"Die Gesundheitskrise wird die Nachfrage nach Wirtschaftsmediation erhöhen"

Wirtschaftsmediation ist ein effizienter Weg, um Konflikte und Streitigkeiten beizulegen. Jean-Christophe Barth teilt seine Empfehlungen.

Lieferverzug, Schlechtleistung im Rahmen eines Vertrags oder Unstimmigkeiten zwischen Partnern eines Projekts können im Leben eines Unternehmens schnell zu teuren und störenden Hindernissen werden. Anstatt ein langes und kostspieliges Gerichtsverfahren einzuleiten, kann man zunächst auf Mediation zurückgreifen, um in einen offenen Dialog zwischen den beteiligten Parteien zu treten. Dafür plädiert Jean-Christophe Barth, Co-Präsident der Schweizer Kammer für Wirtschaftsmediation (SKWM). Der ehemalige Rechtsberater für Unternehmen weist darauf hin, dass dieses Verfahren für KMU sehr nützlich ist, um ihre wirtschaftlichen Streitigkeiten mit geringem finanziellen Aufwand zu lösen, sei es mit Partnern, Kunden, Banken oder der Verwaltung.

Wie würden Sie Wirtschaftsmediation in wenigen Worten erklären?

Jean-Christophe Barth: Es ist wichtig, den Mediator als Vermittler in menschlichen Beziehungen anzusehen. In diesem Sinne nehme ich Wirtschaftsmediation als ein Mittel wahr, um Spannungen zu lösen, die bei jeder Tätigkeit entstehen können, an der Menschen beteiligt sind. Egal ob im Rahmen der Arbeit, zwischen Unternehmen, Führungskräften oder Aktionären – Wirtschaftsmediation hilft dabei, sich mit Blick auf die Interessen der einzelnen Parteien anzunähern, eine Vertraulichkeit zu gewährleisten, die in der Geschäftswelt notwendig ist, und eine für alle optimale Lösung anzustreben.

Wie läuft so ein Mediationsprozess konkret ab?

Barth: Nehmen wir das Beispiel von Lieferverzögerungen bei bestimmten Produkten. Das ist einer der häufigsten Fälle, bei denen wir zum Einsatz kommen. Zunächst einmal einigen sich die Parteien darauf, die Verfahren auszusetzen und einen oder mehrere Mediatoren auszuwählen. Der nimmt dann rasch Gespräche auf, um den Dialog zwischen den Parteien zu organisieren. Bei einem ersten Treffen bittet er die Parteien darum, den Sachverhalt darzulegen. Bei starken Spannungen finden die ersten Begegnungen getrennt statt. Es ist aber entscheidend, dass es einem gelingt, alle an einen Tisch zu bringen, um konkrete und umsetzbare Lösungen zu finden.

Warum sind diese Treffen notwendig?

Barth: Der erste wichtige Punkt bei solchen Konflikten ist, dass man beobachtet, wie stark die Spannungen sind, um zu sehen, wie weit der Konflikt vorangeschritten ist. Sind sie sehr stark, so muss man erstmal die Bedingungen für eine konstruktive Kommunikation wieder herstellen. Bei den Begegnungen geht es zunächst um die Fakten und um die emotionale Wahrnehmung. Man darf ja nicht vergessen, dass hinter den Unternehmen Männer und Frauen mit Gefühlen stecken. Und manchmal entsteht die Blockade nur dadurch, dass sich eine Person ausgeschlossen oder missachtet gefühlt hat. Wenn dann die Positionen aller Beteiligten in Bezug auf den Sachverhalt geklärt sind, können wir die entscheidende Frage stellen: Was ist in meinem Interesse? Wollen wir uns am Ende wirklich vor Gericht gegenüberstehen? Von da an können wir entspannt daran arbeiten, die Situation zu verbessern und zu lösen. Am Ende des Prozesses, bei der endgültigen Einigung, können die Parteien zu einem Notar oder Richter gehen, damit sie rechtskräftig wird.

Worin genau bestehen die Vorteile einer Mediation im Vergleich zur Beauftragung eines Anwalts?

Barth:

Die eigentliche Frage, die wir uns stellen sollten, ist doch: "Können wir uns erlauben eine Mediation nicht zu versuchen?" Vor Gericht gibt es stets binäre Ergebnisse – einen Gewinner und einen Verlierer. Der aktuellen Umwälzung in der Wirtschaft wird das kaum gerecht werden. Die meisten KMU kämpfen ums Überleben und da sollten wir uns rasch etwas überlegen um konkret zu helfen, die Herausforderungen besser durch interessenbasierte Verhandlungen zu meistern.

