"Mit verringerter Stundenzahl kann man eine gesunde Distanz zur Arbeit aufrechterhalten"

Teilzeit ist bei Managern weiterhin selten. Einige Unternehmen machen daraus jedoch eine Priorität oder sogar eine Pflicht. Ein Gespräch mit Carole Zgraggen Linser, Co-Geschäftsführerin von Ecoservices (GE), wo 80% die Regel sind. 

In der Schweiz hat ein Drittel der Arbeitnehmenden eine Teilzeitstelle. Damit sind wir nach den Niederlanden das Land, in dem es am weitesten verbreitet ist, das Arbeitspensum zu reduzieren. Bei den Kadern übt jedoch gerade mal einer von fünf Mitarbeitenden seine Tätigkeit mit weniger als 90% aus, wie aus den Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervorgeht. Carole Zgraggen Linser, Mitglied der Geschäftsführung von Ecoservices (GE), bekräftigt: Teilzeit für Führungskräfte ist möglich. 

Nur 80% zu arbeiten, ist bei Ecoservices eine Regel, selbst für die Kader. Wie wurde diese Firmenpolitik eingeführt?

Carole Zgraggen Linser: Unser Ingenieurbüro, das sich auf Arbeitssicherheit und Umwelt, vor allem auf Baustellen und in der Industrie, spezialisiert hat, wurde 1998 von Pietro Godenzi und Eric Dubouloz gegründet. Weniger als ein Jahr nach der Gründung unserer Firma wurden beide Väter. Um mehr Zeit mit ihren Familien verbringen zu können, beschlossen sie, 80% zu arbeiten und sich jeweils pro Woche einen echten freien Tag zu genehmigen. Diese 80%-Praxis wurde zum Standard und ist sogar im Firmenreglement festgeschrieben. 

Es ist also unmöglich, sich bei Ecoservices einstellen zu lassen, ohne diese reduzierte Arbeitszeit zu akzeptieren?

Zgraggen Linser: Genau, wir weichen nicht von dieser Regel ab. Sie trägt zu unserer Identität bei und gilt für alle 29 Mitarbeitenden, von der Assistentin bis zu den Führungskräften und der Geschäftsführung. Indem wir Teilzeit vorschreiben, gewinnen wir Mitarbeiter, die für unsere Unternehmensphilosophie, welche auf einer guten Work-Life-Balance beruht, empfänglich sind. Das funktioniert seit 20 Jahren und ermöglicht uns zu beweisen, dass anderes Arbeiten möglich ist, selbst in einem traditionellen Wirtschaftszweig. 

Wie organisieren sich das Führungsteam und die Kader?

Zgraggen Linser: Der Vorstand besteht aus sechs Personen, zu denen die drei Gesellschafter gehören. Jeder von uns ist einen Tag pro Woche abwesend, die gemeinsamen Sitzungen finden also an den Tagen statt, an denen wir alle vor Ort sind. Am freien Tag wird wirklich nicht gearbeitet, das heisst, dass der abwesende Mitarbeiter nicht ans Telefon geht oder E-Mails beantwortet. 

Innerhalb der Geschäftsführung hat zwar jeder von uns dreien seinen Kompetenzbereich, aber wir teilen unser Know-how und tauschen uns viel aus. Da sich einige unserer Aktivitäten überschneiden, können wir uns gegenseitig vertreten. Die Entscheidungsfindung erfolgt hauptsächlich einvernehmlich und mit Vertrauen, einer Eigenschaft, die für die Abläufe in unserem Unternehmen zentral ist. 

Haben Sie spezielle Arbeitsinstrumente oder -methoden?

Zgraggen Linser: Die digitalen Tools vereinfachen die Prozesse, zum Beispiel das Teilen von Dokumenten und Dateien oder das Aktivitätsmonitoring. Wir nutzen regelmässig Plattformen wie "Teams", um die Arbeit der Teams an einem Projekt, den Informationsaustausch und die Diskussionsverfolgung zu koordinieren. Um unsere Funktionsweise zu verbessern und etwas anders zu machen, hören wir uns auch organisatorische Vorschläge unserer Mitarbeitenden an. 

Welche Vor- und Nachteile bringt es mit sich, Teilzeit in einem Unternehmen verpflichtend einzuführen, sogar für Führungskräfte?

Zgraggen Linser: Zu den Vorteilen würde ich zählen, dass es die geringere Stundenzahl möglich macht, eine gesunde Distanz zur Arbeit aufrechtzuerhalten. Dieses Loslassen macht einen Bereich im Gehirn frei für Kreativität oder andere Tätigkeiten, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Langfristig führt das zu mehr Motivation, verhindert Langeweile und mindert das Risiko einer beruflichen Überlastung.

Ein Nachteil ist, dass die Umsetzung dieses Modells manchmal Probleme mit sich bringt. Die Aufgabenplanung ist speziell und mitunter zeitraubend. Am Anfang muss man bereit sein, Energie und Zeit in die Organisation zu stecken, bis die Dinge funktionieren. Der Angestellte wiederum muss auf ein volles Gehalt verzichten, was in unserer Branche, in der die Löhne nicht besonders hoch sind, manchmal schwierig ist. 

Wie stehen Ihre Mitarbeitenden dazu?

Zgraggen Linser: Ich denke, dass 80% unserer Mitarbeiter dieses Modell gut finden. Die anderen nehmen es hin oder haben keine richtige Meinung dazu. Aber letztlich haben wir nur sehr wenig Fluktuation in unseren Teams. 

Wie wird Ihr Modell in Ihrer Branche wahrgenommen?

Zgraggen Linser: Vor 20 Jahren war es sehr überraschend. Dann wurden wir als Visionäre angesehen. Heute tauschen wir uns regelmässig mit anderen Unternehmern aus, denen das Thema Organisationsentwicklung wichtig ist, und wir geben Tipps zu den möglichen Funktionsmodellen, wenn wir danach gefragt werden.

Wir denken auch darüber nach, flexible Arbeitszeitquoten einzuführen, also Zeitpläne, die sich nach den jeweiligen Bedürfnissen richten. Doch die Beaufsichtigung einer Baustelle erfordert eine regelmässige Präsenz, die sich nicht ohne Weiteres flexibilisieren lässt.


Informationen 

Zur Person/Firma

Porträt von Carole Zgraggen Linser

Carole Zgraggen Linser hat einen Master in Geographie und einen Eidgenössischen Fachausweis in Buchhaltung und Finanzen. Nach einem Berufsstart in der Verwaltung stieg sie 2002 als Mitarbeiterin bei Ecoservices (GE) ein. 2003 wurde sie Gesellschafterin und Mitglied der Geschäftsführung an der Seite der beiden Firmengründer Pietro Godenzi und Eric Dubouloz. Im selben Jahr änderte Ecoservices seine Rechtsform von der GmbH zur AG. Bei Ecoservices hat Carole Zgraggen Linser den Posten der Verwaltungsleiterin inne und kümmert sich in erster Linie um Personal, Buchhaltung und Finanzen. Parallel zu ihren beruflichen Tätigkeiten ist sie Präsidentin der Genfer Kammer für soziale und solidarische Wirtschaft.

Letzte Änderung 18.07.2018

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