"Die Schweizer Wirtschaft ist im Handelsstreit mit den USA gut aufgestellt"

Seit einigen Monaten befinden sich die USA in einem Handelsstreit mit China und der EU. Yngve Abrahamsen von der Konjunkturforschungsstelle KOF erklärt die Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft.

Die US-Regierung unter Donald Trump hat in den letzten Monaten mehrfach Schutzzölle auf Einfuhren aus der EU und China erhoben. Für Produkte aus der EU gelten seit März Einfuhrzölle auf Stahl (25%) und auf Aluminium (10%). Diese Massnahmen gelten auch für Schweizer Unternehmen. Für Waren aus China ist die Bandbreite grösser – mittlerweile sind fast die Hälfte aller Importe aus China in die USA mit Schutzzöllen belegt. Während grosse Handelspartner (EU, China, Kanada u.a.) Gegenmassnahmen gegen die US-Schutzzölle ergriffen haben, verzichtet die Schweiz auf solche Schritte. Über Auswirkungen einer möglichen weiteren Eskalation dieses Handelsstreits für die Schweizer Wirtschaft spricht Yngve Abrahamsen vom Fachbereich Wirtschaftsprognosen der Konjunkturforschungsstelle KOF im Interview.

Wie anfällig ist die Schweizer Wirtschaft im Falle eines weiter eskalierenden Handelsstreits zwischen den USA und China einerseits sowie den USA und der EU andererseits?

Yngve Abrahamsen: Die Schweizer Wirtschaft ist gegenüber den verhängten Schutzzöllen recht gut aufgestellt und nur indirekt davon betroffen. Die Unternehmen sind sehr international aufgestellt und bedienen verschiedene Märkte. Natürlich stimmt es, dass die Schweizer Wirtschaft von der globalen Wirtschaftssituation abhängig ist. Bei den aktuellen Entwicklungen aber hält sich der Schaden in Grenzen. Es werden beispielsweise nur vergleichsweise wenige Aluminium- und Stahlprodukte aus der Schweiz ausgeführt. Die Schweiz ist zudem kein Rohstofflieferant für Stahl und Aluminium.

Vorerst haben die USA auf Schutzzölle für Automobile verzichtet. Inwiefern wäre die Schweiz von solchen Autozöllen betroffen?

Abrahamsen: Die Schweiz stellt selber kaum Autos her, ist aber ein wichtiger Zulieferer für die Autoindustrie. Die Schweizer Produzenten müssten darum bei Lieferungen an Hersteller, die Ihre Wagen in die USA exportieren, mit Einbussen rechnen. Viele der europäischen Hersteller produzieren aber in den USA und sind darum weniger von diesen Zöllen betroffen. Ein Teil der dortigen Produktion wird jedoch exportiert, u.a. nach China, und sind von Vergeltungszöllen anderer Länder betroffen. Der grösste Effekt für die Schweiz wäre aber aufgrund einer weltweit geringeren Wirtschaftsaktivität und einer verhaltenen Investitionsneigung zu erwarten.

Welche Bereiche sind von den Schutzzöllen am ehesten betroffen?

Abrahamsen: Am ehesten wird dies der Bereich für Luxusgüter spüren, wenn auch in gemässigten Ausmassen. Vor allem in China kann es dazu führen, dass dort bei weiterer Eskalation des Handelsstreits Käufe in diesem Bereich zurückgehen. Was aber alle Wirtschaftsbereiche betrifft, ist ein möglicher Aufschub von Investitionen, der generell mit wirtschaftlichen Unsicherheiten einhergeht. Es kann also in einzelnen Fällen passieren, dass geplante Investitionen mit in der Schweiz hergestellten Investitionsgütern von Akteuren aus dem Ausland erst einmal gestoppt werden. 

Wie hat die Schweizer Wirtschaft bisher reagiert?

Abrahamsen: Bei vielen Akteuren gibt es die Befürchtung, dass die Lage weiter eskaliert. Manche haben auch versucht, viele Waren ins Ausland zu verkaufen und ihre Einkäufe zu limitieren. Allerdings gibt es hierbei das Risiko, in eine negative Spirale zu geraten, in der kaum noch Investitionen getätigt werden.

Wie sollten sich KMU verhalten?

