"Man muss die Ausbildung von Informatikern neu denken, um die Leidenschaft für diesen Beruf zu wecken"

Cybersicherheit und digitales Vertrauen bei Unternehmen in der Genferseeregion zu fördern, ist das Ziel der Initiative Trust Valley. Geschäftsführerin Lennig Pedron spricht über die Herausforderungen des Bereichs und das Programm Trust4SMEs, das die Fähigkeiten der KMU auf diesem Gebiet verbessern soll.

Überall auf der Welt fehlt es an IT-Fachleuten und die Schweiz bildet keine Ausnahme. Eine kürzlich erschienene Studie des Instituts Basel Economics kommt zu dem Schluss, dass es bis zum Ende des Jahrzehnts einen Mangel an 40'000 Informatikern geben wird. Die Herausforderungen sind zahlreich und betreffen so unterschiedliche Bereiche wie Recht, Ausbildung und Ethik. Als Reaktion darauf versucht das 2022 lancierte Programm Trust4SMEs nachahmenswerte Good Practices zu definieren, um nicht nur die Cybersicherheit zu stärken, sondern auch die Fähigkeiten der Unternehmen, sich in einer digitalisierten Welt bestmöglich zu entwickeln. Denn jedes dritte KMU war schon einmal Opfer eines Cyberangriffs und die Tendenz nahm 2021 um 44% zu, wie aus einem Bericht auf der Basis von zwei Studien von Digitalswitzerland und der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) hervorgeht.

Sind sich die KMU der Bedeutung der Bedrohung der Cybersicherheit bewusst?

Lennig Pedron: Wir stellen bei diesem Thema eine positive Entwicklung seitens der KMU fest, insbesondere weil Hacker-Angriffe stärker sichtbar sind als früher und sie sich langsam Sorgen machen. Allerdings haben nicht alle KMU auch die Mittel, um sich angemessen zu schützen, und die Massnahmen zur Cybersicherheit werden weitgehend immer noch als Kosten angesehen anstatt als Investition.

Wie kann man den nötigen Impuls geben, damit die Unternehmen tatsächlich aktiv werden?

Pedron: Bei den KMU – vor allem im Finanzbereich – kommt der Impuls direkt von den Kunden, die mittlerweile Garantien auf dem Gebiet der Cybersicherheit verlangen. Das überrascht gar nicht, denn es heisst, dass 60% der Hacker-Angriffe auf Unternehmen über die Lieferkette laufen. Daher müssen viele KMU ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen, indem sie unter anderem die ISO-Normen erfüllen. Dieses Vorgehen kann jedoch komplex sein, besonders für kleine Firmen, die ihr IT-Management outsourcen. Glücklicherweise sehen wir, dass Start-ups entstehen, die uns in den kommenden Monaten oder Jahren bei diesem Prozess helfen können, indem sie für diese Unternehmen Zertifikate über die Einhaltung der gemeinsamen Standards anbieten.

Worin genau besteht das Programm Trust4SMEs, das Sie lanciert haben?

Pedron: Wir beginnen damit, eine Diagnose des Unternehmens zu erstellen, um die Ressourcen, die seine digitale Sicherheit verbessern sollen, bestmöglich einzusetzen. Dann stellen wir verschiedene Module zur Verfügung, die sämtliche Schlüsselbereiche des digitalen Vertrauens abdecken. Auf juristischer Ebene gibt es ein Modul zum neuen Bundesgesetz über den Datenschutz, das im September in Kraft tritt. Wir haben auch eine fiktive Phishing-Kampagne auf die Beine gestellt, um die Fähigkeit des Unternehmens zur Abwehr von Angriffen zu testen. Darüber hinaus organisieren wir Diskussionsrunden mit der gesamten Belegschaft in einem geschlossenen, vertraulichen Rahmen, sodass ein Erfahrungsaustausch innerhalb des KMU stattfinden kann. Und jedes Unternehmen erhält eine Beratung durch einen Coach und mehrere Mentoren.

In den ersten beiden Runden gab es mehr Bewerbungen als verfügbare Plätze. Wie wählen Sie die Unternehmen aus, die Hilfe von Ihnen bekommen können?

Pedron: Zunächst geht es darum, die strategische Bedeutung zu bestimmen, die das Unternehmen für das Ökosystem der Region hat. Die Frage besteht darin, das Ausmass der Folgen abzuschätzen, das ein Hacker-Angriff auf das Unternehmen für die anderen regionalen Akteure hätte. Zudem versuchen wir, einen gewissen Grad an Diversität zu gewährleisten. Das Ziel ist, so viele Bereiche wie möglich einzubeziehen (Immobilien, IT, Medizin usw.) und sowohl kleinen Firmen mit wenigen Beschäftigten als auch Unternehmen mit mehr als 100 Personen die Möglichkeit zu geben, an dem Programm teilzunehmen. Indem wir alle Wirtschaftszweige und Unternehmen jeder Grösse berücksichtigen, erhoffen wir uns grössere Fortschritte.

Wie kann man dem Mangel an Fachkräften im IT-Sektor begegnen, der den Prognosen zufolge kolossal sein wird?

Pedron: Die Hauptaufgabe besteht darin, die Ausbildung von Informatikern neu zu denken und die Leidenschaft für den Beruf zu wecken. Dabei wurden schon grosse Fortschritte gemacht: Vor zwanzig Jahren war Cybersicherheit nicht mal ein eigenständiger Studiengang. Heute hat die Hochschulbildung das Thema in die Hand genommen und es gibt Bachelor- und Masterstudiengänge für eine hochmoderne Fachausbildung. Doch heutzutage geht es darum, noch einen Schritt weiter zu gehen und auch Berufsbildungen mit einem Abschluss als Analyst anzubieten. Es könnte auch sehr interessant sein sich zu fragen, wie Frauen – die in dem Bereich noch eine absolute Minderheit sind – und junge Menschen vor dem Abschluss der obligatorischen Schulbildung an diese Berufe herangeführt werden können, damit sie sich bewusst werden, dass es sie gibt und ihre Bedeutung für die Welt von morgen sehr gross ist.


Informationen

Zur Person/Firma

Lennig Pedron, CEO der Initiative Trust Valley

Nach ihrem Abschluss in Management wandte sich Lennig Pedron vor zwanzig Jahren der Cybersicherheit zu. 2017 war sie Mitbegründerin der ONG iCON, die sich um die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Themen digitales Vertrauen und Cybersicherheit kümmert. Lennig Pedron sitzt zudem regelmässig in der Jury für einen Wettbewerb zum Management von Cyberkrisen, der sich an Studierende und Berufseinsteiger richtet. Die Expertin für Cybersicherheit leitet seit ihrer Gründung im Jahr 2020 die Initiative Trust Valley; zudem ist sie Co-Autorin des Buchs "Les Fondamentaux de la gestion de crise cyber" (Grundlagen des Managements von Cyberkrisen), das im Juni 2022 bei Ellipses erschienen ist.

Letzte Änderung 05.04.2023

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