Die digitale Transformation stellt die Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen im Hinblick auf Sicherheit, Reputation und Betriebsabläufe. Die Grundsätze der Corporate Digital Responsibility (CDR) sollen ihnen helfen, sich dafür zu wappnen. Erläuterungen von Vincent Kaufmann, Direktor der Ethos Stiftung.
Cybersicherheit, Datenschutz, Transparenz, soziale und ökologische Auswirkungen: Mit der digitalen Transformation gehen viele Risiken für Unternehmen einher. Prävention erfolgt hier zum einen durch die Konformität mit den verbindlichen Regelungen wie dem neuen Datenschutzgesetz (revDSG) oder der Pflicht, Cyberangriffe bei den zuständigen Behörden zu melden, die 2025 in Kraft treten wird. Doch die Unternehmen können noch einen Schritt weiter gehen, indem sie sich die Grundsätze der Corporate Digital Responsibility (CDR) zueigen machen. Diese Empfehlungen zielen auf einen besseren Schutz der Kunden, Geschäftspartner und Beschäftigten vor Gefahren im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Firmenaktivität ab, wie Vincent Kaufmann, Direktor der von Pensionskassen gegründeten Ethos Stiftung, die sich auf sozial verantwortungsbewusste Geldanlagen spezialisiert hat, erklärt.
Ethos hat in diesem Jahr die dritte Studie zur CDR veröffentlicht. Welche Bilanz lässt sich daraus ziehen?
Vincent Kaufmann: Die Ergebnisse bleiben durchwachsen, auch wenn sie sich von Jahr zu Jahr verbessern, hauptsächlich hinsichtlich Cybersicherheit und Transparenz. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen langsam ein Bewusstsein für Cyberangriffe und die daraus resultierenden Schäden entwickeln. Durch die neue Gesetzgebung wie zum Beispiel das neue Datenschutzgesetz sind die betroffenen Akteure verpflichtet, Massnahmen in den Bereichen Datenschutz und Transparenz zu ergreifen.
Wir sehen auch erfreuliche Entwicklungen bei den Umweltthemen und ein höheres Bewusstsein dafür, wie wichtig es für die Wirtschaftsakteure ist, ihre CO2-Bilanz zu verbessern. Beispielsweise kann ein Unternehmen einfache Änderungen in seinen Abläufen vornehmen, um den CO2-Abdruck seiner digitalen Aktivitäten (Datenspeicherung, Webdesign usw.) zu verkleinern und sich mit gebrauchter überarbeiteter Hardware ausstatten. Immer mehr Organisationen schlagen diesen Weg ein.
Welche Herausforderungen bringt CDR mit sich?
Kaufmann: Es geht darum, sich die Auswirkungen der digitalen Transformation bewusst zu machen und mit geeigneten Massnahmen darauf zu reagieren. Wir haben 7 Säulen identifiziert: Governance, Transparenz, Datenschutz, künstliche Intelligenz, sensible Aktivitäten, soziale Auswirkungen und ökologische Auswirkungen.
Der Boom der generativen künstlichen Intelligenz bringt für die Unternehmen Risiken, aber auch Chancen mit sich. Wie lassen sich diese Tools verantwortungsvoll einbinden?
Kaufmann: Wir regen Unternehmen dazu an, Massnahmen zu ergreifen, um die sozialen Auswirkungen dieser neuen Technologien zu begrenzen. Als Vertreter der Pensionskassen (Anm. d. Red.: Die Ethos Stiftung, die sozial verantwortungsbewusste Geldanlagen fördert, hat aktuell 252 Mitglieder, von denen Vorsorgeeinrichtungen die grosse Mehrheit bilden) müssen wir uns auch für den Erhalt von Arbeitsplätzen einsetzen, denn sie sind die Grundlage für die Finanzierung der Renten.
