Wie können Flüchtlinge effektiv und sinnvoll in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert werden? Cornelia Lüthy, Vizedirektorin im Direktionsbereich Zuwanderung und Integration des SEM, spricht über die Chancen und Herausforderungen.
Etwa 20‘000 Personen stellen derzeit pro Jahr in der Schweiz ein Asylgesuch. Ungefähr die Hälfte dieser Personen bleibt daraufhin entweder dauerhaft oder temporär im Land. Die Personen kommen aus über 100 Ländern in die Schweiz, die meisten von ihnen aus Eritrea, Syrien und Afghanistan. Für das Staatssekretariat für Migration (SEM) gehört es zu den Prioritäten, anerkannten oder vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen eine Perspektive auf dem hiesigen Arbeitsmarkt zu bieten. Unternehmen, die diese Flüchtlinge beschäftigen möchten, können dabei die bestehenden Programme nutzen und die Hilfe von Bund und Kantonen in Anspruch nehmen.
Welche Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit gibt es derzeit für Flüchtlinge in der Schweiz?
Cornelia Lüthy: Prinzipiell bestehen für anerkannte Flüchtlinge mit B-Ausweis und vorläufig aufgenommenen Personen mit F-Ausweis keine Einschränkungen. Sie können jeder Form von Erwerbstätigkeit nachgehen. Bis Ende des Jahres benötigen Unternehmen, die Flüchtlinge beschäftigen, noch eine Bewilligung seitens des Kantons. Das ändert sich im nächsten Jahr: Ab 2019 muss eine solche Anstellung lediglich beim Kanton gemeldet werden.
Wie versuchen Bund, Kantone und Gemeinden, Flüchtlinge möglichst effizient in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Lüthy: Es wird davon ausgegangen, dass etwa 70 Prozent der anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter potenziell in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert werden können. Voraussetzung dafür ist ein Integrationsprozess auf kantonaler Ebene, der unmittelbar nach dem Entscheid (Asyl bzw. vorläufige Aufnahme) beginnt. Bei diesem Prozess geht es darum, individuell festzustellen, ob der gesundheitliche Zustand sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten einer Person einen direkten Einstieg in den Arbeitsmarkt oder in eine berufliche Ausbildung ermöglichen.
Über 60 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge sind unter 26 Jahre alt. Welche Angebote gibt es für diese Gruppe?
Lüthy: Ab August 2018 dieses Jahres haben das SEM und 18 Kantone das Pilotprogramm „Integrationsvorlehre“ gestartet. Dabei sollen vor allem jüngere Personen in der einjährigen Integrationsvorlehre praktische, schulische und sprachliche Kompetenzen aufbauen und somit auf eine Berufslehre vorbereitet werden. Diese Integrationsvorlehre wird von den kantonalen Berufsbildungsämtern umgesetzt. Zusätzlich arbeiten diese Personen während der Integrationsvorlehre in der Regel rund drei Tage pro Woche in einem Betrieb mit und können so die grundlegenden Tätigkeiten erlernen. Das Programm läuft die nächsten 4 Jahre und ist auf maximal 3‘600 Plätze beschränkt.
Welche Branchen kommen für Flüchtlinge besonders in Frage?
Lüthy: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen in Branchen unterkommen, in denen die Einstiegsbarrieren eher niedrig sind und in denen die Arbeitgeber Probleme haben, Nachwuchs zu finden. Dazu gehören zum Beispiel die Gastronomie, der Detailhandel, die Logistik sowie Berufe im Bereich Gesundheit.
Dieses Jahr lief ein Pilotprojekt zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen in der Landwirtschaft aus. Welche Bilanz ziehen Sie?
Lüthy: Das Pilotprojekt wurde vor drei Jahren in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Bauernverband (SBV) gestartet. Ziel war es, herauszufinden, unter welchen Bedingungen anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen in der Landwirtschaft Arbeit finden können. Insgesamt haben an diesem Projekt 30 Flüchtlinge auf 17 landwirtschaftliche Betriebe verteilt teilgenommen. 24 davon haben das Projekt abgeschlossen. Neben einem positiven Gesamteindruck ziehen wir folgendes Fazit: Es ist für die meisten Flüchtlinge schwierig, direkt in einen landwirtschaftlichen Beruf einzusteigen, da den meisten die Vorkenntnisse fehlen. Daher ist auch in dieser Branche eine Integrationsvorlehre sinnvoll. Es hat sich auch herausgestellt, dass es in der Landwirtschaft wichtig ist, einen Führerausweis zu besitzen. Sei es um mit dem Traktor fahren zu können, sei es, weil sich viele landwirtschaftliche Betriebe in einer abgelegenen Gegend befinden.
Welche Erfahrungen haben KMU in den letzten Jahren mit der Beschäftigung von Flüchtlingen gemacht?
Lüthy: Die meisten KMU, die in den letzten Jahren Flüchtlinge beschäftigt haben, nahmen diese als sehr motivierte Mitarbeitende wahr, die dem Unternehmen einen Mehrwert bieten können. Diese positiven Eindrücke konnten die im Vergleich zu einheimischen Mitarbeitenden höheren Anfangsinvestitionen in den meisten Fällen ausgleichen.
Welche Hürden gibt es im Arbeitsalltag?
Lüthy: Natürlich gibt es Situationen, in denen kulturelle Hintergründe eine Rolle spielen. Den KMU, die Flüchtlinge beschäftigen, geht es aber vielmehr um praktische Fragen: Können diese im Berufsalltag ohne Genehmigung den Kanton wechseln (dies ist möglich, muss aber dem betreffenden Kanton gemeldet werden)? Wie lassen sich Sprachkurse am besten in den Arbeitsalltag integrieren?
An wen können sich KMU für praktische Fragen wenden?
Lüthy: Direkter Ansprechpartner sind die Integrationsfachstellen der Kantone. Sie sind es auch, die die Angebote und die Rekrutierung der Flüchtlinge koordinieren. Die Integrationsvorlehren werden von den kantonalen Berufsbildungsämtern umgesetzt. Dort können sich KMU auch für die nächste Durchführung (Ausbildungsjahr August 2019 bis Juli 2020) anmelden.