"Mitarbeiter mit atypischer Laufbahn erschaffen eher etwas Neues"

In seinem Buch mit dem Titel "Unique(s)" räumt Alexandre Pachulski mit dem schlechten Ruf von "atypischen Profilen" auf. 2007 war er Co-Founder von Talentsoft, dem europäischen Marktführer für Software-Lösungen im Bereich Talentmanagement, der 2'200 Kunden und 11 Millionen Nutzerinnen und Nutzer zählt.

Die Covid-19-Pandemie hat den Alltag der Arbeitnehmenden auf den Kopf gestellt. Die Nutzung bestimmter Technologien und vor allem von künstlicher Intelligenz nahm rasant zu. Viele von ihnen finden sich in der Arbeitswelt von heute nicht mehr zurecht. Der Franzose Alexander Pachulski, Mitbegründer von Talentsoft und Autor von "Unique(s)" und "Génération I.A." entwickelt seit Jahren immer wieder neue Gedanken im Hinblick auf Weiterbildung, Einstellungsverfahren und die im Unternehmen geltenden Werte. Er spricht über die Vorteile von Mitarbeitern mit untypischem Profil, das Problem der vorbestimmten Laufbahnen und mögliche Perspektivwechsel, mit denen man das Potenzial von Talenten zum Vorschein bringen kann.

Könnten Sie einmal definieren, was eine atypische Laufbahn ist? Haben Sie ein paar Beispiele für uns?

Alexandre Pachulski: Eine Person mit atypischer Laufbahn ist jemand, der sich in einer Situation befindet, auf die er sich nicht vorbereitet hatte. Anders als man oft hört, geht es weder um Autodidakten noch um Personen ohne Abschluss. Der Franzose Nicolas Hulot hat zum Beispiel ein atypisches Profil. Er wurde Minister, nachdem er zuvor als Fernsehmoderator mit dem Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit gearbeitet hatte.

Inwiefern sind Bewerber mit atypischen Profilen für ein Unternehmen interessant?

Pachulski: Sie halten sich nicht an Dingen aus der Vergangenheit fest, da diese nicht zu ihrem Erfahrungsschatz gehören. Mitarbeiter mit atypischer Laufbahn neigen daher eher dazu, etwas Neues zu erschaffen.

Wie findet man die besten Talente?

Pachulski: Das ist sehr schwierig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Talent den Arbeitgeber findet, ist höher als umgekehrt. Daher besteht die Rolle des Arbeitgebers darin, sein Projekt so genau wie möglich zu beschreiben, damit jemand, der überlegt, ob er sich bewirbt oder nicht, seine Entscheidung in bestmöglicher Kenntnis der Sache trifft. Der Bewerber muss wiederum in der Lage sein, über sich selbst, sein Leben und seine bisherige Arbeitserfahrung zu sprechen. Ein guter Manager wird spüren, ob der andere im Gespräch ehrlich ist. 

Wie kann eine Person mit atypischem Profil dies bei einem Arbeitgeber positiv zur Geltung bringen?

Pachulski: Man denkt, dass eine Person mit einer "typischen" Laufbahn, also mit dem richtigen Abschluss, eine bestimmte Aufgabe bewältigen kann. Dieser Gedanke ist grundfalsch, aber so läuft es. Ein Bewerber ohne den erwarteten Abschluss muss es also schaffen, dem Personaler zu erklären, dass er genau das hat, was dieser sucht. Er muss eine Geschichte erzählen – seine Geschichte. Er muss den Personalsuchenden dabei helfen, seinen Werdegang zu verstehen, und deutlich machen, auf welche Weise er die passenden Kompetenzen entwickeln konnte. Aus diesem Grund habe ich das Buch "Unique(s)" (dt: "einzigartig", Anm.d.R.) genannt. Ich hätte es auch "Différent" ("anders") nennen können, aber der Begriff kann etwas Abwertendes haben. Paradoxerweise sind Bewerber mit atypischem Profil darin nicht sonderlich talentiert.

In "Unique(s)" erzählen Sie von Top-Managern, die alles hinter sich lassen, um Bäcker oder Yogalehrer zu werden. Ist das nicht Vergeudung, wenn derart hoch qualifizierte Menschen ihrem Fachgebiet den Rücken kehren?

Pachulski: Wie wäre es, wenn man es andersherum betrachtet? Oft wählt man die Schule mit dem höchsten Prestige aus, weil man nicht weiss, was man aus seinem Leben machen will, und sich alle Optionen offenhalten möchte. Aber was wird man denn dadurch, dass man alles machen kann? Vergeudet ist für mich ein Leben, das von dem Ort bestimmt wird, an dem man geboren wird, von der Schule, die man besucht hat, von dem Abschluss, den man gemacht hat. Diese Determinierung hat aus meiner Sicht etwas Roboterhaftes. Das Gegenteil von Vergeudung ist, wenn man nach der Lektüre eines Buches, nach einem Traum oder einem Erlebnis entdeckt, wer man ist und was man tun möchte.

Wie entscheidet man sich für den richtigen Weg?

Pachulski: Es gibt kein Patentrezept, aber für mich heisst das Zauberwort Übereinstimmung. Es gibt einen Moment, in dem ich mit dem, was ich lebe, sage und tue, übereinstimme. Ich fühle: Das bin ich, das passt wie angegossen. Es ist wie mit Kleidung: Welche Vergeudung, in einer Rolle, einem Job, einem Anzug festzustecken, wenn es nicht zu einem passt! Ich beziehe mich auch gern auf Billy Elliot (Anm.d.R.: Film über einen Jungen in einer englischen Bergarbeitersiedlung, der sich vor seiner Familie versteckt, um tanzen zu lernen): "Wie viele Tänzer gibt es, die so tun, als wären sie Boxer, nur weil die Welt Boxer sehen will?"

Hat die Pandemie die Bedeutung neuer Kompetenzen deutlich gemacht?

Pachulski: Für mich hat die Pandemie im Hinblick auf die Wertschätzung bestimmter Profile nicht viel verändert, weil ich schon viele Menschen mit atypischer Laufbahn rekrutiert hatte. Als ich 2007 die Firma Talentsoft mitbegründete, hatte sie keine Ähnlichkeit mit anderen Firmen. Ich habe mich also von Anfang an von der Idee verabschiedet, Mitarbeiter zu suchen, "die sich auskennen". Ich habe mich auf die Suche nach Menschen gemacht, die Lust hatten, dieselbe Story zu erzählen wie ich. Unsere Geschichte musste sie inspirieren. So kamen die Ideen und der Einsatz hat sich gelohnt. Bei Talentsoft gab es eine intensive Afterwork-Kultur. Rund ein Drittel der Produkte wurde nach der Arbeit bei einem Bier entwickelt. So etwas lernt man nicht in der Schule. Das braucht es Leidenschaft und Engagement. Und wenn von 700 Mitarbeitern 50 in dieser Haltung arbeiten, dann entsteht ein Einhorn.


Informationen

Zur Person/Firma

Alexandre Pachulski, Co-Founder von Talentsoft

Alexandre Pachulski gründete 2007 gemeinsam mit zwei Freunden die Firma Talentsoft, nachdem er sechs Jahre lang bei Apple gearbeitet hatte. Er hat ein Promotionsstudium in Informatik absolviert und sich auf künstliche Intelligenz spezialisiert. Alexandre Puchalski betreibt einen Blog und ist Autor mehrerer Bücher, darunter "Unique(s)" und "Génération I. A. 80 films et séries pour décrypter l’intelligence artificielle".

Letzte Änderung 02.06.2021

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