"Die Digitalisierung bietet dem Tourismus eine Vielzahl neuer Möglichkeiten"

Laut einer Studie der Fachhochschule Westschweiz Valais-Wallis (HES-SO) verfügen nur 22% der Schweizer Tourismusorganisationen über eine Strategie für Datenmanagement. Dabei erfolgen Buchungen und Recherchen in der Reisebranche mittlerweile fast ausschliesslich online.

Ein über Booking.com gebuchtes Hotel, ein Restaurant von TripAdvisor oder ein schöner Strand, den man auf einem Instagram-Foto entdeckt hat – bei der Urlaubsplanung spielt das Internet heutzutage die Hauptrolle. Die Tourismusbetriebe wissen das sehr wohl und setzen auf Digitalisierung, wobei ihnen manchmal die Kompetenzen in diesem Bereich fehlen. Manu Broccard, Professor für Marketing und Tourismus an der Fachhochschule Westschweiz Valais-Wallis (HES-SO), erklärt, worin für diese Branche die Herausforderungen der Digitalisierung bestehen.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Tourismus aus?

Manu Broccard: Der Trend zu digitalen Angeboten betrifft alle Bereiche des Lebens, vor allem die Wirtschaft. Der grösste Unterschied zwischen dem Tourismus und den anderen Wirtschaftszweigen sind die Emotionen, die mit ihm verbunden sind. Der Tourismus ist in erster Linie eine Industrie, die Träume verkauft. Dank der Digitalisierung können über Bilder oder Videos Emotionen ganz direkt und spontan vermittelt werden. Das Internet macht es den Kunden leicht, ihre Wünsche zu projizieren. Für die Tourismusindustrie bietet die Digitalisierung eine Vielzahl von Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt.

Welche Herausforderungen sind mit der Digitalisierung verbunden?

Broccard: Da gibt es wirklich eine Menge. Viel zu tun ist beim Management von digitalen Daten und beim Sammeln von kundenbezogenen Daten. Bei der Digitalisierung der Produkte, beispielsweise einer Besichtigung, gibt es noch ein enormes Verbesserungspotenzial. Ich denke da an Virtual oder Augmented Reality für Aktivitäten in Innenräumen wie zum Beispiel Museen. Und was die Vertriebskanäle angeht, insbesondere für Buchungen, sind nicht alle Angebote digitalisiert oder via Internet zugänglich, obwohl die Mehrheit der Akteure der Tourismusbranche heute auf Plattformen wie Booking.com oder Airbnb vertreten ist.

Wie können KMU und Branchenexperten eine effiziente Online-Marketing-Strategie entwickeln?

Broccard: Eine gute Digitalstrategie sieht bei Tourismusbetrieben genauso aus wie bei anderen Firmen. Zunächst müssen sie sich bestimmte Medien zu eigen machen, damit sie die Informationen zu ihrem Unternehmen selbst steuern können. Mit "Medien" meine ich, dass man zum Beispiel eine Website oder einen Blog betreibt. Dann rate ich dazu, klare und verständliche Informationen und Botschaften zu verbreiten. Wenn das läuft, kann man sich um das Management der sozialen Netzwerke und der Community kümmern. Das Ziel der Website, des Blogs, von Werbeanzeigen oder Posts in den sozialen Netzwerken besteht darin, die Konsumentinnen und Konsumenten genau zu informieren. Im Idealfall führen diese Beiträge dann dazu, dass aus den Besuchen oder Klicks ein Kauf zustandekommt.

Welche wesentlichen Punkte sollte man bei der Entwicklung einer wirkungsvollen Marketingstrategie unbedingt berücksichtigen?

Broccard: Ein wichtiger Aspekt ist das Management der Präsenz in den Suchmaschinen. Knapp 93% der späteren Kunden kommen über eine Suchmaschine wie Google auf die Website. Mit den richtigen Schlagworten, die bewirken, dass die Website unter den ersten Einträgen auftaucht, kann die gesamte Marketingstrategie zum Erfolg geführt werden. Nicht zuletzt empfehle ich auch eine Diversifizierung durch die Nutzung verschiedener Netzwerke, regelmässige Beiträge auf der Website oder dem Blog und Interaktionen mit der Community. Bezahlte Werbung ist dann erst der nächste Schritt.

Was liegt gerade im Trend?

Broccard: Emotionen und Erlebnisse stehen hoch im Kurs. Beim traditionellen Marketing wurden diese Ideen implizit vermittelt, indem Bilder von idyllischen Landschaften oder aufregenden Aktivitäten präsentiert wurden. Über die digitalen Kanäle versucht man nun, einen viel konkreteren Praxisbezug zu schaffen. Ein sehr gutes Beispiel ist hier das soziale Netzwerk TikTok. Es ist besonders wegen der in den Videos transportierten Gefühle so erfolgreich. Die meisten Tourismusdestinationen sind mittlerweile bei TikTok vertreten.

Wo brauchen KMU, die im Tourismus tätig sind, am häufigsten Unterstützung?

Broccard: Es handelt sich um ein recht neues Feld und nicht alle sind in der Lage, ohne Hilfe oder Weiterbildungen eine eigene Strategie zu erarbeiten. Heutzutage entscheiden sich viele Unternehmen dafür, "Community Manager" einzustellen, die entsprechende Fähigkeiten haben, also eine Website managen, Texte in mehreren Sprachen verfassen, eine Kampagne mit Google oder in den Social Media durchführen und den Kontakt zur Community pflegen können.

Sind digitales Marketing und traditionelles Marketing kompatibel?

Broccard: Sie ergänzen sich. Die traditionellen Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen sind ebenfalls gute Kanäle, über die sich Bilder und Botschaften verbreiten lassen. Wenn ein Unternehmen nur auf digitale Medien setzt, könnte ihm ein Teil der Zielgruppe entgehen. Beim Marketing ist es wichtig, dass eine Botschaft oft wiederholt wird. Es ist also eher positiv, wenn man eine Anzeige in den digitalen Medien und dann noch mal auf einem Plakat auf der Strasse sieht. Wenn es die finanziellen Mittel der Firma erlauben, kann eine verbundene Umsetzung von digitalen und traditionellen Werbekampagnen bewirken, dass die Stärken und Vorteile beider Sphären genutzt werden.


Informationen

Zur Person/Firma

Manu Broccard, Professor an der Fachhochschule HES-SO Valais-Wallis

Der aus dem Wallis stammende Manu Broccard ist dreisprachiger Experte für Tourismuswirtschaft und Regionalentwicklung. Nach einem Master in Tourismusmanagement leitete er fünfzehn Jahre lang verschiedene Tourismusbüros im Wallis, darunter "Cœur du Valais", dem 21 Gemeinden und 13 Büros angehörten. 2010 übernahm er die Leitung der Schweizerischen Tourismusfachschule und wurde anschliessend zum Professor an der HES-SO Valais Wallis ernannt. Dort lehrt er Marketing, Destinationsmanagement und Eventmanagement. Zudem ist er am Institut für Tourismus tätig, wo er mit dem Walliser Tourismus Observatorium zusammenarbeitet.

Letzte Änderung 16.02.2022

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