"Hierarchiestufen wie in der privaten Wirtschaft"

In speziellen Kursen vermittelt die Schweizer Armee Führungskräften aus Verwaltung und Wirtschaft ihr Know-how in den Bereichen Krisenmanagement und Konfliktlösung. 

Probleme erfassen, Lösungen erarbeiten und Entscheidungen treffen, um Krisensituationen zu lösen oder zu vermeiden – diese Aspekte gehören zu den Kernkompetenzen von militärischen Führungskräften. Da diese Kompetenzen auch im zivilen Bereich gefragt sind, bietet die Schweizer Armee seit 2008 "Transfer"-Kurse an, um dieses Wissen an Führungskräfte aus der privaten Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung weiterzugeben. Angeboten werden diese Kurse vom Kommando MIKA (Management-, Informations- und Kommunikationsausbildung) an der Zentralschule in Luzern, aber auch in der West- und Südschweiz.

Die Kurse dauern für Einzelpersonen vier Tage und haben bestimmte Schwerpunkte, wie zum Beispiel Leadership, Decision Making oder Krisenmanagement. Zudem gibt es massgeschneiderte Angebote für Firmen und Behörden. Im Jahr 2018 haben fast 500 Personen aus dem zivilen Bereich an den Kursen des Kommando MIKA teilgenommen. Im Interview erläutert Oberst i Gst Mark Eigenheer, Kommandant des MIKA, die Grundlagen militärischen Managements und militärischer Konfliktlösung.

Welche Grundlagen in den Bereichen Krisenmanagement und Leadership kann die Armee dem zivilen Sektor ganz allgemein vermitteln?

Mark Eigenheer: Wir vermitteln in unseren Management-Kursen im Wesentlichen drei Aspekte. Zum ersten erläutern wir die allgemeinen Führungsgrundsätze der Schweizer Armee. Es geht dabei zum Beispiel darum, wie bei uns Informationen weitergegeben werden. Darauf aufbauend erklären wir ein mehrstufiges Problemlöseverfahren, das die Problemerfassung, die Lagebeurteilung, die Entschlussfassung, die Planentwicklung sowie die Befehlsgebung beinhaltet. Schliesslich zeigen wir, wie die Führungsperson zu jedem Zeitpunkt den Überblick über die Lage behalten kann.

Wichtig ist zudem, zu vermitteln, was unter dem Begriff "Krise" zu verstehen ist. Es handelt sich um eine problematische Situation, die sich ohne konkretes Handeln verschlimmern würde. Es bedarf also einer Entscheidung, um einen Wendepunkt herbeizuführen. Dieses Verständnis für Situationen hilft Führungskräften, den richtigen Moment für das Einleiten von Problemlöseverfahren abzupassen.

Wie werden diese Kompetenzen konkret vermittelt?

Eigenheer: Die Transfer-Kurse sind sehr praxisorientiert. Es geht darum, die einzelnen Schritte der Problemlöseverfahren so oft wie möglich in Gruppenarbeit an konkreten Beispielen anzuwenden. Diese kommen allesamt aus dem zivilen Sektor und widerspiegeln konkrete Probleme, mit denen Unternehmen oder Behörden zu tun haben. Dabei inspirieren wir uns auch an aktuellen Ereignissen, wie zum Beispiel die Fusion zwischen den Automobilkonzernen PSA und Fiat. Anhand dieses Falls erarbeitet die Gruppe die Ausgangslage, potentielle Probleme und Krisen und wie mit diesen umgegangen werden kann. Generell geht es darum, Führungspersonen systematische Handlungsmöglichkeiten, die für verschiedene Problemfelder anwendbar sind, zu vermitteln.

Haben Sie ein anderes Beispiel?
Eigenheer:
2017 hat ein Video in den sozialen Medien zu einem plötzlichen Touristenansturm im Valle Verzasca im Tessin geführt. Die dortigen Behörden waren mit der Situation gefordert, da auch die dortige Infrastruktur auf solche Menschenmassen nicht vorbereitet ist – von einem Tag auf den anderen kamen Tausende an Touristen, vor allem aus dem nahegelegenen Mailand. Anhand dieses Beispiels ist es möglich, die Effizienz des mehrstufigen Problemlöseverfahrens der Schweizer Armee zu zeigen, da es darum geht, möglichst schnell auf eine unvorbereitete Problemsituation zu reagieren und das Handeln verschiedener Akteure aus Verwaltung und privater Wirtschaft zu koordinieren.

Aus welchen Bereichen kommen die Teilnehmenden?

Eigenheer: Die meisten Teilnehmenden stammen aus den Bereichen öffentliche Verwaltung sowie Polizei und Feuerwehr. Aus der privaten Wirtschaft kommen vor allem Führungskräfte aus Banken, Versicherungen und Energieunternehmen. Generell haben wir in den letzten Jahren ein gesteigertes Interesse an unseren Transfer-Kursen wahrgenommen, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass viele Führungskräfte das Gefühl haben, unsichere Zeiten zu erleben, welche verstärkt Krisen hervorrufen können.

Wie lassen sich Management-Grundsätze aus der Armee auf unternehmerische Strukturen übertragen, die vermehrt auf flache Hierarchien und Bottom-up-Prozesse setzen?

Eigenheer: Bei den Transfer-Kursen zeigen wir, dass sich die Hierarchiestufen beim Militär nicht unbedingt von den zivilen unterscheiden. In der privaten Wirtschaft gibt es immer an einem Punkt eine Person, die eine Entscheidung trifft, an die sich dann andere Personen halten müssen. Die Anzahl der Hierarchiestufen hängt von der Grösse des Unternehmens ab – beim Militär von der Grösse der Kompanie. Es ist auch ein Irrtum, dass der Einzelne in der Armee keinen Spielraum für Eigeneinitiative besitzt. Die Entscheidungsträger teilen immer nur das Ziel mit: was, wann und wo etwas geschehen muss. Das Wie ist dem Einzelnen überlassen.

Wie wird das in den Kursen Erlernte Ihrer Erfahrung nach im Alltag umgesetzt?

Eigenheer: Manche Unternehmen – vor allem jene, die massgeschneiderte Angebote für ganze Teams wahrnehmen – setzen die erlernten Entscheidungsprozesse eins zu eins um. Andere übernehmen die Strukturen, ändern aber semantische Aspekte – also wie die einzelnen Stufen des Problemlöseverfahrens genannt werden – und passen diese der Unternehmenssprache an. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die meisten Teilnehmenden aus den Transfer-Kursen Werkzeuge mitnehmen, mit denen Krisensituationen systematisch angehen können.


Informationen

Zur Person/Firma

Oberst i Gst Mark Eigenheer

Oberst i Gst Mark Eigenheer hat Militärwissenschaften an der Militärakademie der ETH Zürich sowie Global Security am Defence College of Management and Technology Shrivenham (UK) studiert. Für die Schweizer Armee war er in den Bereichen Ausbildung und Planung tätig. International nahm er an Einsätzen in Sumatra (2005 und 2009) und Haiti (2010) teil. In der Schweiz war Oberst i Gst Mark Eigenheer u.a. 2014 an einem subsidiären Sicherheitseinsatz beteiligt. Seine derzeitige Tätigkeit im Bereich Höhere Kaderausbildung bei der Schweizer Armee konzentriert sich auf Management-, Informations- und Kommunikationsausbildung.

Letzte Änderung 05.02.2020

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