"Die Unternehmen wissen nicht, welche Chancen die künstliche Intelligenz bietet"

Sind die KMU gut genug gerüstet, um das ganze Potenzial von Tools wie ChatGPT zu nutzen? Antworten von Sophie Hundertmark, Forscherin und Autorin zweier Bücher zum Thema.

Die meisten Grossunternehmen haben bereits Massnahmen ergriffen, um Instrumente der generativen künstlichen Intelligenz in ihre Prozesse zu integrieren, aber die kleinen und mittleren Unternehmen sind häufig noch auf der Suche nach effizienten Mitteln, um von diesen neuen Technologien zu profitieren. Die KMU wissen oft nicht, wie sie diese Innovationen optimal nutzen können oder wie sie deren Risiken bewerten sollen. Sophie Hundertmark, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern und Doktorandin an der Universität Freiburg, forscht zu Textrobotern, künstlicher Intelligenz (KI) und digitaler Transformation. Die Forscherin, die auch zwei Bücher zu dem Thema publiziert hat, spricht über die Herausforderungen dieser technologischen Innovationen für die KMU in der Schweiz.

Bis vor Kurzem wurde die KI vor allem dafür genutzt, sogenannte Chatbots zu entwickeln. Generative AI wie zum Beispiel ChatGPT, der 2022 von OpenAIs auf den Markt gebracht wurde, ebnet den Weg für eine Vielzahl weiterer Einsatzmöglichkeiten. Welche Funktionen werden von den Schweizer Unternehmen am meisten geschätzt?

Sophie Hundertmark: Die häufigste Nutzung bleibt das Verfassen von Texten, vor allem für E-Mails und Pressemitteilungen. Eine Software auf der Basis von generativer KI kann auch für die Analyse von Daten genutzt werden, beispielsweise um zwei Finanzberichte zu vergleichen oder eine Zusammenfassung davon zu erstellen.

Ein anderer Bereich ist die Weiterbildung der Beschäftigten: Dank der künstlichen Intelligenz ist es heutzutage möglich, beispielsweise Compliance-Fortbildungen zu entwickeln. So kann die KI dafür genutzt werden, bestehende Weiterbildungs-Tools zu verbessern oder ein personalisiertes Modul auf der Grundlage der vom Programmierer gelieferten Daten zu erstellen.

Die automatische Erzeugung von Bildern mit Programmen wie DALL-E ist ebenfalls im Aufwind, auch wenn sie nur für bestimmte Arten von Unternehmen relevant ist.

Sind die Schweizer KMU gut darauf vorbereitet, das Potenzial dieser Tools zu nutzen?

Hundertmark: Nein, ich denke, sie kennen sich damit noch nicht gut genug aus. Den meisten KMU sind nicht nur die Chancen der generativen künstlichen Intelligenz weitgehend unbekannt, sondern auch die mit ihr verbundenen Risiken. Ihnen fehlt ein umfassendes Verständnis davon, wie sie diese Art von KI angemessen nutzen können.

Wie können Sie sich verbessern?

Hundertmark: Aus meiner Sicht ist es notwendig, dass sich die Schweizer KMU weiterbilden. So kann ausserdem der Wissenstransfer auf diesem Gebiet gefördert werden. Es geht auch darum, den Mut zu haben, diese verschiedenen Tools mit integrativer KI zu testen, also zum Beispiel ChatGPT. Nur durch eine konkrete Nutzung können die kleinen und mittleren Unternehmen aus ihren Erfahrungen Erkenntnisse gewinnen, um sich nach und nach zu verbessern.

Warum sind Schulungen so wichtig?

Hundertmark: Schulungen sind ein notwendiger Schritt, um Generative AI in die Betriebsabläufe der Unternehmen einzubinden. An der Fachhochschule Luzern haben wir ein entsprechendes Modul entwickelt. An dieser Fortbildung nehmen Personen mit verschiedenen Profilen teil: Firmenleitungen, Führungspersonen und manchmal auch Beschäftigte ohne Führungsverantwortung.

Generative KI kann Fehler machen, Vorurteile reproduzieren und Urheberrechte verletzen. Wie kann man sich vor solchen negativen Effekten schützen?

Hundertmark: Halluzinationen (von generativer KI produzierte Fehler und Ungenauigkeiten, Anm. d. Red.) sind eines der Hauptprobleme im Zusammenhang mit der KI. Man darf aber nicht vergessen, dass Menschen auch Fehler machen! Das Problem ist nicht neu, es geht nur darum, dass man sich dessen bewusst ist und die Risiken und Auswirkungen weitestgehend minimiert. Wenn man zum Beispiel meint, dass automatische Texterstellungsprogramme nützlich sind, um Inhalte in bestimmten Fachgebieten zu verfassen, kann man vernünftigerweise davon ausgehen, dass die Beschäftigten, die für diese Texte verantwortlich sind und die ihren Beruf in allen Einzelheiten kennen, eventuell auftretende Fehler entdecken werden. Was die Vorurteile und die Risiken in Bezug auf das Urheberrecht angeht, lassen sich die Probleme minimieren, indem der Datenkorpus verkleinert wird.

Der Datenschutz ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Was hat sich in diesem Bereich als Best Practice bewährt?

Hundertmark: Die beste Lösung besteht darin, sich an einen Dienstleister mit Sitz in der Schweiz zu wenden. Das neue Datenschutzgesetz gewährleistet im Vergleich zum Ausland ein höheres Schutzniveau, sofern die Daten innerhalb der Schweiz verarbeitet und gehostet werden. Ich würde daher z.B. die Tools SwissGPT (im August 2023 von dem Zürcher Unternehmen AlpineAI lanciert, Anm. d. Red.).


Informationen

Zur Person/Firma

Sophie Hundertmark, Forscherin an der Hochschule Luzern und an der Universität Freiburg

Sophie Hundertmark ist eine Pionierin der Chatbot-Forschung in der Schweiz. Sie hat einen Masterabschluss in E-Commerce der Hochschule Luzern (HSLU) und gewann den Best Paper Award bei der IWW Internet Conference 2017 in Portugal. Heute ist sie als Beraterin tätig und berät Unternehmen wie Raiffeisen, die Deutsche Bank oder die Helvetia-Versicherung. 2020 erschien ihr Buch "Digitale Freunde". Ihr zweites Buch "Kundendialog-Management Wertstiftende Kundendialoge in Zeiten der digitalen Automation", das sie gemeinsam mit Nils Hafner verfasste, wurde im Februar 2024 publiziert.

Letzte Änderung 20.03.2024

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