Was können KMU gegen sexuelle Belästigung tun?

Schlechtere berufliche Leistungen, negatives Image – sexuelle Belästigung hat für ein Unternehmen schwerwiegende Folgen. Tipps für eine wirksame Prävention.

Eine weibliche Person wird von einem Dutzend schwarz gezeichneter Hände eingekreist, die versuchen, sie zu erreichen.

Gesetzlich sind Geschäftsführungen durch das Obligationenrecht und das Gleichstellungsgesetz verpflichtet, ihre Beschäftigten zu schützen, indem sie die erforderlichen Massnahmen gegen sexuelle Belästigung treffen. Denn das Problem ist in der Berufswelt alles andere als unbedeutend. Laut einer Studie vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, für die im Jahr 2007 rund 2'020 Beschäftigte befragt wurden, waren knapp 30% der Frauen und 10% der Männer mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. 

Eine Vertrauensperson benennen 

Sexistisches Verhalten, pornografische Gegenstände oder Bilder, unerwünschte Berührungen, Vergewaltigungen: Sexuelle Belästigung kann ganz unterschiedliche Formen annehmen, von unangebrachten Gesten bis zu sehr schlimmen Taten. Geschäftsführungen fühlen sich bei solchen Problemen, die in der Berufswelt weiterhin ein Tabu sind, häufig hilflos. 

"Laut der Rechtsprechung von 2012 muss ein Arbeitgeber die notwendigen Massnahmen treffen, um Konflikte beizulegen und die betroffenen Personen zu schützen", erklärt Isabelle Ernst-Pauchard, Rechtsanwältin beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann. Im Fall von sexueller Belästigung bedeutet das unter anderem, dass die Firma eine interne oder externe Vertrauensperson benennen muss (s. Kasten). Sie muss erfahren und unparteiisch sein, um die Vertraulichkeit gewährleisten und objektive Untersuchungen durchführen zu können – mit dem Einverständnis der Person, die sich als Opfer sieht, und im Auftrag des Arbeitgebers. "Für eine intensivere Ermittlung sollte man einen externen Experten benennen, der auch über das juristische Fachwissen verfügt", rät Isabelle Ernst-Pauchard. 

Wenn ein Unternehmen dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann es sein, dass ihm eine externe Vertrauensperson vorgesetzt wird, die internen Konflikten vorbeugen soll. 

Eine klare Haltung 

Wichtig ist ausserdem, dass das Unternehmen seine Position zum Thema Belästigung klar definiert. "Das geschieht über eine Grundsatzerklärung, die im Personalreglement, durch einen Brief an alle Mitarbeitenden oder eine Plakatkampagne in den Firmenräumen offiziell publik gemacht werden kann", ergänzt Isabelle Ernst-Pauchard. Solche Verhaltensweisen nicht zu dulden und angemessene Sanktionen zu verhängen, die von einer Verwarnung bis zur Entlassung des Täters reichen können, ist die Pflicht des Unternehmens – es muss reagieren, wenn es sich keiner Mitverantwortung schuldig machen will. "Entscheidend ist, wie sich die Führungsetage in einem konkreten Fall verhält. Die Angemessenheit der Reaktion hängt davon ab, wie gut die Kader für das Thema Belästigung geschult sind", weiss Karine Lempen, Professorin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Genf. 

Egal worum es geht – "ein Arbeitgeber ist verpflichtet, sich um die Gesundheit der Arbeitnehmer zu kümmern", erinnert Mélanie Battistini vom Deuxième Observatoire, dem Westschweizer Institut für Forschung und Weiterbildung zu Geschlechterverhältnissen. Zum Thema Belästigung bietet die Organisation im Rahmen des Programms PME Action + verschiedene Firmenschulungen an. "Um sexuelle Belästigung handelt es sich, sobald ein sexistisches oder sexuelles Verhalten eine Person belästigt oder in ihrer Würde verletzt. Die Toleranzschwelle kann bei jedem einzelnen Mitarbeiter sehr unterschiedlich hoch sein." 

Dem Opfer keine Schuld geben 

Zwischen Scham und Schuldgefühlen brauchen Opfer oft lange, bis sie sich mitteilen; häufig fürchten sie Repressalien. "Wenn sie darüber sprechen, muss man zuhören und darf die Geschehnisse vor allem nicht herunterspielen", sagt Mélanie Battistini. "Es gibt noch zu viele Angestellte, die belästigt wurden und am Ende kündigen, weil der Missbrauch nicht als solcher anerkannt wurde. Dabei gibt es Lösungen, um wieder zu unbeschwerten Arbeitsbedingungen zurückzufinden." 

Das Verschulden anzuerkennen und zu bestrafen, alles zu tun, um das Opfer vom Täter zu trennen – z.B. durch eine neue Position oder angepasste Arbeitszeiten – und ihm zu ermöglichen, wieder normal zu arbeiten: All das hilft der belästigten Person dabei, sich wieder zu stabilisieren. Die belästigende Person wiederum muss sich bewusst werden, welchen Schaden ihr Verhalten angerichtet hat. "Ein sexistischer Witz oder eine anzügliche Bemerkung werden in einigen Unternehmen als banal angesehen", berichtet Mélanie Battistini. Doch solche Verhaltensweisen können schon als Belästigung gelten, wenn sich einige Mitarbeiter dadurch gestört oder getroffen fühlen.


Informationen 

Zum Thema

"Die Unternehmen sind noch nicht gut genug über sexuelle Belästigung informiert" 

Luc Wenger, Jurist und Mediator bei Intermède in Neuenburg, wird als Vertrauensperson tätig, wenn es um Fälle von sexueller Belästigung in Unternehmen sowie öffentlichen oder privaten Organisationen geht. Er berichtet: 

"Die Intervention einer Vertrauensperson bei Konflikten in der Arbeitswelt ist eine Pflicht. Die Mitarbeitenden des Unternehmens müssen von der Existenz dieser Person, die für Fälle von sexueller Belästigung zuständig ist, wissen, damit sie sich im Problemfall an sie wenden können. Die Vertrauensperson darf in keinem hierarchischen Verhältnis zum Opfer stehen, sie muss ihm zuhören und das Unternehmen beraten, welche Schritte es unternehmen sollte. 

Die Unternehmen, vor allem die KMU, sind über die seit 2012 geltende Rechtsprechung nicht genug informiert. Dabei ist es gar nicht kompliziert, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, und die Unternehmen können sich helfen lassen. Wer sich bei den zuständigen Zentren für Fragen der Belästigung informiert, kann angemessene Vorkehrungen zur Prävention und damit zum Schutz der Beschäftigten treffen."

Letzte Änderung 04.04.2018

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