende, dass die gutgebildeten Mitarbeitenden schneller und effizienter lernen als weniger qualifizierte Beschäftigte, was sich aus Sicht der Firma besser auszahlt. Hinzu kommt, dass sich der Kompetenzbedarf in hoch technisierten und komplexen Berufe schneller entwickelt als in anderen Tätigkeitsbereichen, wodurch der Bedarf an Weiterbildungen höher ist.
Wie kann man verhindern, dass die Kompetenzschere hier noch weiter auseinandergeht?
Gollob: Auf Betriebsebene stellt sich die Frage, ob KMU ihre geringqualifizierten Mitarbeitenden als Ressource sehen, um ihren Fachkräftemangel zu decken. Dazu braucht es die Bereitschaft der Betriebsleitenden, die Mitarbeitenden, welche die entsprechende Motivation mitbringen, dabei zu unterstützen, beispielsweise einen Berufsabschluss nachzuholen. Dadurch können sich diese aus der "Geringqualifizierung" lösen und werden in das Schweizer Bildungssystem integriert.
In sozioökonomischer Hinsicht ist zu befürchten, dass sich mit den Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz die Kluft zwischen gut ausgebildeten Arbeitnehmenden und solchen mit einem immer grösseren Kompetenzrückstand verbreitert, sodass letztere zunehmend aus der Arbeitswelt ausgeschlossen werden. Um dem entgegenzuwirken, sollten Bund und Kantone weiterhin in die Massnahmen zur Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener investieren, da im Rahmen derer auch die digitalen Kompetenzen gestärkt werden.
Zur Persona / Tema
Sofie Gollob hat einen Master der Universität Zürich im Fach Wirtschaftsgeschichte und ein Certificate of Advanced Studies (CAS) in Angewandter Statistik der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen das Monitoring im Bereich Weiterbildung, die Evaluation von Bildungsprogrammen, die betriebliche Weiterbildung und das Thema Grundkompetenzen. Seit 2020 ist die Zürcherin Projektleiterin beim Schweizerischen Verein für Weiterbildung (SVEB).
Letzte Änderung 20.11.2024