"Um einen grossen Markt zu erobern, muss man bereit sein, Risiken einzugehen"

Das Unternehmen Bestmile aus Lausanne hat eine Software entwickelt, die eine Flotte autonomer Fahrzeuge aus der Ferne und in Echtzeit steuern kann. Heute gehört es laut Venturelab zu den fünf besten Start-ups der Schweiz.

Bestmile, ein Spin-off der EPFL, wurde im Januar 2014 von Anne Mellano und Raphael Gindrat gegründet und hat einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich autonome Fahrzeuge aus der Ferne steuern lassen. Die Software schickt in Echtzeit dem richtigen Fahrzeug im richtigen Moment den richtigen Auftrag und berücksichtigt dabei auch Unvorhergesehenes und andere Störelemente. Heute beschäftigt das Unternehmen rund sechzig Personen, die auf die Standorte Lausanne, San Francisco, Singapur und Polen verteilt sind. Das Programm wird in einem Dutzend Länder vermarktet, darunter die USA, Deutschland und Japan. Warum ist eine internationale Präsenz unverzichtbar, wenn man sich auf einem globalen Markt entwickeln will? Antworten von Mitgründerin Anne Mellano.

Welche Vorteile bringt es, wenn man Büros im Ausland hat?

Anne Mellano: Das hängt wirklich von der Art der Tätigkeit und dem Kerngeschäft ab. Unseres ist die Mobilität. Das ist ein globaler Markt, der von internationalen Akteuren geprägt ist. In dem Fall ist es wichtig zu zeigen, dass man in der Lage ist, ausserhalb der eigenen Landesgrenzen Fuss zu fassen. Wir haben uns also in San Francisco niedergelassen, dem "Hot Spot" unserer Industrie, der auch im Bereich der wachstumsstarken Start-ups eine Referenz ist. Viele Unternehmen und Forschungszentren, mit denen wir zusammenarbeiten, sind dort ansässig. Das erlaubt uns nicht nur, einen grösseren Markt an Kunden zu erreichen, sondern auch, uns mit unseren Konkurrenten zu vergleichen und ein Alleinstellungsmerkmal zu finden.

Was sind die Schwierigkeiten einer solchen Organisation?

Mellano: Man muss gut darüber nachdenken, welche Teile der Firma man ins Ausland verlegen will. In unserem Fall haben wir versucht, das Management-Team in Lausanne zu belassen. Das erleichtert die Kommunikation und macht es möglich, sich eine gewisse Dynamik zu bewahren. Dagegen funktioniert es sehr gut, das Marketing, die Kommunikation und den Vertrieb auszulagern, denn es ist wichtig, Mitarbeiter zu haben, die mitten im Markt sind und dessen Einflüsse direkt spüren können. Um trotz der zersplitterten Struktur einen Teamgeist zu behalten, bringen wir alle Teams physisch bei Workshops und einem jährlich stattfindenden gemeinsamen Wochenende zusammen.

Zu welchem Zeitpunkt sollte man die Eröffnung ausländischer Büros in Betracht ziehen?

Mellano: Das hängt davon ab, in welcher Industrie das Unternehmen tätig ist. Was macht es? In welchem Entwicklungsstadium befindet es sich? Es geht darum, das richtige Feeling dafür zu haben und auch Risiken einzugehen. Bei uns ist es so: Der Sektor der autonomen Mobilität ist noch sehr jung und wir konnten nicht warten, bis er in Europa herangereift ist, bevor wir uns in den USA niederlassen. Mit der Eröffnung unseres ersten Büros in San Francisco im 2016 hatten wir das Ziel, näher dran zu sein an Investoren, die bereit sind, eine junge und damit riskantere Industrie zu finanzieren.

Wie geht man das konkret an?

Mellano: Wir sind Schritt für Schritt vorgegangen. Wir haben damit begonnen, einen lokalen Leiter für den Vertrieb, den Kern unseres Geschäfts in den USA, zu rekrutieren, der an die Türen geklopft und sozusagen die Temperatur gemessen hat. Von da an hat sich das Team nach und nach vergrössert.

Inwiefern war eine Präsenz im Ausland für Bestmile von Nutzen?

Mellano: Auch wenn das meiste Kapital bisher in Europa eingeworben wurde, hat unsere Präsenz in San Francisco uns dabei geholfen, einen Teil der Mittel zu beschaffen. Sie ist auch für unsere Sichtbarkeit im von uns anvisierten Wirtschaftsumfeld notwendig. Und nicht zuletzt sind die USA ein riesiger Markt mit vielen potenziellen Kunden.

Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?

Mellano: Wir arbeiten nach dem SaaS-Modell (Anm. d. R.: vom Englischen "Software as a Service"). Es gibt eine einmalige Gebühr im Zusammenhang mit der Einrichtung der Software und dann einen monatlichen Tarif, der von der Anzahl der über die Plattform gesteuerten Fahrzeuge abhängt.

Auf welche Finanzierungsquellen greifen Sie zurück?

Mellano: Die Firma finanziert sich durch den Vertrieb und verschiedene Investoren wie Business Angels oder Venture-Capital-Fonds. In diesem Jahr haben wir CHF 16,5 Millionen eingeworben. Seit der Gründung von Bestmile sind es insgesamt CHF 31 Millionen.

Was würden Sie einem Jungunternehmer raten, der Büros im Ausland eröffnen möchte?

Mellano: Es ist unverzichtbar, dass man seine Industrie und seine Konkurrenten kennt, um seinen ersten internationalen Markt gut auszusuchen. In der Schweiz neigen wir dazu, warten zu wollen, bis wir alles unter Kontrolle haben, bevor wir starten, aber das ist nicht machbar, wenn einem amerikanische Riesen gegenüberstehen, die Millionen investieren. Wenn man will, dass die Schweizer Unternehmen im Ausland mit von der Partie sind, muss man bereit sein, Risiken einzugehen.


Informationen

Zur Person/Firma

Anne Mellano, Mitgründerin von Bestmile

Anne Mellano hat an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) Bauingenieurwesen studiert und sich auf Verkehrsplanung spezialisiert. Anschliessend arbeitete sie in einem Büro für Architektur und Stadtplanung, wo sie sich in einem Projekt mit Fokus auf innovative Mobilität engagierte. In diesem Rahmen begann sie ihre Zusammenarbeit mit Raphael Gindrat, ebenfalls Absolvent der EPFL, Mitgründer und CEO von Bestmile.

Letzte Änderung 06.11.2019

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