"Schaffen Sie gleich bei Bekanntgabe der Schwangerschaft ein vertrauensvolles Klima"

Den Mutterschaftsurlaub einer Mitarbeiterin zu organisieren, ist manchmal eine richtige Herausforderung. Valérie Borioli Sandoz, die den Online-Planer mamagenda.ch entwickelt hat, fasst die wichtigsten Schritte zusammen, die ein KMU bedenken muss, und nennt hilfreiche Instrumente. 

Muss man die Arbeitszeiten anpassen? Den Arbeitsplatz anders einrichten? Wie lässt sich eine Vertretung für den Mutterschaftsurlaub organisieren? Wenn eine Mitarbeiterin verkündet, dass sie schwanger ist, ergeben sich für die KMUs häufig viele Fragen. Um Arbeitgebenden und ihren Mitarbeiterinnen zu helfen, hat die Gewerkschaft Travail.Suisse mit Unterstützung des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung den Online-Planer mamagenda.ch eingerichtet. Valérie Borioli Sandoz, die für dieses Tool zuständig ist, hat zu diesem Thema wertvolle Tipps parat. 

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen im Hinblick auf den Mutterschaftsurlaub? 

Valérie Borioli Sandoz: Das Gesetz sieht einen Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ab der Geburt des Kindes vor. In diesem Zeitraum erhält die Arbeitnehmerin 80% ihres Lohns bei einer Obergrenze von CHF 192 pro Tag, die von der Erwerbsersatzordnung bezahlt werden. Ein Unternehmen kann jedoch beschliessen, mehr zu zahlen, beispielsweise den Unterschied von 20% auszugleichen, damit die Arbeitnehmerin weiterhin ihren gesamten Lohn erhält, oder einen längeren Urlaub zu gewähren. Die Kosten hierfür trägt das Unternehmen. Sie können aber durch eine private Lohnausfallversicherung gedeckt werden. Wer mehr als das Minimum gewährt, hat zusätzliche Kosten, gewinnt aber auch Vorteile. Auf diese Weise zeigt ein Arbeitgeber, dass er sich für die Beschäftigten und ihre Bedürfnisse interessiert, wodurch er attraktiver wird. 

Was muss ein Unternehmen tun, wenn eine der Angestellten mitteilt, dass sie schwanger ist? 

Borioli Sandoz: Das Erste, was wir einem Chef raten, ist, ihr zu gratulieren. Er sollte nicht rufen: "Mein Gott, wie sollen wir das schaffen?" Das mag trivial klingen, aber die erste Reaktion hat einen grossen Einfluss auf alles Weitere. Es sollte unbedingt ein vertrauensvolles Klima geschaffen werden. Die Mitarbeiterin kann dann ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen und der Arbeitgeber kann besser verständlich machen, was für ihn wichtig ist. In diesem Gespräch kann das Unternehmen auch vorstellen, welche Massnahmen es eventuell anbietet: ein Bereich zum Ausruhen, die Nutzung der Behindertentoilette oder ein näher gelegener Parkplatz. 

Darüber hinaus müssen Arbeitgebende wissen, dass Schwangere Anspruch auf besondere Massnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes haben. Ab der 21. Schwangerschaftswoche darf zum Beispiel die Zeit, die man im Stehen verbringen muss, nicht mehr als vier Stunden pro Tag betragen. Andere Massnahmen gelten für Mütter nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub. Eine stillende Mutter hat beispielsweise bei einem Arbeitstag von mehr als sieben Stunden das Recht auf eine bezahlte Pause von 1,5 Stunden.  

Was ist mit allfälligen Absenzen während der Schwangerschaft? 

Borioli Sandoz: Das Gesetz erlaubt Schwangeren, nach einer einfachen Mitteilung, ohne ärztliches Attest, dem Arbeitsplatz fernzubleiben. Sie können zum Beispiel später kommen, wenn sie sich morgens nach dem Aufstehen nicht gut fühlen. Die Unternehmen müssen diese kleinen Absenzen nicht vergüten, doch viele tun es. Wird von einem Arzt eine Verringerung der Arbeitszeit oder eine Unterbrechung der Arbeit angeordnet, hängt die Dauer der obligatorischen Lohnfortzahlung von der Anzahl der Dienstjahre ab. 