Ein verantwortungsvoller Ansatz für den Umgang mit KI besteht darin, eher auf Weiterbildungen und eine Anpassung der Aufgaben oder auch eine Reduzierung der Arbeitszeit zu setzen, anstatt Stellen abzubauen. Um die Qualität der mit Hilfe von KI erschaffenen Leistungen zu erhalten, empfehlen wir darüber hinaus, ein besonderes Augenmerk auf die Qualität der Daten zu legen, mit denen die Algorithmen gefüttert werden, damit die Risiken von Verzerrungen in der Analyse möglichst gering gehalten werden. Und wenn die Maschine Ergebnisse produziert, die Expertinnen und Experten des jeweiligen Fachs nicht erklären können, raten wir dazu, diese nicht zu verwenden.
Die CDR-Studien von Ethos untersuchen Grossunternehmen, die an der Schweizer Börse kotiert sind. Können KMU ihre CDR ebenfalls verbessern?
Kaufmann: Ja. Ganz unabhängig von der Firmengrösse ist die Cybersicherheit häufig der erste Bereich, um den man sich kümmern sollte. Selbst kleine Firmen können ins Visier von Cyberkriminellen geraten und die Konsequenzen, die bis zu einem Betriebsunterbruch für mehrere Tage reichen können, werden immer noch häufig unterschätzt. Wir empfehlen den Unternehmen auch, eine Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter digitaler Dienstleistungen zu vermeiden. Viele bieten Komplettpakete an, von denen man sich später möglicherweise nur schwer wieder lösen kann. Problematisch kann es zum Beispiel werden, wenn die Preise plötzlich stark steigen. Bevor man seine eigenen Daten und die der Kunden einem Dienstleister anvertraut, sollte man sich zudem ausführlich über dessen Praktiken informieren. Auf diesem Gebiet ist es besser, den Rat von Fachleuten einzuholen.
Das sind sehr viele und potenziell kostspielige Schritte. Warum sollten sich KMU dennoch dafür interessieren?
Kaufmann: Digitale Verantwortung schützt die KMU vor existenziellen Bedrohungen wie Cyberangriffen, aber auch vor Reputationsrisiken. Fehlendes Engagement oder mangelnde Transparenz im Datenmanagement, bei Mitarbeiterschulungen zu neuen Technologien oder bei einer wirksamen und konkreten Reduzierung des CO2-Abdrucks können zu einem schlechteren Ruf des Unternehmens bei den Kunden, aber auch bei den Beschäftigten, in der Öffentlichkeit und bei Investoren führen.
Gibt es einfache und leicht zugängliche Mittel, mit denen man mehr über CDR erfahren kann?
Kaufmann: Ja, es gibt mehrere Online-Tools, die die Grundlagen der CDR erklären und einem die Herausforderungen bewusst machen. In Genf gab es zum Beispiel eine Kooperation zwischen der Hochschule für Wirtschaft, der Universität und dem Kanton, in deren Rahmen ein zugängliches und didaktisch gut aufbereitetes Tool entwickelt wurde. Mit diesem Instrument können sich diejenigen, die es möchten, mit der CDR vertraut machen und sehr konkrete praktische Tipps erhalten, deren Umsetzung nicht viel kostet. Ausserdem bietet das Institute for SustainableIT (ISIT) hervorragende Schulungen zum ökologischen Fussabdruck der digitalen Praktiken.
Informationen
Zur Persona/Firma

Vincent Kaufmann, der aus La Chaux-de-Fonds (NE) stammt, absolvierte an der Universität Genf ein Studium in Betriebswirtschaft, das er 2003 mit einer Licence abschloss. Noch im selben Jahr fing er bei der Ethos Stiftung an, wo er die Karriereleiter aufstieg, bis er 2015 zum Direktor befördert wurde. Er ist ausserdem Vorstandsmitglied von Swiss Sustainable Finance, hat ein eidgenössisches Diplom als Experte in Rechnungslegung und Controlling und sitzt im Verwaltungsrat des familiengeführten Eisenwarengeschäfts Kaufmann & Fils.
Letzte Änderung 03.07.2024