"Der Schienengüterverkehr steht erst am Anfang der Digitalisierung"

Das Zürcher Unternehmen Nexxiot entwickelt Sensoren, um Lieferketten transparent zu machen. Das Potenzial ist gross, auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise.

Das 2015 gegründete Unternehmen Nexxiot ist innerhalb weniger Jahre ein führender Akteur im Logistiksektor sowie speziell im Bereich Schienengüterverkehr geworden. Es hat Sensoren entwickelt, die es ermöglichen, sämtliche Schritte in der Supply Chain in Echtzeit zu verfolgen und zu analysieren. Die Sensoren funktionieren ohne Batterien und werden über Solarenergie aufgeladen. Grundlage für diese Technologie waren mehrere Jahre Forschungsarbeit an der ETH Zürich. Nexxiot zählt heute Branchengrössen wie SBB Cargo, DB Cargo oder VTG (ein führendes Unternehmen im Bereich Waggonvermietung) zu seinen Kunden, hat 69 Mitarbeitende und besitzt neben dem Hauptsitz in Zürich Büros in Deutschland und den USA. Über 90'000 seiner Sensoren sind derzeit weltweit im Einsatz. Andy Nutz, Chief Operating Officer von Nexxiot, erläutert im Interview, wie sich das Unternehmen in der Logistikbranche durchsetzen konnte und zeigt aktuelle Herausforderungen im Güterverkehr.

Welche waren in der Startphase die grössten Hürden für Nexxiot?

Andy Nutz: Die Eisenbahnbranche ist generell konservativ und agiert sehr sicherheitsfokussiert. Innovationen brauchen in diesem Bereich etwas länger, um sich durchzusetzen. Der Güterschienenverkehr im Speziellen basierte bis vor kurzem noch auf weitestgehend analogen Prozessen. Bereits zwei Jahre nach Gründung konnten wir das deutsche Unternehmen VTG, das Güterwaggons vermietet, als Partner gewinnen. Das hat dazu beigetragen, dass andere grosse Unternehmen der Branche die Vorteile unserer Technologie sehen konnten.

Was ist generell wichtig, um als Start-up grosse Kunden gewinnen zu können?

Nutz: Kundengewinnung und damit schnelles Wachstum ist für Start-ups immer das oberste Ziel. Dabei ist es vor allem im B2B-Bereich wichtig, dass ein „proof of concept“ des eigenen Businessmodels vorliegt und man ein skalierbares und nachhaltiges Monetarisierungmodell hat. Entscheidend ist, neben der hohen Qualität der Produkte und Services, vor allem die Innovationskraft eines Start-ups, um auch grössere Kunden zu gewinnen.

Die oben angesprochene Phase haben wir bereits hinter uns. Daher ist Nexxiot über den Status eines reinen Start-ups schon hinaus. In den vergangenen Jahren haben wir unser Kundenportfolio bereits breit diversifiziert. Neben dem Schienengüterverkehr sind wir auch bei der Digitalisierung von Tankcontainern sehr aktiv.

Wie genau möchten Sie die Supply Chain digitalisieren?

Nutz: Es ist wichtig zu wissen, dass Güterbahnwaggons – im Gegensatz zu Personenwaggons – über keinen eigenen Stromzugriff verfügen, was die Digitalisierung in diesem Sektor erschwert. Um die Prozesse in der Supply Chain zu digitalisieren war es deshalb notwendig, eine alternative Energiequelle für technische Geräte zu entwickeln. Unsere Sensoren werden am Waggon angebracht und funktionieren autark über Solarenergie. Somit können gewisse Daten zur Position, zur Geschwindigkeit oder zu Uhrzeiten in Echtzeit über eine Cloud-Lösung an unsere Kunden weitergegeben werden. Die Technologie ermöglicht ihnen, ihre logistischen Prozesse besser zu planen und effizienter zu gestalten.

Das Potenzial ist gross: Wir stehen erst am Anfang der Digitalisierung im Schienengüterverkehr. Natürlich ist es auch möglich, die Sensoren für den Transport von Gütern in der Luft oder auf dem Wasser zu verwenden. Wir glauben aber, dass der Warentransport auf der Schiene in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen wird.

Welche technologischen Fortschritte sind in den nächsten Jahren zu erwarten?

Nutz: Es wird Intensivierungen auf zwei Ebenen geben. Zum einen wird die Analyse der Daten, die dank der Sensoren gewonnen werden, noch feiner ausfallen. Zum anderen werden in naher Zukunft noch mehr Sensoren zum Einsatz kommen, um beispielsweise Informationen zur Achsenbelastung oder zum Verschleiss der Räder zu übermitteln. Dank dieser Daten kann schnell erkannt werden, wenn es auf der Strecke zu Beschädigungen oder gar Diebstahl der Ware kommt. Schon heute ist es möglich, Daten von Sensoren verschiedener Hersteller in ein einzelnes System zu übertragen und an den Kunden weiterzugeben. Insgesamt geht es darum, den Güterwaggon so transparent wie möglich zu gestalten. Wenn die Akteure der Supply Chain zu jedem Zeitpunkt wissen, wie viel Ware sich wo genau befindet, erhöht das die Effizienz der Prozesse enorm.

Letztes Jahr hat Nexxiot in einer Finanzierungsrunde CHF 15 Millionen erhalten. Was sind die nächsten Ziele?

Nutz: Unser nächster Schritt ist der US-amerikanische Markt. Im Bereich Digitalisierung hinkt der Schienengüterverkehr gegenüber Europa um zwei bis drei Jahre hinterher. Auch dort werden künftig verstärkt Waren mit der Eisenbahn befördert. Herausfordernd ist dabei die Struktur des Markts, der im Gegensatz zu Europa von vielen privaten Akteuren dominiert wird.

Wie wird sich der Warenverkehr insgesamt entwickeln, gerade auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie?

Nutz: Wir gehen davon aus, dass sich Lieferketten mehr nach Europa hin verlagern werden, was dem Schienengüterverkehr zu Gute kommen wird. Auch hinsichtlich des vergleichsweise geringen CO2-Ausstosses wird die Eisenbahn als Transportmittel weiter an Bedeutung gewinnen. Diese Entwicklungen werden dazu beitragen, dass die Digitalisierung in diesem Bereich intensiviert wird.


Informationen

Zur Person/Firma

Andy Nutz, COO bei Nexxiot

Andy Nutz ist seit Mai 2019 COO bei Nexxiot. Der 49-Jährige verfügt über detaillierte Kenntnisse und umfangreiche Erfahrung in Logistikprozessen und IT-Systemen, insbesondere in der Luft- und Seefracht und multimodalen Transporten. Der gelernte Speditionskaufmann und IT-Betriebswirt ist auf die Analyse, Gestaltung und Weiterentwicklung von softwarebasierten Management-Prozessen spezialisiert.

Letzte Änderung 20.05.2020

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