"Um zu wissen, ob ein Produkt laufen wird, muss man es testen"

Eine Branche in Schwierigkeiten kann auch gleichbedeutend mit Gelegenheiten sein. Vorausgesetzt man schenkt seinem Markt Gehör und zögert nicht, sich selbst in Frage zu stellen. Das ist das Leitmotiv des jungen Zürcher Online-Mediums Republik.

Die Lancierung von Republik in Zürich löst 2017 in der Pressewelt ein kleines Erdbeben aus. Den sechs Gründerinnen und Gründern gelingt es, online CHF 3,4 Millionen über eine Crowdfunding-Aktion einzuwerben, die dem jungen Magazin 14'000 Abonnenten für ein Jahr sichert. Weitere CHF 3,3 Millionen werden von privaten Investoren beigesteuert, vor allem von lokalen Unternehmern. Es werden zwei Strukturen geschaffen: Republik, eine Aktiengesellschaft, die das Medium herausgibt, und Project R, eine Lesergenossenschaft, die 47% der Anteile an der AG hält. Die übrigen Anteile sind auf die Gründer und die Investoren der ersten Stunde verteilt.

Im Januar 2018 veröffentlicht Republik ihre ersten Inhalte, die zwar auch einige Kritiker auf den Plan rufen, aber durchaus ihr Publikum finden. Heute beschäftigt die Firma 45 Mitarbeiter und zählt 18'000 Abonnenten (61% der ursprünglichen Abonnenten haben ihr Abonnement 2019 verlängert). Nun will das Unternehmen noch eine Million Franken aufbringen, um sich weiterzuentwickeln. Mitgründerin Clara Vuilemin spricht über die ersten Schritte des Mediums.

Wie haben Sie es geschafft, in einer unsicheren und gesättigten Branche Kapital einzuwerben?

Clara Vuillemin: Unsere Investoren kamen nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil sie unsere Überzeugungen teilen: Sie glauben nicht, dass der Markt gesättigt ist. Die Nachfrage besteht weiterhin, nur haben die grossen Mediengruppen in der Schweiz aufgehört, sie zu bedienen, und lieber anderswo investiert. Das hat zu einem Rückgang der Vielfalt und der Qualität der einzelnen Publikationen geführt.

Haben Sie den Sektor im Vorfeld analysiert?

Vuillemin: Eine jährliche Studie des Fög, des an die Universität Zürich assoziierten Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft, untermauert unsere Feststellungen. Dennoch können viele Elemente, auf die wir unser Unternehmen aufbauen, nicht gemessen werden. Um zu wissen, ob ein Produkt laufen wird, muss man es testen.

Wie sah Ihr anfängliches Geschäftsmodell aus?

Vuillemin: Es sah vor, dass die Rentabilität bei 22'000 Mitgliedern erreicht wird, war aber darauf ausgerichtet, zunächst 3'000 zu gewinnen und dann kontinuierlich zu wachsen. Beim ersten Crowdfunding kamen dann 14'000 zusammen und wir haben verstanden, dass unser Wachstum nicht linear verlaufen, sondern von Projekten und Werbekampagnen getragen sein wird.

Also haben wir unseren Plan nach oben korrigiert: Wir werden wirtschaftlich selbsttragend sein, wenn wir 2023 auf 25'000 Abonnenten kommen. Aber für uns ist nicht so sehr die Zahl der Leser wichtig als vielmehr ihre Zufriedenheit und ihr Vertrauen. Mit dem Geld aus den Investitionen können wir etwas erschaffen und den Markt testen. Das Geld aus dem Crowdfunding war mit dem Verkauf eines Abonnements verbunden: Dadurch waren wir gezwungen, das bestmögliche Produkt zu liefern.

Worauf gründet sich das Vertrauen der Leser?

Vuillemin: Auf unsere Inhalte, aber auch auf die Struktur des Unternehmens. Wir haben sofort darüber nachgedacht, wie wir unsere Leser zu Eigentümern des Magazins machen können.

Laufen Sie nicht Gefahr, von Ihren Lesern abhängig zu sein?