Abrahamsen: Viele Schweizer KMU sind in Nischenmärkten tätig und verkaufen ihre Produkte weltweit. Dies hat Vorteile, aber generell ist es für KMU eher nicht einfach, bestehende Handelsstrukturen zu umgehen. Grössere Unternehmen haben zum Beispiel die Möglichkeit, über Filialen in anderen Ländern ihre Produktion und Einkäufe anders zu organisieren, um Schutzzölle zu umgehen. KMU könnten versuchen, sich mehr auf den Handel mit den EU-Ländern oder anderen weniger betroffenen Ländern zu konzentrieren. Sollten sich die Handelsstreitigkeiten intensivieren, müssten sie allerdings mit Einbussen im Verkauf und wohl auch mit reduzierten Margen rechnen. 

Welche Konsequenzen haben die Schutzzölle, die die EU seit Juli auf Stahlimporte erhebt, die wegen der amerikanischen Zölle zusätzlich in die EU kommen, für die Schweiz?

Abrahamsen: Da die EU lediglich kleinere Entwicklungsländer und die EWR-Mitgliedsländer von den beschlossenen Schutzzöllen befreit hat, wird auf Schweizer Stahlexporte in die EU ein Zoll von 25% erhoben, sobald die festgelegten Zollkontingente ausgeschöpft sind. Diese Zollkontingente gelten für 200 Tage und wurden aufgrund der durchschnittlichen Importmengen der letzten 3 Jahre für 23 Stahlkategorien festgelegt und werden nach dem sogenannten Windhundverfahren vergeben (d.h. keine spezifischen Kontingente für Firmen oder Länder sowie laufende Vergabe bis das Kontingent für eine Kategorie erschöpft ist). Aufgrund der momentanen Stahlnachfrage in der EU ist damit zu rechnen, dass die Schutzzölle bereits Ende Jahr wirksam werden und die Schweizer Stahlexporte darunter leiden werden. Umgehungsmöglichkeiten gibt es nur bei Verlagerung von Produktionsstandorten in der Wertschöpfungskette, was kurzfristig kaum möglich ist. 

Gab es in der Vergangenheit ähnliche Situationen?

Abrahamsen: Das Extrembeispiel war während der grossen Wirtschaftskrise Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre. Diese hat damals zu verstärktem Protektionismus und der Anhebung von Zöllen nach sich gezogen, was die Lage noch weiter verschlimmert hat. In der näheren Vergangenheit hat der vormalige US-Präsident George W. Bush bereits im Jahr 2002 Aufschläge zwischen acht und 30 Prozent auf Stahl- und Aluminiumimporte erhoben, um den Stahlsektor der US-Industrie zu schützen. Das Resultat war, dass der Dollar-Kurs absackte und die stahlverarbeitenden Branchen höhere Materialpreise zu spüren bekamen. Die Welthandelsorganisation WTO hat die Zölle schliesslich für rechtswidrig erklärt, wonach die USA diese wieder zurücknahmen. 

Auch im aktuellen Kontext haben mehrere Länder, darunter die Schweiz, bei der WTO gegen die USA geklagt. Was kann damit bewirkt werden?

Abrahamsen: Es ist der richtige Weg, die WTO als Schlichtungsstelle während eines Handelsstreits einzubeziehen. Ich denke, dass die klagenden Länder recht bekommen werden. Allerdings ist die Frage, inwiefern sich die US-Regierung um Donald Trump an ein solches Urteil halten wird. Letztendlich wird es wohl darauf ankommen, wie sehr die Länder der EU und China den USA entgegenkommen möchten, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Aus Schweizer Sicht muss allerdings auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die USA und die EU bilateral eine weitgehende Beseitigung von Zöllen vereinbaren können. Dies würde die Wettbewerbsposition der Schweiz erheblich verschlechtern.


Informationen 

Zur Person/Firma

Yngve Abrahamsen, Sektionsleiter an der Konjunkturforschungsstelle KOF

Yngve Abrahamsen ist Sektionsleiter an der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich und leitet die Berechnung ihrer vierteljährlichen makroökomischen Prognosen. Der gebürtige Norweger hat an der Universität St. Gallen studiert und mit Lizentiaten in Volkswirtschaftslehre und Quantitativen Methoden abgeschlossen. Von 1982 bis 1996 war er an der Universität St. Gallen tätig, bevor er zur KOF wechselte.

Letzte Änderung 05.09.2018

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