"Auf Investorenevents war ich oftmals die einzige Frau"

Gründerinnen sind in der Start-up-Szene immer noch unterrepräsentiert. Lea von Bidder spricht über Gründe und ermuntert Frauen, ihre Ideen unternehmerisch umzusetzen. 

Mit nur 28 Jahren hat die Zürcherin Lea von Bidder bereits zwei Unternehmensgründungen hinter sich. 2017 stand sie auf der renommierten Liste «30 unter 30» des US-Wirtschaftsmagazins Forbes. Aktuell ist sie als Marketingchefin bei Ava tätig, dem Unternehmen, das sie vor vier Jahren mitbegründet hat. Ava hat ein Armband entwickelt, das Frauen mit Hilfe eines Algorithmus die fruchtbarsten Tage im Zyklus anzeigt. Das Unternehmen hat seit seiner Gründung über 12 Millionen Franken Risikokapital erhalten und besitzt Büros in Zürich und San Francisco. Über ihre Karriere als Unternehmerin und über die Rolle von Frauen in der Start-up-Szene spricht Lea von Bidder im Interview. 

Bevor Sie 2014 Ava mitgründeten, hatten Sie bereits eine Schokoladenmarke in Indien lanciert. Wie wichtig war diese erste Erfahrung als Unternehmensgründerin?
Lea von Bidder:
Ich habe die Schokoladenmarke damals nach meinem Masterstudium zusammen mit einer Kommilitonin gegründet, die aus Bangalore stammt und deren Familie bereits in diesem Sektor tätig war. Das hat den Start etwas erleichtert. Allerdings hat es sieben Monate gedauert, bis wir unser erstes Produkt verkaufen konnten. Vor allem der administrative Aufwand und die Qualitätssicherung waren eine grosse Herausforderung. Diese Erfahrung war sehr wichtig für mich, weil ich dadurch erst gemerkt habe, dass ich in der Lage bin ein Unternehmen aufzubauen.

Wie sind Sie anschliessend dazu gekommen, Ava zu gründen?
von Bidder:
Ich bin Ende 2013 in die Schweiz zurückgekommen und habe bei einem Event für Unternehmer drei Männer kennengelernt, die sich bereits – teils aufgrund persönlicher Erfahrungen mit ihren Partnerinnen – mit dem Thema Zyklus-Tracking beschäftigt hatten. Da mich das Thema auch schon lange beschäftigt, ist ziemlich schnell die Idee dazu entstanden, einen Algorithmus dafür zu entwickeln und in ein Armband einzubauen. Anfang 2015 bin ich dann nach San Francisco gezogen, um unsere Präsenz auf dem US-Markt aufzubauen. Mittlerweile wissen wir von über 1’000 Schwangerschaften, die dank unserer Methode zustande gekommen sind. 

Anfang letzten Jahres haben Sie einen vielbeachteten Beitrag auf dem Karrierenetzwerk Linkedin veröffentlicht, in dem Sie die Männerdominanz in der Start-up-Szene anprangern. Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?
von Bidder:
Ich hatte diverse Statistiken gelesen, dass Frauen in der Schweiz fast ebenso häufig Unternehmen gründen wie Männer. Diese Zahlen deckten sich allerdings überhaupt nicht mit meinen persönlichen Erfahrungen. Auf Investorenevents war ich oftmals die einzige Frau. Ich habe mir dann für den Linkedin-Beitrag die Liste der 100 erfolgreichsten Schweizer Start-ups angeschaut, die jährlich unter anderem von der Handelszeitung herausgebracht wird. Dabei habe ich gemerkt, dass unter den Top 50-Start-ups nicht einmal 10% von Frauen gegründet worden waren. 

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
von Bidder:
Es handelt sich um ein tiefgreifendes Problem. Frauen sind ja schon während des Studiums in den sogenannten MINT-Fächern deutlich in der Minderheit. Generell finde ich problematisch, dass sich die meisten Mädchen und Frauen in technischen Bereichen Jungen und Männern unterlegen fühlen. 

Wie spürbar ist diese Männerdominanz in der Start-up-Szene?
von Bidder: Dadurch, dass Start-ups vor allem am Anfang wenig Zeit und Ressourcen haben, wird vor allem in persönlichen Netzwerken rekrutiert. Wenn die meisten dieser Unternehmen von Männern gegründet werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese bevorzugt andere Männer aus ihren Netzwerken einstellen. Diese Tendenz hat weitreichende Folgen: Ehemalige Start-up-Angestellte gründen oft eigene Unternehmen, wodurch das Geschlechterungleichgewicht weiter anwächst. Dazu kommt, dass erfolgreiche Start-upper oft Investoren werden, die dann wiederum in Unternehmen investieren, deren Gründer Sie kennen. Ich habe generell beobachtet, dass Frauennetzwerke in der Start-up-Szene viel weniger sogenannte Entscheider enthalten. 

Inwiefern mussten Sie als Unternehmerin mit Vorurteilen gegenüber Frauen kämpfen?
von Bidder: Ich persönlich hatte zum Glück wenig negative Erfahrungen. Generell ist es so, dass im Silicon Valley – obwohl hier Sexismus auch verbreitet ist – eher das Alter zählt als das Geschlecht. Hier gilt: Je jünger, desto besser. Die Start-up-Szene ist hier auch so gross, dass es hier einige Frauen gibt, die beeindruckende Karrieren hinlegen. Ich bin der Meinung, dass das Potenzial, ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern zu schaffen, in der Gründerszene am grössten ist. 

Was würden Sie einer jungen Frau raten, die gerne ihr eigenes Unternehmen gründen möchte?
von Bidder:
Viele zögern damit, eine Idee unternehmerisch umzusetzen, da sie Angst haben, zu scheitern. Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit helfen dabei, diese Ängste zu überwinden. Das gilt aber natürlich sowohl für Frauen als auch für Männer.


Informationen 

Zur Person

Lea von Bidder, Mitgründerin von Ava Science

Lea von Bidder ist Mitgründerin von Ava Science und Marketingchefin des Unternehmens. Vor Ava gründete die 28-jährige „L’inouï“, eine Premiumschokolade und Einzelhandelskette in Bangalore, Indien. Ausserdem arbeitete sie für die Marketingabteilung von Procter & Gamble in Frankfurt und für eine Strategieberatungsfirma in Paris. Lea von Bidder schloss an der EMLYON Business School in Lyon, an der Zhejiang Universität in China sowie an der Purdue Krannert Universität in den USA einen Master in globaler Unternehmensführung ab. Ihren Bachelor hat sie an der Universität St. Gallen und HEC Montréal in Kanada gemacht.

Letzte Änderung 02.05.2018

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