Vuillemin: Wir haben Kanäle geschaffen, um ihre Meinung zu erfahren: Forum, Umfragen, ... Wir berücksichtigen ihr Feedback zu den Formaten und den Erscheinungszyklen, was aus unserer Sicht genauso wichtig ist wie der Inhalt. Über das Programm entscheidet die Redaktion, aber wenn gute Ideen an uns herangetragen werden, nehmen wir sie auf. Dieses Gleichgewicht ist niemals starr. Einige Arten, wie wir Themen behandeln, haben dazu geführt, dass Leser abgesprungen sind. Aber wir versuchen, im Dialog zu bleiben und unsere Entscheidungen zu begründen, insbesondere durch regelmässige Newsletter.

Was ist "guter" Journalismus oder welche redaktionellen Innovationen haben Sie eingeführt?

Vuillemin: Wir geben den Journalisten Zeit, bevor sie anfangen zu schreiben, und wir werden weder direkt noch indirekt durch Anzeigenkunden beeinflusst. Wir haben aus dem, was wir woanders finden konnten, eine Auswahl getroffen: lange Online-Formate, Serien, wöchentliches Briefing zur Einordnung der aktuellen Nachrichten, auch für die Schweizer Politik. Und einige Artikel gibt es im Audio-Format.

Wie führt man ein Unternehmen, ohne auf lange Sicht planen zu können?

Vuillemin: Man muss flexibel bleiben. Wir glauben, dass wir als Team beweglich genug sind, um auf alle Situationen zu reagieren, unsere Pläne umzustellen, das Produkt zu verändern und die finanziellen Prognosen anzupassen. Der wirtschaftliche Ertrag, sofern es einen gibt, wird erstmal sehr gering sein und langfristig entstehen. Das wissen unsere Investoren und ihr Antrieb ist nicht das Geld. Einige haben uns Darlehen gewährt: Deren Rückzahlung hat für uns Vorrang, und wenn es später möglich ist, werden wir Dividenden auszahlen.

Wie haben Sie die technologische Innovation integriert?

Vuillemin: Wir haben fünf Entwickler, wodurch wir unsere eigene Crowdfunding-Plattform aufbauen konnten. Diese Unabhängigkeit ermöglicht es uns, schnell zu reagieren und die Kosten zu begrenzen. Die Entwickler haben ein methodologisches Know-how, um kundenzentrierte Produkte zu schaffen. Sie sind nicht einfach ausführende Angestellte, sondern Teil der Redaktion und werden in alle Überlegungen eingebunden.

Was würden Sie einem Unternehmer raten, der auf einem unsicheren Markt aktiv wird?

Vuillemin: Das Wichtigste ist das Vertrauen des Kunden. Wir haben nicht die Quantität, sondern den Mehrwert im Visier. Man darf sich nicht von der Angst leiten lassen. Das Management einer Firma bringt Risiken und Probleme mit sich, aber wenn man die vermeiden will, legt man gar nicht erst los.


Informationen

Zur Person/Firma

Clara Vuillemin, Co-Geschäftsführerin von Republik

Die Zürcherin Clara Vuillemin wurde 1992 geboren. Nach einem Bachelor als Elektroingenieurin an der ETH Lausanne arbeitete sie zunächst in Moskau als Journalistin und kam dann zum Rotpunktverlag nach Zürich, wo sie für IT und Prozesse verantwortlich war. 2017 wurde sie Mitgründerin von Republik. Sie ist zudem Mitgründerin und Verwaltungsrätin der Genossenschaft Project R. Beim Magazin war sie zunächst IT-Chefin und für die Produktentwicklung zuständig. Im Oktober 2018 wurde sie Mitglied der Geschäftsleitung und Verwaltungsrätin von Republik sowie Verwaltungsratsvorsitzende von Project R.

Letzte Änderung 07.08.2019

Zum Seitenanfang

News und nützliche Informationen für Gründer und Unternehmer
https://www.kmu.admin.ch/content/kmu/de/home/aktuell/interviews/2019/um-zu-wissen-ob-ein-produkt-laufen-wird-muss-man-es-testen.html