Es heisst, dass sich nur eine von zehn Schweizerinnen um ihre Finanzen kümmert. Nannette Hechler-Fayd'herbe, die seit mehr als zwanzig Jahren als renommierte Bankerin in Zürich tätig ist, findet, dass sich das endlich ändern sollte.
Es wäre absolut wünschenswert, dass sich Frauen genauso für das Thema Geldanlage interessieren wie Männer. Dies würde beispielsweise dazu führen, den hohen Einkommensunterschied zwischen Rentnerinnen und Rentnern zu reduzieren (dieser beträgt in den OECD-Ländern durchschnittlich 26%). Zudem könnten auf diese Weise rund 3'220 Milliarden Dollar in die Weltwirtschaft fliessen, wie aus einer Studie des Finanzunternehmens BNY Mellon aus dem Jahr 2022 hervorgeht. Mehr als die Hälfte dieser Summe (1'870 Milliarden) würde sogar an verantwortungsvolle Projekte gehen, da Anlegerinnen stärker als ihre männlichen Pendants darauf achten, dass ihre Investments eine positive soziale und ökologische Wirkung haben.
In der Schweiz sind Frauen jedoch nach wie vor eher selten als Anlegerinnen tätig. Laut einer Studie des FinTech-Unternehmens Inyova kümmern sich nur 11,5% der Frauen regelmässig um ihre Finanzen, während es bei den Männern 22,8% sind. Nannette Hechler-Fayd'herbe bedauert diese Situation. Die Investmentchefin für die EMEA-Region (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) bei der Bank Lombard Odier, teilt ihre Erfahrungen, wie man auch Frauen überzeugen kann, sich für Geldanlagen zu interessieren.
Sie haben vor mehr als zwanzig Jahren im Bankensektor bei der Credit Suisse in Zürich angefangen. Wie haben Sie die Entwicklung des Themas Investmenttätigkeit von Frauen seit Ihren ersten Jahren wahrgenommen?
Nannette Hechler-Fayd'herbe: Das Thema Geldanlagen von Frauen war in der Schweiz noch vor fünf Jahren gar nicht präsent, doch heutzutage ist es bei den grossen Bankengruppen und auch bei den Start-ups im Finanzsektor allgegenwärtig. Dennoch sind Frauen immer noch ein Kundensegment, das zu wenig bedient und aktiviert wird. Um dies zu ändern, muss man ihren Bedürfnissen nachkommen. Einerseits wollen Frauen pragmatisch und ohne Fachsimpelei über alle Finanzthemen informiert werden, die sie interessieren. Sie wollen zum Beispiel nicht, dass man Akronyme verwendet, wenn man sich auf börsenkotierte Firmen oder auf Produkte bezieht. Andererseits wissen sie es zu schätzen, wenn sie in einem sicheren Rahmen ganz offen ihre Fragen stellen können, etwa in einem interaktiven Diskussionsforum in einer kleinen Gruppe.
Laut der Studie von BNY Mellon kommen Investments, die von Frauen getätigt werden, häufiger Projekten zugute, die als "verantwortungsvoll" gelten. Können Sie diese Tendenz ebenfalls beobachten?
Hechler-Fayd'herbe: Es stimmt, dass sich Anlegerinnen stärker für nachhaltige Investments zu interessieren scheinen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass dies bei der jungen Generation allgemein der Fall ist, egal ob es sich um Männer oder Frauen handelt.
Meine Recherchen haben eher ergeben, dass Frauen einen konservativeren Anlagestil pflegen, dass sie also weniger risikofreudig investieren. Grundsätzlich kommt das darin zum Ausdruck, dass der Aktienanteil in der Anlagestrategie bei ihnen geringer ist. Und das trägt dazu bei, dass das Vermögen der Frauen durchschnittlich weniger rasch wächst als das der Männer. Diese konservative Haltung ist besonders bei Frauen in einem Alter verbreitet, in dem die Gründung einer Familie ansteht, und bei Laien. Bei Frauen, die im Finanzwesen arbeiten, sind die Unterschiede zu den Männern minimal oder gleich Null.
Laut dem 2023 veröffentlichten Women’s Entrepreneurship Report der HSW Freiburg werben Unternehmerinnen etwa ein Drittel weniger Kapital ein als männliche Unternehmer. Könnte sich das ändern, wenn die Zahl der Anlegerinnen zunimmt?
Hechler-Fayd'herbe: Das ist möglich. Meiner Meinung nach handelt es sich um einen natürlichen Reifungsprozess. Mehr frauengeführte Unternehmen mit mehr Projekten in verschiedenen Branchen werden automatisch zu einer grösseren Auswahl und letztlich zu mehr Kapital und auch zu mehr von Frauen gemanagten Fonds führen.
In der Studie von BNY Mellon werden im Wesentlichen drei Hindernisse für die Investitionstätigkeit von Frauen identifiziert: das Einkommen, die Risikotoleranz und das mangelnde Vertrauen in Geldanlagen im Allgemeinen. Wie lassen sich diese Hürden beseitigen?
Hechler-Fayd'herbe: Frauen tauschen sich über sehr viele Themen aus, aber sehr selten über Geld. Dabei würden sie sehr davon profitieren, wenn sie häufiger über ihre Finanzen sprechen und ihre Spar- und Anlagestrategien vergleichen würden. Um das zu ändern, müsste man diese Fragen bei ihnen viel mehr thematisieren. Idealerweise müssten die Universitäten und Berufsbildungszentren Investmentkurse in ihren Basis-Lehrgang aufnehmen. Die Universität Zürich hat damit begonnen, aber es wäre gut, das auszuweiten und eine echte Dynamik rund um diese Themen zu schaffen. In den USA gibt es zum Beispiel Investmentclubs für Studierende. Dort wird einfach und pragmatisch über Geldanlagen diskutiert.
Was könnte man einer jungen Frau raten, die anfangen möchte, ihr Geld zu investieren?
Hechler-Fayd'herbe: Erstens ist es wichtig zu definieren, welche Summe in welchem Rhythmus investiert werden soll. Die berufliche Vorsorge für Anlagen zu nutzen (ein Teil des jährlichen Steuerfreibetrags), ist eine gute Möglichkeit, den ersten Schritt in die Welt der Investments zu machen. Zweitens besteht das Geheimnis darin, eher regelmässig zu investieren, als einmal eine grosse Summe anzulegen. Man sollte vermeiden, dass es hin und her geht, man sich also sein Kapital zurückholt, um woanders neu anzufangen. Drittens ist es daher wirklich wichtig, sich eine Strategie zuzulegen und sich langfristig daran zu halten, damit sie Früchte trägt.
Es gibt aber keine "perfekte" Persönlichkeit für das Thema Geldanlage. Es gibt verschiedene Anlagestile, die an eine mehr oder weniger abenteuerlustige Persönlichkeit angepasst sind. Diese können sich auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Lebensphase verändern.
Zur Persona/Firma
Nannette Hechler-Fayd'herbe hat an der Hochschule für Sozialwissenschaften Paris studiert und an der Universität Lausanne promoviert. Anschliessend arbeitete sie mehr als 20 Jahre für die Credit Suisse in Zürich, davon zehn Jahre in hohen Führungspositionen. Anfang 2024 stieg sie als Chief Investment Officer for EMEA und Head Investment Strategy, Sustainability and Research bei Lombard Odier ein.
Letzte Änderung 07.08.2024