Die Digitalisierung des Finanzsektors ist eine grosse Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Präsidentin von Swiss Fintech Innovations, Stephanie Wickihalder, spricht über das hohe Innovationspotenzial der Branche und über den Nutzen einiger Tools für KMU.
Die Schweizer FinTech entwickeln sich rasant. Laut der jüngsten Studie der Hochschule Luzern (HSLU) stieg die Zahl der Unternehmen in dieser Branche 2023 auf 483, was gegenüber 2022 einem Plus von 11% entspricht. Besonders kräftig legten die auf Nachhaltigkeit ausgerichteten FinTech zu, die 2023 einen Anstieg um 50% verzeichneten und nun 10% aller Firmen dieser Branche ausmachen.
Die Entwicklung von Buchhaltungs- und Reporting-Tools wie Klara oder Bexio sowie von Online-Neobanken wie Neon trägt zur Etablierung des Angebots an digitalen Finanztechnologien bei. Für KMU bedeuten FinTech eine Möglichkeit, ihre Effizienz zu steigern und Kosten zu sparen. Stephanie Wickihalder, Präsidentin des Verbands Swiss Fintech Innovations, fasst die Bereiche zusammen, in denen sich diese Technologie schon bewährt hat, und nennt die Herausforderungen, mit denen die Schweizer FinTech-Unternehmen aktuell konfrontiert sind.
Was ist die Mission des Verbands Swiss Fintech Innovations (SFTI)?
Stephanie Wickihalder: Bei SFTI haben sich rund 30 Akteure aus dem Finanzsektor zusammengeschlossen. Das Ziel ist die Förderung der Zusammenarbeit und der Innovation im Bereich der Schweizer Finanzdienstleistungen, insbesondere durch die Gründung von Arbeitsgruppen. In technischer Hinsicht kümmert sich der Verband beispielsweise um die Standardisierung und die Wartung der APIs (Programmierschnittstellen, Anm. d. Red.) für Bereiche wie Zahlungsdienste, Zugang zu Kontoinformationen, Verwaltung von Hypotheken, Kreditkarten oder auch Altersvorsorge. Wichtig ist diese Standardisierung unter anderem für die Entwicklung von innovativen Finanzprodukten und -dienstleistungen, die in der Lage sind, mit den bestehenden Systemen zu interagieren. Sie ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die FinTech-Unternehmen den KMU ihre Dienste über Partnerbanken anbieten können.
Wie können KMU von den Diensten profitieren, die von den Schweizer FinTech-Unternehmen angeboten werden?
Wickihalder: Gegenwärtig ist der grösste Vorteil, den die FinTech zu bieten haben, die Möglichkeit der Automatisierung von Verwaltungsprozessen. Für Aufgaben im Zusammenhang mit Konformität (oder "Compliance"), Reporting, Buchhaltung und dem Aufdecken von Betrugsfällen werden viele Ressourcen aufgewendet. Ausserdem müssen KMU, die nicht über das nötige Personal für die Durchführung dieser Prozesse verfügen, häufig externe Partner beauftragen, deren Dienstleistungen mitunter viel Geld kosten. Die FinTech sollen eine gleich- oder höherwertige Produkt- bzw. Servicequalität bieten wie die bisherigen Anbieter, aber zu einem günstigeren Preis und über eine benutzerfreundlichere Oberfläche.
Die Firmen können auch von der verstärkten Interaktion zwischen den FinTech-Unternehmen und den traditionellen Banken profitieren, um die Verwaltung ihres Vermögens zu vereinfachen. SFTI hat zum Beispiel kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht, das die Weiterentwicklung der Digitalisierung der Daten im Zusammenhang mit dem Vermögen der Altersvorsorge vorschlägt. Es hat zum Ziel, dass alle in der Schweiz wohnhaften Personen jederzeit Zugang zu diesen Daten haben, um die Verwaltung und Organisation ihrer Altersvorsorge zu verbessern.
2023 haben sich Unternehmen mit Fokus auf nachhaltige Finanzen schneller entwickelt als die übrigen. Wie lässt sich dieser Erfolg erklären?
Wickihalder: Die Sorgen und die gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Umweltbelange tragen zum Aufschwung der FinTech bei. Letztere können sogar konkrete Lösungen in diesem Bereich einbringen, vor allem, um mehr Transparenz zu schaffen und die Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte zu vereinfachen.
Bei Unternehmen und Konsumenten haben Umweltthemen an Bedeutung gewonnen, und zwar so sehr, dass viele Anleger versuchen, von als umweltschädlich geltenden Investitionen Abstand zu nehmen und sich stattdessen Anlagen mit ESG-Zertifizierung ("Environmental, Social and Governance", Anm. d. Red.) zuzuwenden. FinTech können dabei eine wichtige Rolle spielen, besonders bei der Erarbeitung eines internationalen Standards, mit dem die nötigen Kriterien geliefert werden können, um die Weltwirtschaft ökologischer zu machen.
Der FinTech-Sektor ist 2023 weiter gewachsen, allerdings langsamer als 2022. Wie lässt sich diese abflauende Dynamik erklären?
Wickihalder: Der Markt bleibt insgesamt dynamisch. Zu Beginn der 2020er Jahre haben die Kryptowährungen in grossem Umfang zu diesem Anstieg der Zahl der FinTech-Unternehmen beigetragen. Diese Sparte geriet Ende 2022 in Schwierigkeiten, was die Nachfrage nach derartigen Dienstleistungen etwas abgeschwächt hat. Im Übrigen ist Multibanking, eine digitale Lösung, mit der Privatpersonen ihre gesamten Bankkonten in einer einzigen Anwendung verwalten können, eine interessante Entwicklungsmöglichkeit, sowohl für die FinTech wie auch für die traditionellen Banken.
Was ist im Jahr 2024 die grösste Herausforderung für die FinTech-Unternehmen?
Wickihalder: Im Moment ist es die Suche nach Finanzierungen. Die aktuelle Geldpolitik ist trotz der Lockerungen in den letzten Monaten immer noch ziemlich restriktiv, was die Kosten für Investitionen erhöht. Dabei besteht bei den FinTech-Unternehmen ein Bedarf an zusätzlichem Kapital, um den Sprung auf die nächsthöhere Ebene zu schaffen.
Zur Persona / Firma
Stephanie Wickihalder ist seit 20 Jahren im Finanzsektor tätig, und zwar in den Bereichen Investmentbanking, Vermögensmanagement und Digitalisierung. Seit 2017 ist sie Präsidentin des Verbands Swiss Fintech Innovations (SFTI), in dem sich die Hauptakteure der Digitalisierung in den Bereichen Banken, Versicherungen, Technologie und Beratung in der Schweiz zusammengeschlossen haben. Darüber hinaus hat sie mehrere Mandate als Beraterin und Verwaltungsratsmitglied inne. Sie ist ausserdem stellvertretende Geschäftsführerin des Liechtensteinischen Bankenverbands sowie Gastdozentin an der Universität Zürich und an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).
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Letzte Änderung 18.09.2024