"Im internationalen Vergleich belegen Schweizer KMU einen Spitzenplatz"

Ein neuer Bericht zeigt auf, welches Gewicht die kleinen und mittleren Unternehmen in den 36 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben. Martin Godel, Leiter des Ressorts KMU-Politik des SECO, entschlüsselt die darin präsentierten Ergebnisse.

KMU sind der Motor für die wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Entwicklung eines Landes und machen mehr als 99% der Unternehmen in den 36 Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)* aus. Laut dem im Mai 2019 veröffentlichten Bericht "OECD SME and Entrepreneurship Outlook" stellen sie 60% aller Arbeitsplätze und haben an der gesamten Wertschöpfung einen Anteil von 50 bis 60%. Auch in der Schweiz kommt den Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden eine gewichtige Rolle zu. Hierzulande sind 99,7% aller Firmen KMU; auf sie entfallen zwei Drittel der Stellen und 58% der gesamten Wertschöpfung.

Im Bewusstsein um die hohe Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen für die Wirtschaft des Landes hat der Bund seine Politik speziell auf diese Firmen zugeschnitten. Optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Unternehmen florieren können, ist für Martin Godel essentiell. Der Leiter des Ressorts KMU-Politik des SECO nimmt die Lage der Schweiz unter die Lupe und vergleicht sie mit derjenigen in den anderen OECD-Ländern.

Wie hat sich die Situation der kleinen und mittleren Unternehmen seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren verändert?

Martin Godel: Der Bericht der OECD zeigt auf, dass die KMU wieder Fahrt aufgenommen haben. Ihre Lage hat sich im Nachgang der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 bis 2016 (letzte aktuelle Daten) klar verbessert. Die Zahl der Gründungen, u.a. ein wichtiger Motor für neue Arbeitsplätze, hatte 2016 in vielen Ländern wieder ein höheres Niveau als vor der Krise erreicht. Pro Neugründung wurden im Durchschnitt aber weniger Leute beschäftigt. Dies war in den Jahren 2013-2015, für welche die OECD Zahlen ausweist, auch für die Schweiz der Fall: Die Gründung von KMUs führte in diesem Zeitraum zu einer Steigerung der Gesamtzahl an Unternehmen in der Schweiz um jährlich rund 5%, während die dadurch geschaffenen Arbeitsplätze den Gesamtbestand an Stellen "nur" um rund 1% erhöhten.

Zudem lassen sich im Allgemeinen auch erhebliche Produktivitäts- und Lohnunterschiede zwischen KMU und Grossunternehmen feststellen. Selbst in relativ grossen KMU sind im OECD-Raum die Löhne in der Regel um 20 Prozent tiefer als in Grossunternehmen. Der Grund dafür liegt vor allem in der tieferen Produktivität vieler KMU im OECD-Raum. Zudem fand das Beschäftigungswachstum der KMU in den letzten zehn Jahren vor allem in Bereichen mit relativ geringer Produktivität statt.

In welchen Sektoren weisen die Schweizer KMU eine besonders hohe Dynamik auf?

Godel: Die Schweizer Wirtschaft zeichnet sich im internationalen Vergleich vor allem durch einen starken Dienstleistungssektor aus. In diesem Sektor wurden insbesondere in Unternehmen mit höherer Produktivität Arbeitsplätze durch Unternehmensgründungen geschaffen. Daneben waren vor allem der Gross- und Einzelhandel sowie die Baubranche für neue Arbeitsplätze verantwortlich. Aber auch Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)-Dienstleistungen machen mit 8% einen wichtigen Anteil der neu geschaffenen Arbeitsplätze aus.

Wie ist es um die Produktivität der von den kleinen und mittleren Unternehmen in der Schweiz geschaffenen Stellen im internationalen Vergleich bestellt?

Godel: In der Schweiz wurden rund 60% der von neuen KMU kreierten Stellen in Sektoren mit unterdurchschnittlicher Produktivität geschaffen. Dazu gehören wie in vielen OECD-Ländern Branchen wie Gastronomie, das Gesundheits- sowie das Pflegewesen. Im internationalen Vergleich belegen Schweizer KMU aber trotzdem einen Spitzenplatz. Die vergleichsweise hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hiesiger KMUs widerspiegelt sich in den durch KMU neugeschaffenen Stellen. Diese weisen häufiger als in anderen Ländern überdurchschnittliche Saläre auf.

Der Bericht analysiert auch die allgemeinen Bedingungen für die Ansiedlung von kleinen und mittleren Unternehmen. Bietet die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern günstige Rahmenbedingungen? Wenn ja, in welchen Bereichen?

Godel: Das internationale wirtschaftspolitische Umfeld ist geprägt von einem zunehmenden Wettbewerb unter den Staaten in Bezug auf die Rahmenbedingungen. Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen und administrativen Belastungen im Allgemeinen steht die Schweiz im internationalen Vergleich noch relativ gut da. Dies stammt noch von unserem "liberalen Erbe". Heutzutage sind Reformen, welche den Standort Schweiz im internationalen Vergleich deutlich stärken eher selten. Daraus resultiert eine allmähliche Erosion des Schweizer Wettbewerbsvorsprungs. Die stetigen Rangverluste der Schweiz im Ease-of-Doing-Business-Index (Doing Business) weisen darauf hin, dass die Reformdynamik in vielen Ländern deutlich höher als in der Schweiz ist.

Welche Aspekte müsste die Schweiz der OECD zufolge ändern, um die Situation der KMU noch weiter zu verbessern?

Godel: In ihrem jüngsten Länderbericht zur Wirtschaftspolitik der Schweiz hält die OECD fest, dass sich die Schweiz bei der Digitalisierung zwar in einer guten Ausgangslage befindet, die digitale Transformation in der Schweiz jedoch durch einen IT-Fachkräftemangel und ein teilweise zu rigides Wettbewerbsumfeld behindert werde. Die OECD empfiehlt deshalb, Markteintrittsbarrieren abzubauen sowie den Wettbewerb zu stärken. Die OECD begrüsst die geplante Einführung der elektronischen Identität E-ID, welche ein grundlegendes Element des zukünftigen digitalen Staats und der digitalen Wirtschaft sein soll. Die staatlich regulierte elektronische Identität schafft Vertrauen und Sicherheit im digitalen Verkehr. Sie bildet ein Schlüsselelement der zukünftigen digitalen Wirtschaft und des digitalen Staats.

Schliesslich engagieren sich Schweizer KMU stärker im Bereich Innovation als ihre Kollegen in der OECD. Im Gegensatz dazu stellt der OECD-Bericht auch fest, dass die Beteiligung der Schweizer KMU an Netzwerken für Forschung und Entwicklung geringer ist. Sie sind auch weniger proaktiv bei der Digitalisierung interner Prozesse. Gerade dies müssen wir im Auge behalten.

*Die aktuelle Liste der Mitgliedstaaten kann unter folgender Adresse abgerufen werden: http://www.oecd.org/about/members-and-partners/


Informationen

Zur Person/Firma

Porträt von Martin Godel, Leiter Ressort KMU-Politik des SECO

Martin Godel absolvierte ein Lizenziat am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien und einen Master an der Fletcher School of Law and Diplomacy in Boston, MA (USA). 2002 kam er zum Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), wo er heute als stellvertretender Leiter der Direktion Standortförderung und Leiter des Ressorts KMU-Politik tätig ist.

Letzte Änderung 15.01.2020

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