"Wir möchten alle touristischen Akteure an einen Tisch bekommen"

Das Projekt discover.swiss soll eine einheitliche Plattform für alle Akteure der Schweizer Tourismusbranche aufbauen – um unter anderem die Abhängigkeit von Plattformen wie Booking zu vermindern.

Das Tourismusangebot in der Schweiz ist vielfältig, aber kleinteilig organisiert. Es gibt zahlreiche mobile Applikationen und Websites, es fehlt jedoch ein zentraler Ort, wo die Informationen zusammenlaufen. Für Touristen ist es daher oft schwierig, auf die richtigen Angebote zu stossen – sie weichen meistens auf internationale Buchungsplattformen wie Booking oder Airbnb aus. Das Projekt discover.swiss soll dies ändern. Es wurde vor drei Jahren von Akteuren des Schweizer Tourismus – Janine Bunte (Geschäftsführerin der Schweizer Jugendherbergen), Andreas Züllig (Präsident von hotelleriesuisse), Urs Wagenseil (Leiter Kompetenzzentrum für Tourismus an der Hochschule Luzern) und Jon Erni – lanciert und will bis Anfang 2020 eine digitale Plattform für alle Player im Schweizer Tourismus auf den Markt bringen. Für den Aufbau der Plattform wurden ein Verein sowie eine Genossenschaft gegründet. Im Interview erklärt Jon Erni, Initiant von mia Engiadina und ehemaliges Geschäftsleitungsmitglied von Microsoft Schweiz, die nächsten Schritte und künftige Herausforderungen für die Schweizer Tourismusbranche.

Wo sehen Sie im Moment die grössten Herausforderungen im Bereich Tourismus?

Jon Erni: Im Bereich Tourismus findet seit einiger Zeit eine Verlagerung ins Digitale statt. Die Gefahr dabei ist, dass der Markt dadurch immer mehr von multinationalen Konzernen bestimmt wird, wenn man es verpasst, ein eigenes überzeugendes Angebot aufzubauen. Hotels und andere touristische Einrichtungen sind im Moment stark auf Plattformen wie Booking oder Airbnb angewiesen, wobei sie Kommissionen zahlen und sich den Preismodellen der Plattformen beugen müssen. Diese multinationalen Plattformen erschweren es den Schweizer Akteuren zudem, den direkten Kontakt zu den Kunden herzustellen.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele touristische Angebote in der Schweiz noch gar nicht digital präsent sind. Plattformen wie Booking konzentrieren sich auf die Zimmervermittlung – ein lokaler Anbieter von Kutschenfahrten zum Beispiel kann dort nicht gebucht werden.

Inwiefern kann das Projekt discover.swiss diese Probleme angehen?
Erni:
Die Idee von discover.swiss ist, eine Back-End-Lösung aufzubauen, an der alle Daten und Informationen der wichtigsten Akteure im Bereich Tourismus zusammenlaufen. Diese Daten sollen zum Beispiel von den Hotels, den öffentlichen Verkehrsmitteln oder den Skigebieten kommen. Die einzelnen Akteure, wie zum Beispiel die Tourismusbehörden der Kantone oder die Betreiber von Seilbahnen, entwickeln weiterhin ihre eigenen mobilen Applikationen oder Websites – mit dem Unterschied, dass sie sich auf Inhalt und Design konzentrieren können, das technologische Fundament im Hintergrund bietet discover.swiss.

Welche Vorteile bietet dieses System für die Gäste?

Erni: Die Kunden werden eine Art digitale Gästekarte erhalten, mit der sie in die discover.swiss-Welt eintreten. Dazu wäre es zum Beispiel denkbar, dass der Meldeschein, den jeder Gast bei einer Übernachtung ausfüllt, digitalisiert wird. Mit dieser digitalen Gästekarte können die Gäste alle digitalen Angebote, die auf discover.swiss aufbauen, benutzen, ohne immer neu einen Login kreieren zu müssen. Dabei ist es ihnen immer möglich, ihre Daten zu verwalten und zu bestimmen, welche Art von Informationen sie teilen möchten.

