"Wir haben unsere Komfortzone verlassen, um aggressiver zu werden"

Wie bewerkstelligt man das schnelle Wachstum seiner Firma? Isabelle Harsch, die Enkelin des Gründers und Geschäftsführerin des Genfer Familienunternehmens Harsch, The Art of Moving Forward, scheint die Antwort gefunden zu haben.

Mit nur 28 Jahren wurde Isabelle Harsch 2015 Geschäftsführerin des familiengeführten KMU Harsch, The Art of Moving Forward, das auf Umzüge und Kunsttransporte spezialisiert ist. Durch einen Einstieg in der Logistikabteilung hatte sie schon vor der Übernahme dieser Aufgabe die Gelegenheit, die Firma bis in die hintersten Winkel hinein zu beobachten. Anschliessend gab sie ihr neuen Schwung, indem sie nacheinander vier Unternehmen aufkaufte. Das Ergebnis: Heute ist das KMU in der ganzen Schweiz präsent und verzeichnet ein Wachstum von 12%. Die Firmenchefin managt dieses schnelle Wachstum mit Transparenz, indem sie ständig mit ihren Mitarbeitenden kommuniziert, und bewahrt dabei die Grundfesten ihres Familienerbes. Eine Begegnung.

Sie sind seit 2015 CEO von Harsch. Wie entwickelt sich Ihre Firma?

Isabelle Harsch: Seit seiner Gründung im Jahr 1957 durch meinen Grossvater ist das Familienunternehmen in vier Bereichen tätig: internationale Umzüge, Umzüge mit Schwerpunkt Büroeinrichtung, Transport von Kunstwerken sowie Archivierung und Archivmanagement. Die ersten beiden Segmente machen rund 40% unseres Umsatzes aus, der Transport von Kunstwerken 50% und die Archivierung knapp 10%. Das Auftragsvolumen ist ungefähr zu gleichen Teilen auf die Schweiz und den Rest der Welt verteilt. Auf allen Märkten haben wir viel Konkurrenz durch grosse multinationale Firmen wie das französische Transportunternehmen André Chenue bei den Kunstwerken oder Konzerne wie Santa Fe und AGS im Bereich internationale Umzüge. Angesichts dieser Konkurrenz setzen wir auf den persönlichen Kontakt zu unseren Kunden und bieten massgeschneiderte Lösungen an, die von den Standardverfahren der Multis weit entfernt sind.

Was hat Sie zur Übernahme der Geschäftsführung motiviert?

Harsch: Schon in meiner Kindheit hielt ich mich viel in den Firmenräumen auf, was mich sehr geprägt hat. Als jüngste von vier Geschwistern war ich immer in die Gespräche innerhalb der Familie über die Firmenübertragung involviert. Von meinen Geschwistern interessierte sich niemand dafür und so setzte mein Vater seine Hoffnungen rasch auf mich. Es war schon immer klar, dass ich eine ausgeprägte Liebe zu dem Unternehmen hatte, aber bevor ich mich fest dafür entschied, wollte ich sicher sein, dass mir dieser Weg entspricht. Und bei einem Erasmus-Aufenthalt in Berlin 2010 während meines Jurastudiums hatte sich mein Wunsch dann gefestigt. Also stieg ich zunächst als Mitarbeiterin im Bereich Logistik in die Firma ein, bevor ich die Geschäftsführung übernahm.

Wie haben Sie Ihren Platz im Unternehmen gefunden?

Harsch: Auch wenn ich schon als Kind mit der Firma verbunden war, fand ich mich als Angestellte in einer völlig unbekannten Welt wieder. Was ist ein Kunde, was ein LKW? Welche Zollformalitäten gibt es? All diese grundlegenden Begriffe waren in meinen Augen plötzlich etwas Neues. Also war es notwendig, dass ich mich durch den direkten Kontakt vor Ort weiterbildete und alle wichtige Themen der Firma und unseres Marktes wirklich begriff. Auch menschlich musste ich mich profilieren. Alle wussten, dass ich dort war, weil ich die Geschäftsführung übernehmen wollte. Ich wurde rasch zu einer Art Förderband zwischen den Mitarbeitern und der Geschäftsführung. So konnte ich eine Verbindung zwischen beiden Parteien herstellen, die bis heute hält.

Seit Ihrer Ankunft hat die Firma ein Umsatzwachstum von knapp 12% verbucht. Was haben Sie verändert?

