"Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Tourismusindustrie aus"

Der Tourismus spielt für die Wirtschaft in den Schweizer Bergregionen eine entscheidende Rolle. Wie kann man die Branche auf Dauer erhalten? Antworten von Jürg Schmid, Tourismus-Experte und Präsident von Graubünden Ferien.

Der Tourismussektor macht rund 20% des Bruttoinlandproduktes der Bergregionen aus und ist direkt oder indirekt für 25% der Arbeitsplätze verantwortlich. Doch die klimatischen Veränderungen und die stetig sinkenden Schneemengen stellen das Geschäftsmodell vieler Bergdestinationen in Frage. Jürg Schmid, Partner einer spezialisierten Strategie- und Kommunikationsagentur und Präsident von Graubünden Ferien, blickt dennoch optimistisch auf die Zukunft der Branche.

Der Tourismus ist ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaft in den Schweizer Bergregionen. Wie sehen Sie die Zukunft des Sektors?

Jürg Schmid: Kriege, Konflikte, Migration, Energieknappheit... Es gab schon mal unbeschwertere Zeiten. Und dennoch bin ich zuversichtlich für den alpinen Tourismus. Viele der globalen, gesellschaftlichen und touristischen Trends spielen für diese naturnahe, aktive und erholungsintensive Tourismusform. Und unsere Branche hat sich in den vergangenen Jahren äusserst resilient gezeigt.

Heute geht es im Tourismus um sinnstiftende Erlebnisse. Werte, Achtsamkeit, Zeit – Zeit für sich, seinen Partner, Partnerin, seine Familie und seine Enkel – das sind die neuen Sehnsüchte der Reisenden. Die Schweizer Destinationen kombinieren Naturerlebnisse mit modernster touristischer Infrastruktur, verbunden durch den besten öffentlichen Nahverkehr der Welt. Unsere alpinen Täler und Orte sind eine Erlebnisplattform, die zum Zeitgeist passt.

Die Zukunftschancen sind intakt. Die hohen Kosten, die Arbeitskräftesituation und die kurze Zeit wirklich starker Auslastung wirken aber dämpfend auf die Investitionsfähigkeit der touristischen Betriebe.

Ist es notwendig, einen Vier-Jahreszeiten-Tourismus zu betreiben, um den Erhalt der Bergdestinationen zu sichern?

Schmid: Unsere Kostenstrukturen verlangen nach einer längeren Phase der hohen Auslastung. Mit der Wintersaison alleine können unsere Hotels, Restaurants und der Detailhandel nicht überleben. Wir müssen unsere Kräfte also auf eine Auslastungssteigerung im Sommer und Herbst ausrichten. Dafür ist die Internationalisierung unseres Gästemixes entscheidend. Denn der starke Franken macht uns in den Nachbarländern nicht attraktiver.

Welche anderen Elemente kommen in Frage, um auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren?

Schmid: Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Tourismusindustrie aus, sowohl auf das Angebot als auch auf die Nachfrage. Die Bedingungen für Schnee im Winter werden erschwert. Die Sommer werden dagegen attraktiver, denn dauerhaft über 40 Grad gefällt nicht allen: In einer alternden Gesellschaft gewinnt die alpine Frische an Attraktivität. Ich gehe auch mittel- bis langfristig von saisonalen Verschiebungen im Mittelmeerraum aus, wo es immer Sommer weniger Gäste geben wird, dafür aber mehr in der Frühlings- und Herbstsaison. Entscheidend für die Destinationswahl bleibt das Erlebnis vor Ort. Dieses muss stimmen und stetig verbessert und innoviert werden.

Welche Strategien empfehlen Sie den Kunden Ihrer Agentur für die Bergdestinationen?

Schmid: Wir unterstützen touristische Destinationen in ihrer Wahl der Positionierung, Ausrichtung und Schwerpunktsetzung. Zu oft ist die Versuchung gross, es allen recht machen zu wollen. Sehr lautstark sind die diesbezüglichen Forderungen lokaler Akteure. Unser Ziel ist es, methodisch für die jeweilige Station die echten Stärken und Trümpfe der Zukunft zu identifizieren. In fast allen Winterdestinationen ist der Schnee weiss und das Bergpanorama majestätisch. Es gilt diese Austauschbarkeit zu überwinden.

Wie läuft so ein Projekt ab?

Schmid: Es sind fast immer die Guten, die erkennen, dass nur die Vorwärtsbewegung sie vorne bleiben lässt. Dabei steht fast immer die Erkenntnis, dass das Umfeld – ob Klima, Gästebedürfnisse oder Märktemix – sich verändert, am Anfang eines Projektes.

Im Rahmen einer externen Strategieüberprüfung können alle Anspruchs- und Meinungsgruppen vorurteilsfrei eingebunden werden. In unserem Vorgehen identifizieren wir die Gästeströme, also die Hauptreisemotive, warum eine Destination gewählt wird. Diese Motive bewerten wir nach Potenzial, Grösse, Nutzen, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Eine Destination kann und muss nicht alle Gästesegmente bearbeiten. Sie sollte sich eher zum Ziel setzen, für ausgewählte Gästegruppen besser und sichtbarer zu werden.

Was ist das Wichtigste für die Entwicklung einer erfolgreichen Tourismusstrategie?

Schmid: Zuhören ist der Schlüssel zum Erfolg. Das Wissen vor Ort ist besonders tief und profund. Deshalb beziehen wir lokale Akteure und Akteurinnen immer mit ein. Besonders die Sichten und Meinungen der Unbequemen, die nicht zum Mainstream gehören, gilt es abzuholen und einzubinden, genau wie die der Zweitheimischen, denn sie sind Insider mit Aussenblick.


Informationen

Zur Person/Firma

Jürg Schmid, Partner bei Schmid Pelli & Partner

Jürg Schmid ist Partner in der Strategie- und Kommunikationsagentur Schmid Pelli & Partner. Ausserdem ist er Präsident der kantonalen Tourismusförderung Graubünden Ferien sowie Präsident des Verwaltungsrates der Hotelgruppe The Living Circle. Zuvor war er unter anderem Direktor von Schweiz Tourismus.

Letzte Änderung 07.02.2024

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