Und für die Akteure des Tourismussektors?

Erni: discover.swiss bietet allen Anbietern von Produkten oder Services – vom kleinen Dorfrestaurant, über den Skiverleih bis hin zum Kutschenfahrer – die Möglichkeit, mit Menschen, die die Schweiz besuchen in Kontakt zu treten. Auf den grossen Plattformen wie Booking ist das nicht – oder nur begrenzt – möglich.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Erni:
Für die Entwicklung des Prototyps von discover.swiss arbeiten wir derzeit mit drei Partnern zusammen: Zürich Tourismus, Scuol/Zernez Tourismus sowie den Schweizer Jugendherbergen. Dieser Prozess sollte bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein, so dass der operative Betrieb des Prototyps Anfang 2020 beginnen kann.

Wie wird discover.swiss finanziert?

Erni: Momentan sind wir mit Eigenmitteln finanziert. Um alle Funktionen und Strukturen aufbauen zu können, haben wir zudem einen Antrag auf finanzielle Unterstützung bei Innotour gestellt. Der Betrieb des discover.swiss-Back-Ends wird später primär durch Nutzungsgebühren finanziert. Wir verrechnen aber keine Provisionen auf Umsatz, sondern nehmen die Nutzungsintensität der IT-Infrastruktur als Verrechnungsgrundlage.

Sie haben 2013 mit "mia Engiadina" ein ähnliches Projekt lanciert. Welche Erfahrungen konnten Sie dabei machen?

Erni: Bei dem Projekt handelt es sich um einen Zusammenschluss verschiedener Akteure aus dem Engadin, mit dem Ziel, ein nachhaltiges und innovatives Zukunftsmodell für die Region zu bilden. Dabei beschränken wir uns nicht auf den Tourismus: Die Partner kommen auch aus dem Bereich Bildung oder Telekommunikation. Für discover.swiss kann dieses Projekt dahingehend eine Inspiration sein. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass das Bilden von Ökosystemen zum Ziel führt. Mit discover.swiss möchten wir alle touristischen Player der Schweiz an einen Tisch bekommen.

Wie sehen Sie generell das Potenzial der Schweiz im Bereich Tourismus?

Erni: Ich denke, dass es immer mehr Menschen gibt, die nachhaltige Angebote abseits des Massentourismus suchen. Die Schweiz ist in der Lage, hochqualitative und spezifische Erlebnisse zu ermöglichen. Ausserdem glaube ich, dass der Arbeitstourismus eine grössere Rolle einnehmen wird. Berufstätige aus den urbanen Ballungsräumen suchen immer mehr nach Möglichkeiten, für eine bestimmte Zeit in einer ruhigen Umgebung zu arbeiten. Regionen wie das Engadin können das bieten. Voraussetzung dafür ist allerdings, eine effiziente digitale Infrastruktur zu besitzen.


Informationen

Zur Person/Firma

Jon Erni, Mitinitiator von discover.swiss

Jon Erni studierte Elektrotechnik an der ETH Zürich. Danach folgten Stationen bei verschiedenen Technologieunternehmen, zuletzt als Leiter Grosskunden und Public Sector bei Microsoft Schweiz. 2013 gründete er zusammen mit Not Carl die Plattform "mia Engiadina", um das Engadin in seiner Entwicklung zu unterstützen. Im Frühjahr 2018 hat Jon Erni seinen Posten bei Microsoft aufgegeben, um sich den Aufgaben als Präsident der Fundaziun mia Engiadina und der mia Engiadina Community, als CEO der mia Engiadina Marketing SA und als Verwaltungsrat der mia Engiadina Network SA zu widmen. Er gehört zu den Mitinitiatoren des Projekts discover.swiss.

Letzte Änderung 17.04.2019

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