Was die Arbeitsorganisation angeht, so bestehen für den Mutterschaftsurlaub oder bei längerer Absenz während der Schwangerschaft mehrere Möglichkeiten, um die Erledigung der Aufgaben weiterhin zu gewährleisten. Die am häufigsten gewählten Lösungen sind die Erhöhung der Arbeitszeit anderer Team-Mitglieder und die befristete Beschäftigung von Arbeitslosen mit abgeschlossener Ausbildung, Praktikanten oder Zivildienstleistenden. Man sollte mit der Arbeitnehmerin während ihrer Abwesenheit in Kontakt bleiben, damit ihr Wiedereinstieg am Ende des Mutterschaftsurlaubs leichter wird. 

Wie funktioniert der Online-Planer Mamagenda? 

Borioli Sandoz: Mamagenda ist ein kostenloses Tool zur Organisation der Schwangerschaft am Arbeitsplatz, das auf Deutsch. Französisch und Italienisch zur Verfügung steht. Das Unternehmen oder die Arbeitnehmerin erstellt ein Online-Konto und gibt den voraussichtlichen Geburtstermin ein. Auf das Konto haben beide Parteien Zugriff und der Kalender ist auf drei Achsen ausgerichtet. Zunächst liefert er die notwendigen Informationen zur Gesetzgebung über den gesamten Verlauf der Schwangerschaft bis zur Rückkehr an den Arbeitsplatz. Dann können die Beteiligten, wenn sie wollen, per E-Mail Hinweise zur praktischen Umsetzung erhalten. Die dritte und wichtigste Achse besteht darin, in bestimmten zentralen Momenten Gespräche anzubieten, für die eine Themenliste bereitgestellt wird. So kann man während der gesamten Schwangerschaft kohärent und strukturiert vorgehen, denn nicht alles muss gleich in der ersten Woche geregelt werden. 

Viele Eltern wollen nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitszeit reduzieren. Wie lässt sich dieser Wunsch nach Teilzeitarbeit organisieren? 

Borioli Sandoz: Wir ermutigen die Arbeitgebenden, die Situation nüchtern und in Ruhe zu analysieren, bevor sie so einen Wunsch ablehnen. Eine offene Haltung gegenüber Teilzeit von Männern und Frauen ermöglicht den Unternehmen, wertvolle Kompetenzen zu behalten. Der Kanton Bern hat ein hervorragendes Online-Tool eingerichtet, um die Aufgaben eines Beschäftigten zu analysieren und zu prüfen, ob Teilzeit möglich ist. Jobsharing, also die Aufteilung eines Arbeitsplatzes zwischen zwei Personen, das vor allem in Führungspositionen zum Zug kommt, ist ebenfalls eine interessante Lösung. Weitere Möglichkeiten wären eine Flexibilisierung der Arbeitszeit (Jahresarbeitszeit, Gleitzeit) oder Telearbeit.


Informationen 

Zur Person/Firma

Valérie Borioli Sandoz, zuständig für den Online-Planer mamagenda.ch

Valérie Borioli Sandoz ist seit 2007 Mitglied im Vorstand der Gewerkschaft Travail.Suisse. Sie ist dort für den Bereich Gleichstellungspolitik zuständig. Sie hat die Informations-Websites mamagenda.ch und info-workcare.ch lanciert und war an der Erstellung einer Publikation zum Thema Jobsharing mit dem Titel "Jobsharing: opportunités et défis du travail (dt.: Chancen und Herausforderungen im Arbeitsleben)" beteiligt. Nach dem Abschluss ihres Studiums an der Universität Neuenburg arbeitete sie für die Bundesverwaltung, unter anderem im Bundesamt für Statistik, und für den Kanton Freiburg.

Letzte Änderung 05.04.2017

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