"Man muss sich Zeit für die Beschäftigung mit den neuen Technologien nehmen"

Die digitalen Innovationen zu erklären und möglichst vielen dabei zu helfen, sie sich anzueignen. Das ist das Ziel des neuen Digital Lab, das von der Berner Fachhochschule Wirtschaft eröffnet wurde.

Künstliche Intelligenz, Machine learning, Data Analytics... Die Medien sind voll von diesen Themen. Aber was können sie einem KMU konkret bringen? Die Beantwortung dieser Frage gehört zu den Aufgaben des Digital Lab an der Berner Fachhochschule (BFH) Wirtschaft. Ab diesem Frühjahr wird die von Philipp Matter geleitete Einrichtung unter anderem "Digital Snacks" veranstalten, bei denen die Herausforderungen und der Nutzen der neusten digitalen Technologien praktisch erklärt werden sollen.

Wie ist das Projekt Digital Lab entstanden?

Philipp Matter: Für unsere Einrichtung ist es entscheidend, dass wir uns für die Megatrends von morgen interessieren, beispielsweise die Digitale Transformation. Als Fachhochschule ist es uns ausserdem wichtig, diese Themen so weit wie möglich unter dem Aspekt des praktischen Erlebens zu behandeln, insbesondere um zu untersuchen, inwiefern diese neuen Technologien in den Unternehmen, heute und in Zukunft, wirklich nützlich sein können.

Der Austausch mit der Unternehmenswelt ist also ein wesentlicher Aspekt Ihrer Arbeit?

Matter: Ja, genau. Wir stellen fest, dass auf dem Arbeitsmarkt heute eine grosse Nachfrage nach Absolventen besteht, die vielseitige digitale Kompetenzen haben. Darum setzen wir auf die Zusammenarbeit mit den Unternehmen, um herauszufinden, welche Technologien die grössten Auswirkungen haben, egal ob positiv oder negativ. Das bedeutet, dass man in erster Linie dem Markt zuhören muss:  Was beschäftigt die KMU gegenwärtig? Für welche Probleme müssen sie Lösungen finden? Unser Angebot besteht darin zu prüfen wie diese Schwierigkeiten mit Hilfe der neuen Technologien leichter gelöst werden können.

Welche Herausforderungen sind mit der digitalen Transformation verbunden?

Matter: Eine der grössten Herausforderungen ist, dass sich die Technologien so schnell weiterentwickeln. Das gilt besonders für die KMU, die oft nicht über die Zeit oder die nötigen Ressourcen verfügen, um für diese Fragen einen eigenen Forschungsbereich einzurichten. Das Risiko ist dann, dass man von den Neuerungen überflutet wird und am Ende gar nichts macht. Es geht darum, gut zwischen einem vorübergehenden Hype und einem echten Potenzial zu unterscheiden. Eine andere Herausforderung ist das Change Management, sobald man sich für die Einführung einer Technologie entschieden hat. Viele Projekte scheitern am Widerstand der Mitarbeiter oder der Nutzer. Diese müssen unbedingt eingebunden werden und die Auswirkungen auf ihre Tätigkeit müssen früh genug bedacht werden. Dann gibt es noch die ethische Frage: Will ich eine Technologie nutzen, die zum Abbau von Arbeitsplätzen führt? Auch hier müssen die Unternehmen gut über die positiven und negativen Folgen auf mehr oder weniger lange Sicht nachdenken.

Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach detaillierter behandelt werden?

Matter: Es gibt Megatrends wie Data Analytics und Künstliche Intelligenz, die ein grosses Potenzial haben, auch für die KMU. Aber wir beobachten auch, dass die Digitalisierung im Moment ihrer Umsetzung häufig auf Probleme stösst. Einige Projekte werden mit einer gewissen Euphorie begonnen und dann wieder aufgegeben, weil sie zu komplex sind oder man das gesetzte Ziel schlecht definiert hatte. Manchmal lässt sich das Potenzial der Künstlichen Intelligenz für die kleinen Unternehmen nur schwer beurteilen. Deshalb wollen wir auf diesem Gebiet spezielle Kompetenzen erwerben.

Wie wollen Sie die Verbreitung dieses Know-hows fördern?

Matter: Zunächst erfolgt das über die Organisation von "Digital Snacks". Das sind kleine Lehreinheiten für Menschen, die keine besonderen technischen Kenntnisse haben. Dort kann man zum Beispiel ein Thema wie Data Analytics behandeln. Die Teilnehmer erfahren, woher die Daten kommen und wie diese aussehen, und lernen dann in praktischen Übungen, wie man sie aufbereiten und für sich nutzen kann. Bisher haben wir drei "Digital Snacks" für die Studierenden und Mitarbeiter der BFH organisiert. Dadurch konnten wir die Themen identifizieren, die besonders viel Interesse wecken, und wertvolle Erfahrungen sammeln. Einen möglichst einfachen und pragmatischen Zugang zu schaffen, ist ein zentraler Gedanke dieses Projekts. Die ersten "Digital Snacks" für die Allgemeinheit werden ab dem Frühjahr stattfinden.

Haben Sie andere neue Weiterbildungen im digitalen Bereich geplant?

Matter: Unser Departement wird zum Herbst 2020 den Studiengang "Digital Business Administration" einführen. Dieser wird stark an die Inhalte und Lernstrukturen des Digital Lab angelehnt sein. Unser Departement bietet darüber hinaus spezifische Fachkurse an, um bestimmte Themen zu vertiefen. Wir stehen auch den Unternehmen bei konkreten Projekten zur Seite, sei es in Form von Coaching, Beratung oder gemeinsamen Forschungsprojekten.

Was würden Sie Unternehmenden im Hinblick auf die Digitalisierung raten?

Matter: Mein erster Tipp ist Ruhe zu bewahren und nicht vorschnell zu handeln. Gerade weil sich zwar die technologischen Möglichkeiten sehr rasch entwickeln, die Veränderungen bei den Menschen und ihren Bedürfnissen aber viel langsamer erfolgen. Zweitens empfehle ich, der Digitalisierung mit einer offenen und aufmerksamen Haltung zu begegnen. Man muss sich Zeit für die Beschäftigung mit den neuen Technologien nehmen. Und drittens ist es notwendig zu experimentieren und zu verstehen, wie die neusten Innovationen funktionieren. Damit sinkt das Risiko, dass man eines Tages wirklich überrascht wird und keinen Anschluss mehr findet.


Informationen

Zur Person/Firma

Philipp Matter, Professor und Leiter des Digital Lab an der Berner Fachhochschule Wirtschaft (BFH)

Philipp Matter ist Professor und Leiter des Digital Lab an der Berner Fachhochschule Wirtschaft (BFH). Nach dem Abschluss seines Studiums der Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Wien arbeitete er als Software-Entwickler und machte dann seinen Doktor in Informatik an der Universität Zürich. Bevor er zur BFH kam, arbeitete er als Unternehmensberater für diverse KMU und Grossunternehmen in der Schweiz.

Letzte Änderung 19.02.2020

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