Harsch: Wir mussten uns aus einer gewissen Komfortzone herauswagen und moderner werden, indem wir uns für eine dominante Haltung und eine proaktivere oder gar aggressivere Strategie auf dem Markt entschieden. Wir haben uns also zum Ziel gesetzt, andere Firmen zu übernehmen, um Marktanteile zu gewinnen. Die erste war das Aargauer Unternehmen Schneider International im Jahre 2015, wobei wir die Arbeitsplätze, die Aktivitäten und die Infrastruktur vor Ort beibehalten haben, sodass wir unsere Präsenz in der Deutschschweiz ausbauen konnten. Dann haben wir 2016 die Firma Transdem in Lausanne gekauft, wodurch wir im Kanton Waadt mehr Sichtbarkeit erlangten. Im letzten Jahr kam dann noch das Geschäft der waadtländischen Firma Cevey hinzu und zu Beginn dieses Jahres das von Bovy.

Wie managen Sie das schnelle Wachstum Ihres KMU?

Harsch: Die Firma ist um rund 15 Mitarbeiter auf einen Personalbestand von 130 angewachsen und verzeichnet ein Umsatzwachstum von 12%. Man muss sich auf eine tragfähige Basis verlassen können. Ich bekam kluge Ratschläge aus meinem Umfeld und vor allem habe ich meine Entscheidungen gegenüber meinen Mitarbeitern begründet. Das Entscheidende ist die Kommunikation. Deshalb habe ich die Organisationsstruktur innerhalb der Firma verändert. Wir haben eine stärker transversal ausgerichtete Hierarchie aufgebaut, um die Flexibilität der Firma und den internen Austausch zu fördern. Ausserdem kommuniziere ich mit meinen Mitarbeitern, damit sie die grossen Fragen, die Beweggründe und die Strategie der Geschäftsführung verstehen. Ich versuche, die verschiedenen Lager und Zweigniederlassungen regelmässig zu besuchen, also durchschnittlich einmal im Monat.

Welche Risiken sind mit dieser hohen Geschwindigkeit verbunden?

Harsch: Übernahmen durchzuführen, erfordert Zeit. Man muss viel beobachten, die Gelegenheiten analysieren und dann verhandeln. Ressourcen dafür zu mobilisieren, kann die internen Abläufe verlangsamen. Ausserdem kann das Wachstum einer Firma intern ein Gefühl des Unwohlseins erzeugen, wenn es nicht von einer starken Kommunikation begleitet wird. Es ist also nötig, innerhalb des KMU wieder ein Gleichgewicht herzustellen, damit sich die neuen Mitarbeiter willkommen fühlen und in der Unternehmenskultur wiederfinden.

Sind weitere Übernahmen geplant?

Harsch: Im Moment strebe ich eher eine neue Phase der Stabilisierung an. Zudem konzentrieren wir uns auf die Etablierung der Consulting-Sparte D for Art. Und dann werden wir noch neue Technologien integrieren, damit wir leistungsfähig und effizient bleiben.

Welche Herausforderungen werden auf Sie zukommen?

Harsch: Zunächst einmal geht es darum, sich angesichts der europäischen Konkurrenz nachhaltig zu positionieren. Es gibt immer mehr Akteure, sodass es zu einer starken Konzentration kommt. Dann ist es nötig, wirklich gegen die Praxis des Lohndumpings und der Tiefpreise anzukämpfen. Viele kleine lokale Akteure bekommen ihre Aufträge dadurch, dass sie viel zu niedrige Preise anbieten, da sie sich nicht an die Gesamtarbeitsverträge halten. Das macht den Markt kaputt. Aber es zeigt auch, dass nicht so systematisch kontrolliert wird, wie es sein müsste. Daher müssen sich die Behörden unnachgiebig zeigen und mehr Kontrollen durchführen.

 

Informationen

Zur Person/Firma

Isabelle Harsch, Geschäftsführerin des Familienunternehmens Harsch

Isabelle Harsch wurde 1987 geboren und erwarb 2009 ihren Bachelor und 2011 ihren Master in Rechtswissenschaften an der Universität Genf. Anschliessend arbeitete sie in der Logistikabteilung des Unternehmens Harsch, The Art of Moving Forward, das von ihrem Grossvater gegründet wurde. 2014 wurde sie zum Operation Manager befördert und seit 2015 ist sie Geschäftsfürerin.

Letzte Änderung 15.05.2019

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