"Selbstständige brauchen Instrumente, die besser an ihre Situation angepasst sind"

Die Altersvorsorge ist für Selbstständigerwerbende eine der Hauptsorgen. Corin Ballhaus vom Verband Frauenunternehmen erklärt uns die aktuellen Herausforderungen und zeigt Wege auf, wie sie sich bewältigen lassen.

In der Schweiz gibt es immer mehr Selbstständigerwerbende. Auf eigene Rechnung zu arbeiten, hat viele Vorteile, bringt aber auch Risiken mit sich, insbesondere hinsichtlich der Altersvorsorge. Denn Selbstständige zahlen nicht automatisch in die zweite Säule ein. Corin Ballhaus von Frauenunternehmen, einem Verband, der Frauen bei der Gründung eines Unternehmens hilft, ist mit diesem Thema bestens vertraut. Für das KMU-Portal entschlüsselt sie die wesentlichen Probleme, auf die Selbstständigerwerbende bei der Sicherung ihrer Altersrente stossen. Ausserdem stellt sie uns Impavida vor, ein neues Instrument für die berufliche Vorsorge, das ihr Verband entwickelt hat. 

Auf welche Probleme stossen Selbstständigerwerbende bei der Altersvorsorge?

Corin Ballhaus: Sie befinden sich häufig in einer heiklen Situation hinsichtlich der beruflichen Vorsorge beziehungsweise der zweiten Säule. Gemäss dem BVG sind sie durch ihren Status nicht dazu verpflichtet, sich zu versichern. Das ist eine freiwillige Massnahme. Doch die konkreten Möglichkeiten, in die zweite Säule einzuzahlen, sind für sie sehr beschränkt, wenn sie keine Mitarbeitenden haben. Selbstständige haben zwei Optionen. Die erste besteht darin, sich einer Pensionskasse ihres Berufs- oder Branchenverbands anzuschliessen. Doch viele dieser Organisationen haben keine Pensionskasse mehr, weil sie zu wenig Ressourcen haben, um solche Strukturen zu verwalten. Man muss auch erwähnen, dass immer mehr Berufe einfach keinen Verband mehr haben, der sie vertritt. Die zweite Option besteht darin, sich der Stiftung Auffangeinrichtung BVG anzuschliessen, die im Auftrag des Bundes eingerichtet wurde, um als Sicherheitsnetz für die zweite Säule zu dienen. An sie können sich alle Unternehmen und alle Privatpersonen wenden. In der Praxis wird diese Lösung selten in Anspruch genommen, da sie kaum bekannt ist. 

Ist die dritte Säule keine ausreichende Alternative?

Ballhaus: Viele Selbstständige verzichten auf die zweite Säule und begnügen sich mit der gebundenen Selbstvorsorge in der dritten Säule (3a). Sie können dort bis zu 20% ihres jährlichen Einkommens einzahlen (Maximalbetrag 2017: CHF 33'840) und steuerlich absetzen. Doch diese Lösung ist nicht optimal. Wir stellen fest, dass sich Selbstständige oft an die Banken wenden, da diese Personen mit schwankendem Jahreseinkommen mehr Flexibilität bieten. Doch die Fälle Invalidität oder Tod sind bei den Lösungen der Kreditinstitute nicht abgesichert. Ein anderes Problem ist, dass das Geld aus der Säule 3a nur als Kapital ausgezahlt werden kann und nicht in Form einer Altersrente. 

Sind Frauen von diesen Fragen besonders betroffen?

Ballhaus: Die Problematik betrifft Männer und Frauen gleichermassen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass selbstständige Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten: Der Anteil liegt bei 70% in der Gruppe der selbstständig Erwerbstätigen ohne Mitarbeitende. Somit verdienen sie weniger und zahlen also auch weniger ein. Ausserdem haben einige von ihnen zwischendurch pausiert, um sich ihrer Familie zu widmen. Daher sind sie im Hinblick auf die berufliche Vorsorge schlechter abgesichert. 

Ihr Verband bietet eine neue Lösung für die berufliche Vorsorge an. 

Ballhaus: Ja, das Programm heisst "Impavida". Selbstständige brauchen Instrumente, die besser an ihre Situation angepasst sind. Das geht auch eindeutig aus einer Erhebung bei unseren Mitgliedern hervor. Der Bedarf macht sich umso stärker bemerkbar, als die Zahl der Selbstständigerwerbenden unaufhörlich wächst. Schon heute arbeitet in der Schweiz ein Fünftel der Erwerbstätigen auf eigene Rechnung. 

Worum genau handelt es sich bei diesem Instrument?

Ballhaus: Mit Impavida bieten wir seit dem 1. Januar 2017 für Selbstständige und Firmen aus allen Wirtschaftszweigen BVG-Vorsorgepläne an, was eine Premiere ist. Gegenwärtig decken diese Pläne das obligatorische BVG-Regime ab. Für die Bereitstellung dieses Angebots haben wir uns mit der Stiftung Auffangeinrichtung BVG zusammengetan. Darüber hinaus erhielten wir die Unterstützung des Büros für Gleichstellung. Impavida steht nämlich sowohl Frauen als auch Männern zur Verfügung; sie müssen nur vorher Mitglied unseres Verbands werden. Impavida reagiert auf die Sorgen der Selbstständigen mit einer stabilen Entwicklung des Deckungsgrads, einer guten Risikoabdeckung und einer einfachen administrativen Abwicklung. Ausserdem sind wir dabei, einen Beraterpool zusammenzustellen, um Interessierten eine Orientierung zu bieten. Dieser Service wird ab April zur Verfügung stehen. 

Steht Impavida auch in der Westschweiz und im Tessin zur Verfügung?

Ballhaus: Ja. Es steht allen offen, auch wenn wir momentan nur auf Deutsch kommunizieren.


Informationen 

Zur Person

Corin Ballhaus vom Verband Frauenunternehmen und zuständig für die Umsetzung des neuen Instruments Impavida

Corin Ballhaus ist für die Umsetzung des neuen Instruments des Verbands Frauenunternehmen für die berufliche Vorsorge zuständig. Sie begann ihre Karriere im Bankensektor als Finanzanalystin. Anschliessend arbeitete sie als Wirtschaftsjournalistin, insbesondere für die deutschsprachigen Publikationen "Finanz und Wirtschaft" und "Bilanz". In diesem Rahmen schrieb sie regelmässig Artikel über die Altersvorsorge. Später gründete Corin Ballhaus dann ihre eigene PR-Agentur, die sie bis 2014 leitete. 2015 gründete sie die Beratungsfirma Ballhaus Profiling.

Letzte Änderung 01.03.2017

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