Das Hauptziel einer Mediation ist, dass man eine friedliche Lösung findet, der alle Parteien zustimmen können, indem man jede Verhärtung im Vorfeld vermeidet. Sie wären überrascht zu sehen, wie kreativ die Lösungen sein können, auch über das Vertragsverhältnis hinaus, damit ein Streit wirksam geschlichtet wird und die Reputation der Unternehmen nicht leidet. Ein Anwalt wird hingegen stets versuchen, Schwächen in der Position des "Gegners" ausfindig zu machen, um sie zum eigenen Vorteil zu nutzen, sodass die Gefahr besteht, dass sich der Konflikt in die Länge zieht und den Beziehungen langfristig schadet. Das Gerichtsverfahren macht die Vertraulichkeit der Geschäftsbeziehung kaputt, es dauert länger und führt am Ende zu deutlich höheren Kosten.

Eine Schlichtung zwischen Unternehmen ist extrem teuer und führt nicht unbedingt zur besten Lösung, um die Geschäftsbeziehung zu retten. Selbst wenn es keine offiziellen Statistiken gibt, kristallisiert sich eine Zahl heraus: Über 95% der im Rahmen einer Mediation verhandelten Fälle werden dauerhaft gelöst.

Gibt es neue Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise?

Barth: Viele Konflikte entstehen aus den Spannungen, die durch die Erschütterung der Gesellschaft und der Industrie hervorgerufen werden. Das sind zum Beispiel Forderungen im Fall der Nichtleistung aufgrund von behördlich angeordneten Schliessungen, Überschreitungen des Kostenrahmens, Verzögerungen zwischen Vertragspartnern und Konflikte in den Beziehungen zwischen Beschäftigten und den firmeninternen Strukturen. Als Verwaltungsratsmitglied kann ich bezeugen, dass es viele Quellen für Konflikte zwischen Geschäftsführung und Verwaltungsrat gibt, die sich mit dem Instrument der Mediation sehr schnell klären lassen.

Haben Sie zu diesem Thema Veranstaltungen organisiert oder spezielle Massnahmen eingeführt?

Barth: Unsere Mediatoren richten gegenwärtig Mediationssysteme per Videokonferenz ein, damit sie weiterhin verfügbar bleiben. Denn im Zusammenhang mit der Gesundheitskrise sind alle möglichen Konfliktsituationen entstanden. Ausserdem werden die Unternehmen vermutlich häufiger auf Mediationsangebote zurückgreifen, da derzeit keine Gerichtsverhandlungen stattfinden können, um über Rechtssachen zu entscheiden. Ferner ist die Beauftragung von Rechtsanwälten teuer und laut unseren Statistiken hat jedes sechste KMU Liquiditätsprobleme. Daher sind wir gut darauf vorbereitet, dass wir künftig mehr Arbeit haben dürften.

Was würden Sie einem KMU raten, das Streit mit einem Kunden, Lieferanten oder Dienstleister hat?

Barth: Zunächst muss sich der Unternehmer oder der gesetzliche Vertreter einer Firma in jedem Fall folgende Fragen stellen: "Worum geht es mir bei dieser Sache? Und in welchem Kontext steht der Streit?" Ebenso müssen der Dienstleistungschef oder der Angestellte den Weg der Mediation einschlagen, bevor irgendein anderer Schritt in Richtung Gerichts- oder Strafverfahren unternommen wird. Mit Hilfe des Mediators wird dann ganz vertraulich zwischen den betroffenen Personen eine friedliche Lösung gesucht. Schliesslich ist es sehr wichtig, dem eigenen KMU mit einer wohlwollenden Haltung zu begegnen. Das heisst auch, dass man sich für Methoden entscheidet, die nicht viel Geld kosten, und dass man ernsthaft beabsichtigt, den Streit durch Mediation zu lösen. Ich ermutige sie, die Liste der SKWM-Mediatoren durchzugehen und mit den ausgewählten zertifizierten Experten ein Erstgespräch zu führen.


Informationen

Zur Person/Firma

Jean-Christophe Barth, Schweizer Kammer für Wirtschaftsmediation

Jean-Christophe Barth ist Verwaltungsratsmitglied bei verschiedenen Unternehmen und Co-Präsident der Schweizer Kammer für Wirtschaftsmediation (SKWM). Zudem ist er Mitgründer des Netzwerks selbstständiger Verwaltungsräte APIA Swiss, das KMU auf dem Weg zu einer leistungsstarken Unternehmensführung begleitet. Gegenwärtig leitet er die NGO World Association of PPP Units & Professionals und 2018 lancierte er die Initiative European Champions Alliance, um Scale-up dabei zu helfen, in Europa erfolgreicher zu sein.

Letzte Änderung 06.05.2020

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